Название | Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane |
---|---|
Автор произведения | Felix Dahn |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027222049 |
«Kein Wort zu ihr! Sie würde das nie dulden. Stille, sie kommt.» Das Mädchen trat ein in lebhafter Erregung, die lieblichen Wangen gerötet, eine Flechte des dunklen Haares war losgegangen und spielte um den feinen Nacken.
«Saget mir, ihr, die ihr klug seid und menschenerfahren, sagt mir, was soll ich denken? Ich komme aus dem Schiff. Oh, er hat mich nie geliebt, der Hochmütige, er bemitleidet, er bedauert mich! Nein, das ist nicht das rechte Wort. Ich kann es mir nicht deuten.» Und in Tränen ausbrechend, barg sie das Haupt am Halse der Mutter. – «Was ist geschehen, Kamilla?» fragte Cethegus. – «Schon oft», begann sie tiefaufatmend, «spielte ein Zug um seinen Mund, sprach eine Wehmut aus seinem Auge, als sei er der tief von mir Gekränkte, als habe er uns edel zu vergeben, als habe er mir ein großes Opfer gebracht –» – «Unreife Knaben bilden sich immer ein, es sei ein Opfer, wenn sie lieben.» Da blitzte Kamillas Auge, sie warf den schönen Kopf zurück und wandte sich heftig gegen Cethegus: «Athalarich ist kein Knabe mehr, und man soll ihn nicht verhöhnen.» Cethegus schwieg, ruhig die Augen senkend. Aber Rusticiana fragte erstaunt: «Hassest du den König nicht mehr?» – «Bis zum Tode. Man soll ihn verderben, nicht verhöhnen.»
«Was ist geschehen?» wiederholte Cethegus. – «Heute stand jener rätselhafte, kalte, stolze Zug deutlicher als je auf seinem Antlitz. Ein Zufall äußerte ihn in Worten. Wir waren eben gelandet. Ein Käfer war ins Wasser gefallen: der König bückte sich und zog ihn heraus: das Tierchen aber wehrte sich gegen die mildtätige Hand und biß mit den Zangen des Kopfes in den Finger, der ihn hielt. ‹Der Undankbare›, sagte ich. – ‹Oh›, sprach Athalarich, bitter lächelnd, und er setzte den Käfer auf ein Blatt: ‹man verwundet die am meisten, die am meisten für uns getan.› Und dabei flog sein Blick mit stolzer Wehmut über mich dahin. Doch rasch, als ob er zuviel gesagt, schritt er kalt grüßend hinweg. Ich aber» und ihre Brust wogte, ihre feingeschnittenen Lippen schlossen sich – «ich aber trage das nicht mehr. Der Stolze! Er soll mich lieben – oder sterben.» – «Das soll er», sagte Cethegus kaum hörbar, «eins von beiden.»
Neuntes Kapitel
Wenige Tage darauf wurde der Hof durch einen neuen Schritt des jungen Königs zur Selbständigkeit überrascht: er selbst berief den Rat der Regentschaft, ein Recht, das bisher nur Amalaswintha geübt. Die Regentin war nicht wenig erstaunt, als ein Bote ihres Sohnes sie in dessen Gemächer beschied, wo der König bereits eine Auswahl der höchsten Beamten des Reiches um sich versammelt habe, Goten und Römer, unter diesen Cassiodor und Cethegus.
Dieser hatte zuerst beschlossen, auszubleiben, um nicht durch sein Erscheinen das Recht anzuerkennen, das sich der Knabe herausnahm: ihm ahnte nichts Gutes. Aber eben deshalb besann er sich bald eines andern. «Ich darf der Gefahr nicht den Rücken, die Stirn muß ich ihr bieten», sprach er, als er sich zu dem verhaßten Gang anschickte. Er fand in dem Gemach des Königs alle Geladenen bereits versammelt. Nur die Regentin fehlte noch. Als sie eintrat, erhob sich Athalarich – er trug eine langfaltige Abolla von Purpur, die Zackenkrone Theoderichs glänzte auf seinem Haupt, und unter dem Mantel klirrte das Schwert – von seinem Thronsessel, der vor einer durch einen Vorhang geschlossenen Nische stand, ging ihr entgegen und führte sie zu einem zweiten höheren Stuhl, der aber zur Linken stand. Als sie sich niedergelassen, hob er an: «Meine königliche Mutter, tapfre Goten, edle Römer! Wir haben euch hierher beschieden, euch unsern Willen kundzutun. Es drohten diesem Reiche Gefahren, die nur wir, der König dieses Reiches, abwenden konnten.»
Solche Sprache hatte man aus diesem Munde noch nicht vernommen. Alle schwiegen betroffen, Cethegus aus Klugheit: er wollte den rechten Augenblick abwarten. Endlich begann Cassiodor: «Deine weise Mutter und dein getreuer Diener Cassiodor» – – «Mein getreuer Diener Cassiodor schweigt, bis sein Herr und König ihn um Rat befragt. Wir sind schlecht zufrieden, sehr schlecht, mit dem, was die Räte unsrer königlichen Mutter bisher getan und nicht getan haben. Es ist höchste Zeit, daß wir selbst zum Rechten sehn.
