Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn

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Название Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane
Автор произведения Felix Dahn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027222049



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dem Forum des Herkules saß ein Bürger von Ravenna auf der Marmorstufe vor seinem Hause. Es war ein Winzer und schenkte, wie der verdorrte Rebenzweig über seiner Tür zeigte, in seinem Hause selbst von seinem Gewächs. Er blickte nach dem drohenden Wettergewölk. «Ich wollte, es käme Regen», seufzte er. «Kommt nicht Regen, so kommt Hagel und zerschlägt vollends, was an Wachstum draußen die Rosse der Feinde noch nicht zerstampft haben.»

      «Nennst du die Truppen unseres Kaisers Feinde?» flüsterte sein Sohn, ein römischer Patriot. Aber leise. Denn eben bog um die Ecke eine gotische Runde.

      «Ich wollte, der Orkus verschlänge sie alle miteinander, Griechen und Barbaren! Die Goten haben wenigstens immer Durst. Siehst du, da kommt der lange Hildebadus, der ist der Durstigsten einer. Sollte mich wundern, wenn er heute nicht trinken wollte da die Steine bersten möchten vor Trockenheit.»

      Hildebad hatte die nächste Wache abgelöst und schlenderte nun langsam heran, den Helm im linken Arm, die lange Lanze lässig über der Schulter. Er schritt an der Weinschenke vorbei, zum großen Befremden ihres Herrn, bog in die nächste Seitengasse und stand bald vor einem hohen und dicken Rundturm – er hieß Turm des Aetius –, in dessen Schatten oben auf dem Walle ein schöner, junger Gote auf und nieder schritt. Lange, hellblonde Locken rieselten auf seine Schultern: und das zarte Weiß und Rot seines Gesichts wie die milden, blauen Augen gaben ihm ein fast mädchenhaftes Ansehn.

      «He, Fridugern», rief ihm Hildebad hinauf, «huiweh! Blitzjunge, hältst du’s noch immer aus auf diesem Bratrost da oben? Und mit Schild und Panzer – uf!»

      «Ich habe die Wache, Hildebad!» sagte der Jüngling sanft.

      «Ach, was Wache! Glaubst du, bei dieser Schmelzofenhitze wird Belisar stürmen? Ich sage dir, der ist froh, wenn er Luft hat, und verlangt heute kein Blut. Komm mit: ich kam dich zu holen – der dicke Ravennate auf dem Herkulesplatz hat alten Wein und junge Töchter: laß uns beide zu Munde führen.»

      Der junge Gote schüttelte die langen Locken, und seine Stirn faltete sich. «Ich habe Dienst und keinen Sinn für Mädchen. Durst habe ich freilich: – schicke mir einen Becher Wein herauf.»

      «Ach, richtig, bei Freia, Venus und Maria! Du hast ja eine Braut über den Bergen am Danubius! Und du glaubst, die merkt es gleich, und die Treue sei gebrochen, wenn du hier einer Römerdirne in die Kohlenaugen guckst. O lieber Freund, bist du noch jung! Nun, nun, nichts für ungut. Mir kann’s ja recht sein. Bist sonst ein guter Gesell und wirst schon noch älter werden. Ich schicke dir vom roten Massiker heraus: – da kannst du dann allein Allgunthens Minne trinken.»

      Und er wandte sich und war rasch in der Schenke verschwunden. Bald brachte ein Sklave dem jungen Goten einen Becher Wein; dieser flüsterte: «All Heil, Allgunthis!» und leerte ihn auf einen Zug. Dann nahm er die Lanze wieder auf die Schulter und ging auf der Mauer auf und nieder, langsamen Schrittes. «Von ihr sinnen und träumen darf ich wenigstens», sagte er, «das wehrt kein Dienst. Wann werd’ ich sie wohl wiedersehn?» Und er schritt weiter: und blieb dann gedankenvoll im Schatten des mächtigen Turmes stehn, der schwarz und drohend auf ihn niedersah. –

      Bald nach Hildebad zog eine Schar andrer Goten vorbei. Sie führten in der Mitte einen Mann mit verbundenen Augen und ließen ihn zur porta Honorii hinaus. Es war Prokop, der vergeblich noch die festgestellten drei Stunden gewartet hatte. Es war umsonst: keine Botschaft vom König kam, und mißmutig verließ der Gesandte die Stadt. Des Präfekten feiner Plan war, so schien es, an der schlichten Würde des Gotenkönigs gescheitert.

      Und noch eine Stunde verging. Es war dunkler, aber nicht kühler geworden. Da erhob sich vom Meere plötzlich ein starker Windstoß aus Süden: er schob die schwarzen Wolkenballen mit rasender Eile nach Norden. Sie lagerten jetzt dicht und schwer über der Stadt.

      Aber auch das Meer, der Südosten, ward dadurch nicht frei. Denn eine zweite, gleiche Wolkenmauer war dort emporgestiegen und hatte sich unmittelbar an die erste geschlossen. Der ganze Himmel über Meer und Land war jetzt ein schwarzes Gewölbe.

