Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn

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Название Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane
Автор произведения Felix Dahn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027222049



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das müde Haupt in beiden Händen auf den Tisch. So hatte er den leicht schwebenden Schritt der Eintretenden nicht bemerkt.

      Mataswintha blieb, wie gebannt, an der Schwelle stehen. Sie hatte ihn noch niemals aufgesucht. Ihr Herz pochte mächtig. Sie konnte ihn nicht ansprechen: sie konnte nicht nähertreten.

      Endlich stand Witichis mit Seufzen auf. Da sah er die regungslose Gestalt an der Tür stehen. «Du hier, Königin?» sprach er staunend und trat ihr einen Schritt entgegen. «Was kann dich zu mir führen?»

      «Die Pflicht – das Mitleid» sagte Mataswintha rasch. «Sonst hätte ich nicht – ich habe eine Bitte an dich.»

      «Es ist die erste», sagte Witichis. – «Sie betrifft nicht mich», fiel sie schnell ein. «Ich bitte dich um Brot für Arme, Kranke, welche –»

      Da reichte ihr der König schweigend die Rechte hin.

      Es war das erstemal: sie wagte nicht, sie zu fassen, und hätte es doch, o wie gerne, getan. So faßte er selbst ihre Hand und drückte sie leicht.

      «Ich danke dir, Mataswintha, und bitte dir ein Unrecht ab. Du hast dennoch ein Herz für dein Volk und seine Leiden. Ich hätte das nie geglaubt: ich habe hart von dir gedacht.»

      «Hättest du von jeher anders von mir gedacht: – es wäre vielleicht manches besser.»

      «Schwerlich! Das Unglück heftet sich an meine Fersen. Eben jetzt – du hast ein Recht es zu wissen – brach meine letzte Hoffnung: Die Franken, auf deren Hilfe ich hoffte, haben uns verraten. Entsatz ist unmöglich: die Übermacht der Feinde durch den Abfall der Italier allzu groß. Es bleibt nur noch ein letztes: ein freier Tod.»

      «Laß mich ihn mit dir teilen», rief Mataswintha, und ihre Augen leuchteten. – «Du? Nein; die Enkelin Theoderichs wird ehrenvolle Aufnahme finden am Hofe von Byzanz. Man weiß, daß du gegen deinen Willen meine Königin geworden… – Du kannst dich laut darauf berufen.»

      «Nimmermehr!» sprach Mataswintha begeistert.

      Witichis fuhr, ohne ihrer zu achten, in seinen Gedanken fort: «Aber die andern! Die Tausende! Die Hunderttausende von Weibern, von Kindern! Belisar hält, was er geschworen! Es ist nur eine Hoffnung noch für sie: – eine einzige! Denn – alle Mächte der Natur verschwören sich gegen mich. Der Padus ist plötzlich so seicht geworden, daß zweihundert Getreideschiffe, die ich erwartete, nicht rasch genug den Fluß herabgebracht werden konnten: die Byzantiner haben sie aufgefangen!

      Ich habe nun um Hilfe an den Westgotenkönig geschrieben: er soll seine Flotte senden. Die unsre ist ja in Feindes Hand! Dringt sie in den Hafen, so kann darauf entfliehen, was nicht fechten kann und nicht sterben soll. Auch du kannst dann, wenn du es vorziehst, nach Spanien entfliehen.»

      «Ich will mit dir – mit euch sterben.»

      «In wenigen Wochen können die westgotischen Segel vor der Stadt erscheinen. Bis dahin reichen meine Speicher – der letzte Trost. Doch, das mahnt mich an deinen Wunsch: – Hier ist der Schlüssel zu dem Haupttor der Speicher. Ich trag’ ihn Tag und Nacht auf meiner Brust. Bewahre ihn wohl: – er verwahrt meine letzte Hoffnung. Er schließt das Leben von vielen Tausenden ein. Es war meine einzige Mühewaltung, die nicht fruchtlos blieb. Mich wundert», fügte er schmerzlich hinzu, «daß nicht die Erde sich aufgetan hat oder Feuer vom Himmel gefallen ist, diese meine Bauten zu verschlingen.»

      Und er nahm den schweren Schlüssel aus dem Brustlatz seines Wamses. «Hüt’ ihn wohl, es ist mein letzter Schatz, Mataswintha.»

      «Ich danke dir, Witichis – König Witichis –», sagte sie, verbessernd, und griff nach dem Schlüssel, aber ihre Hand zitterte. Er fiel.

      «Was ist dir», fragte der König, den Schlüssel ihr in die Rechte drückend, – sie steckte ihn in den Gürtel ihres weißseidnen Unterkleides – «du zitterst? Bist du krank?» setzte er besorgt hinzu.