Wir waren dazu bisher zu jung und zu krank. Wir fühlen uns nicht mehr zu jung und nicht mehr zu krank. Wir künden euch an, daß wir demnächst die Regentschaft aufheben und die Zügel dieses Reiches selbst ergreifen werden.»
Er hielt inne. Alles schwieg. Niemand hatte Lust, nach Cassiodors Beispiel zu reden und dann zu verstummen.
Endlich fand Amalaswintha, die diese plötzliche Energie ihres Sohnes gleichsam betäubt hatte, die Sprache wieder: «Mein Sohn, dies Alter der Mündigkeit ist nach den Gesetzen der Kaiser» – – «Nach den Gesetzen der Kaiser, Mutter, mögen die Römer sich richten. Wir sind Goten und leben nach gotischem Recht. Germanische Jünglinge werden mündig, wann sie das gesammelte Volksheer waffenreif erklärt.
Wir haben deshalb beschlossen, alle Heerführer und Grafen und alle freien Männer unsres Volkes; so viele ihrer dem Rufe folgen wollen, aus allen Provinzen des Reiches zur Heeresschau zu laden nach Ravenna. Mit dem nächsten Sonnwendfest sollen sie eintreffen.»
Überrascht schwieg die Versammlung.
«Das sind nur noch vierzehn Tage», sprach endlich Cassiodor. «Wird es möglich sein, in so kurzer Frist noch die Ladungen zu besorgen?» – «Sie sind besorgt. Hildebrand, mein alter Waffenmeister, und Graf Witichis haben sie alle bestellt.» – «Wer hat die Dekrete unterschrieben»? fragte Amalaswintha, sich ermannend. «Ich allein, liebe Mutter. Ich mußte doch den Geladenen zeigen, daß ich reif genug, allein zu handeln.»
«Und ohne mein Wissen!» sprach die Regentin. – «Und ohne dein Wissen geschah es, weil es sonst gegen deinen Willen geschehen mußte.»
Er schwieg. Alle Römer waren ratlos und wie betäubt von der plötzlich entfalteten Kraft des jungen Königs. Nur in Cethegus stand sogleich der Entschluß fest, jene Versammlung zu verhindern, um jeden Preis. Er sah den Grund all seiner Pläne wanken. Gern wär’ er mit aller Wucht seines Wortes der vor seinen Augen versinkenden Regentschaft zu Hilfe gekommen, gern hätte er schon mehrere Male in dieser Verhandlung das kühne Aufstreben des Jünglings mit seiner ruhigen Überlegenheit zu Boden gedrückt, aber ihm hielt ein seltsamer Zufall Gedanken und Zunge wie mit Zauberbanden gefesselt.
Er hatte in der Nische hinter dem Vorhang Geräusch zu vernehmen geglaubt und scharfe Blicke darauf geheftet: da bemerkte er unter dem Vorhang durch, dessen Fransen nicht ganz bis zur Erde reichten, die Füße eines Mannes.
Freilich nur bis an die Knöchel. Aber an diesen Knöcheln saßen Beinschienen von Erz eigentümlicher Arbeit. Er kannte diese Beinschienen, er wußte, daß sie zu einer vollen Rüstung gleicher Art gehörten, er wußte auch in unbestimmter Gedankenverbindung, daß der Träger dieser Rüstung ihm verhaßt und gefährlich, aber es war ihm nicht möglich, sich zu sagen, wer dieser Feind sei. Hätte er die Schienen nur bis ans Knie verfolgen können! Gegen seinen Willen mußte er die Augen immer und immer wieder auf jenen Vorhang richten und raten und raten. Und das bannte seinen Geist jetzt – jetzt, da alles auf dem Spiele stand. Er zürnte über sich selbst, aber er konnte Gedanken und Blicke nicht von der Nische losreißen. Der König jedoch fuhr, ohne Widerstand zu finden, fort: «Ferner haben wir die edeln Herzoge Thulun, Ibbas und Pitza, die grollend diesen Hof verlassen, aus Gallien und Spanien zurückgerufen. Wir finden, daß allzuviele Römer, allzuwenig Goten uns umgeben. Jene drei tapferen Krieger werden mit Graf Witichis die Wehrmacht unseres Reiches, die Festen und die Schiffe untersuchen und alle Schäden aufdecken und heilen. Sie werden nächstens eintreffen.» Sie müssen sogleich wieder fort, sagte Cethegus rasch zu sich selbst. Aber seine Gedanken fuhren fort: Nicht ohne Grund ist jener Mann da drinnen versteckt.
«Weiter», hob der königliche Jüngling wieder an, «haben wir Mataswinthen, unsre schöne Schwester, zurückbeschieden an unsern Hof. Man hat sie nach Tarent verbannt, weil sie sich geweigert, eines betagten Römers Weib zu werden. Sie soll wiederkehren, die schönste Blume unseres