      Hildebad ging, weinmüde, nach seinem Nachtposten an der porta Honorii: «Noch immer auf Wache, Fridugern?» rief er dem jungen Goten hinauf. «Und noch immer kein Regen! Die arme Erde! Wie sie dürsten muß! Sie dauert mich! Gute Wache!»

      In den Häusern war es unleidlich schwül: denn der Wind kam aus den heißen Sandwüsten Afrikas.

      Die Leute drängten sich, geängstigt von dem drohenden Aussehen des Himmels, hinaus ins Freie, zogen in dichten Haufen durch die Straßen oder lagerten sich in Gruppen in den Vorhallen und Säulengängen der Basiliken. Auf den Stufen von Sankt Apollinaris drängte sich viel Volk zusammen. Und es ward, obwohl erst Sonnenuntergangszeit, doch völlig dunkle Nacht.

      *

      Auf dem Ruhebett in ihrem Schlafgemach lag Mataswintha, die Königin, mit todesbleichen Wangen, in schwerer Betäubung. Aber ohne Schlaf. Die weitgeöffneten Augen starrten in die Dunkelheit.

      Nicht eine Silbe hatte sie auf Aspas ängstliche Frage gesprochen und zuletzt die Weinende mit einer Handbewegung entlassen.

      Unwillkürlich kehrten in ihrem eintönigen Denken die Worte wieder: Witichis – Rauthgundis – Mataswintha! Mataswintha – Rauthgundis – Witichis!

      Lange, lange lag sie so, und nichts schien den unaufhörlichen Kreislauf dieser Worte unterbrechen zu können.

      Da plötzlich fuhr ein roter Strahl grell und blendend durch das Gemach, und im selben Augenblick schmetterte ein furchtbarer Donnerschlag, ein Donner, wie sie ihn nie vernommen, grollend, knatternd, prasselnd, krachend über die bebende Stadt.

      Der Angstschrei ihrer Frauen schlug an ihr Ohr: sie fuhr empor. Sie setzte sich aufrecht in dem Ruhebett. Aspa hatte ihr das Obergewand abgenommen. Sie trug nur noch das weißseidene Unterkleid: sie warf die wallenden Wogen ihres Haares über die Schultern und lauschte.

      Es war eine bange Stille. Und noch ein Blitz und noch ein Donnerschlag.

      Ein Windstoß riß heulend das Fenster von Milchglas auf, das nach dem Hofe führte. Mataswintha starrte in die Finsternis hinaus, die jetzt jeden Augenblick von grellen Blitzen unterbrochen wurde. Unaufhörlich rollte der Donner, selbst das furchtbare Geheul des Sturmes überdröhnend. Der Kampf der Elemente tat ihr wohl. Sie lauschte begierig, auf die Linke gestützt und mit der Rechten langsam über die Stirne streichend.

      Da eilte Aspa herein mit Licht. Es war eine Fackel, deren Flamme in einer geschlossenen Glaskugel brannte.

      «Königin, du… – Aber, bei allen Göttern, wie siehst du aus! Wie eine Lemure. Wie die Rachegöttin!»

      «Ich wollte, ich wäre es», sagte Mataswintha – es war das erste Wort seit langen Stunden – ohne den Blick vom Fenster zu wenden.

      Und Blitz auf Blitz und Schlag auf Schlag. Aspa schloß das Fenster. «O Königin, die Frommen unter deinen Mägden sagen: das sei das Ende der Welt, das da komme, und der Sohn Gottes steige nieder auf feurigen Wolken, zu richten die Lebendigen und die Toten. Hu, welch ein Blitz! Und noch kein Tropfen Regen. Nie hab’ ich solch ein Unwetter gesehen. Die Götter zürnen schwer.»

      «Wehe, wem sie zürnen. Oh, ich beneide sie, die Götter. Sie können hassen und lieben, wie’s ihnen gefällt. Und zermalmen den, der sie nicht wieder liebt.»

      «Ach Herrin, ich war auf der Straße: ich komme gerade zurück. Alles Volk strömt in die Kirchen mit Beten und Singen, den Himmel zu versöhnen. Ich bete zu Kairu und Astarte – Herrin, betest du nicht auch?»

      «Ich fluche! Das ist auch gebetet.»

      «Oh, welch ein Donnerschlag!» schrie die Sklavin und stürzte zitternd in die Knie. Der dunkelblaue Mantel, den sie trug, glitt von ihren Schultern. Der Blitz und Donner war so stark gewesen, daß Mataswintha aus den Kissen gesprungen und ans Fester geeilt war.

      «Gnade, Gnade, ihr großen Götter! Erbarmt euch der Menschen!» flehte die Afrikanerin.

      «Nein, keine Gnade! Fluch und Verderben über die elende Menschheit!

      Ha das war schön! Hörst du,