      «Nein – es ist nichts. – Aber sieh mich nicht an so – so wie jetzt und wie heute morgen… –» – «Vergib mir, Königin», sagte Witichis, sich abwendend. «Meine Blicke sollten dich nicht kränken. Ich hatte viel, recht viel Gram in diesen Tagen. Und wenn ich nachsann, mit welcher Schuld ich all dies Unglück verdient haben könnte…» – seine Stimme wurde weich.

      «Dann? O rede?» bat Mataswintha hingerissen. Denn sie zweifelte nicht mehr an dem Sinn seines unausgesprochenen Gedankens.

      «Dann hab’ ich, unter all den ringenden Zweifeln, oft auch gedacht, ob es nicht Strafe sei für eine harte, harte Tat, die ich an einem herrlichen Geschöpf begangen habe. An einem Weibe, das ich meinem Volk geopfert –.» Und unwillkürlich sah er im Eifer seiner Rede auf die Hörerin.

      Mataswinthens Wangen erglühten: sie faßte, sich aufrecht zu halten, nach der Lehne des Stuhles neben ihr. «Endlich – endlich erweicht sein Herz, und ich – was habe ich ihm getan!» dachte sie, «und er bereut –»

      «Ein Weib», fuhr er fort, «das unsäglich um mich gelitten, mehr als Worte es sagen können.» – «Halt ein!» flüsterte sie so leise, daß er es nicht vernahm. «Und wenn ich dich in diesen Tagen um mich walten sah, weicher, milder, weiblicher als je zuvor – dann rührtest du mein Herz mit Macht: und Tränen drangen in meine Augen.» –

      «O Witichis!» hauchte Mataswintha.

      «Jeder Ton deiner Stimme sogar drang tief in meine Seele. Denn du mahnst mich dann so ganz, so herzerschütternd an –»

      «An wen?» fragte Mataswintha und wurde leichenblaß.

      «Ach, an sie, die ich geopfert! Die alles um mich gelitten, an mein Weib Rauthgundis, die Seele meiner Seele.» Wie lange hatte er den geliebten Namen nicht mehr laut gesprochen! Jetzt überwältigte ihn bei diesem Klang die Macht des Schmerzes und der Sehnsucht: und in den Stuhl sinkend bedeckte er sein Gesicht mit beiden Händen.

      Es war gut. Denn so bemerkte er nicht, wie es blitzähnlich durch die Gestalt der Königin zuckte, ihr schönes Antlitz sich medusenhaft verzerrte. Doch hörte er einen dumpfen Schlag und wandte sich.

      Mataswintha war zu Boden gesunken. Ihre linke Hand klammerte sich in die durchbrochene Rücklehne des Stuhls, an dem sie niedergeglitten war, während die Rechte sich fest auf den Mosaikboden stemmte. Ihr bleiches Haupt war vorgebeugt, das prachtvoll rote Haar flutete, losgerissen aus dem Scheitelband, über ihre Schultern: ihre scharf geschnittenen Nüstern flogen.

      «Königin!» rief er hinzueilend, sie aufzuheben, «was hat dich befallen?»

      Aber ehe er sie berühren konnte, schnellte sie wie eine Schlange empor und richtete sich hoch auf: «Es war eine Schwäche», sagte sie, «die jetzt vorbei: – leb’ wohl!» Wankend erreichte sie die Tür und fiel draußen bewußtlos in Aspas Arme.

      *

      Unterdessen hatte sich das unheimliche, drohende Ansehen der ganzen Natur noch gesteigert.

      Die kleine, rundgeballte Wolke, die Cethegus am Tage zuvor bemerkt, war der Vorbote einer ungeheuren, schwarzen Wolkenwand gewesen, welche die Nacht über aus dem Osten aufgestiegen war, jedoch seit dem Morgen unbeweglich, wie Verderben brütend, über dem Meere stand und die Hälfte des Horizonts bedeckte.

      Aber im Süden brannte die Sonne mit unerträglich stechenden Strahlen aus dem unbewölkten Himmel. Die gotischen Wachen hatten Helm und Harnisch abgelegt: sie setzten sich lieber den Pfeilen der Feinde als dieser unleidlichen Hitze aus. Kein Lüftchen regte sich mehr. Der Ostwind, der jene Wolkenschicht heraufgeführt, war plötzlich gefallen. Unbeweglich, bleigrau lag das Meer: die Zitterpappeln im Schloßgarten standen regungslos.

      Allein in die tags zuvor ebenfalls verstummte Tierwelt war Angst und Unruhe geraten. An dem heißen Sand der Küste hin flatterten Schwalben, Möwen und Sumpfvögel unsicher, ziellos, hin und her, ganz nieder an der Erde hinstreichend manchmal schrille Rufe gellend. In der Stadt aber liefen die Hunde winselnd aus den Häusern: die Pferde rissen sich in den Ställen los und schlugen, ungeduldig schnaubend, dröhnenden Hufes um sich; kläglich schrien Katzen, Esel und Maultiere, und von den Dromedaren Belisars rasten und schäumten sich drei zu