Название | Mein geniales Leben |
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Автор произведения | Jenny Jägerfeld |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783825162313 |
Jetzt hatte ich die Antwort! Geld! Wenn mein Lehrer auf der anderen Seite dieser stinkenden Turnmatte mit einem Hunderter gewedelt hätte, wäre ich mühelos mindestens über eins zwanzig rübergeflogen!
»Hör auf zu denken« ist übrigens einer der schlechtesten Ratschläge, die ich je bekommen habe. Ich hab es versucht, aber es ist einfach unmöglich, mit dem Denken aufzuhören.
Der zweite Hunderter war in einem stachligen Gestrüpp hängen geblieben und ließ sich leicht abpflücken, aber der dritte war davongeflogen und verschwunden.
»So. Ich hab es mir anders überlegt. Sie bekommen zweihundert«, sagte Oma, als das finanzielle Chaos sich gelegt hatte.
»Mindestens vierhundert will ich haben«, sagte der Mann.
»Sie bekommen zwei.«
»Dreihundertfünfzig.«
»Zwei.«
»Dreihundert.«
»Gebongt«, sagte Oma, nahm die Harpune vom Tisch und reichte sie mir.
Ich stellte erstaunt fest, wie schwer sie war, und wurde von einem so starken Glücksgefühl erfüllt, dass mir tatsächlich Tränen in die Augen kamen.
»Aber den letzten Hunderter müssen Sie sich selbst holen. Der ist irgendwo dort drüben«, erklärte Oma und wedelte mit ihrer ringgeschmückten Hand vage in Richtung Horizont.
NOCH 58 TAGE
WENN DIE HÖLLE ZU EIS GEFRIERT
»Du musst dir die Haare schneiden lassen«, sagte Mama.
»Nein, muss ich nicht.«
»Auf jedem Foto, das ich seit Mittsommer von dir gemacht habe, hängen dir die Haare übers Gesicht! Man sieht ja gar nicht mehr, wie du aussiehst!«
»Du weißt doch, wie ich aussehe?«
Ich saß auf dem Fußboden und bohrte meine Finger in Einsteins weiches Fell. Kraulte ihn hinter den Ohren und beobachtete, wie er genießerisch die Augen schloss, wie er den Kopf zurücklehnte und die große schwarze Schnauze in die Luft streckte, als wäre er ein Wolf, der gleich losheulen wollte.
»Man sieht deine Augen nicht mehr«, beschwerte Mama sich.
Rein technisch gesehen hatte sie nicht recht. Sie hätte sagen sollen: Man sieht dein Auge nicht mehr. Das andere Auge war nämlich ohne Weiteres zu sehen. Ich hatte die Haare schräg abgeschnitten, sodass sie mir nur über das eine Auge fielen.
Mama wischte sich die Hände an der Schürze ab und versuchte es auf die sanftere Tour:
»Und dabei hast du so schöne Augen.«
»Mhmm.«
»Darf man die denn nicht sehen?«
»Heißt das, du würdest mich in Ruhe lassen, wenn ich hässliche Augen hätte?«
Plötzlich ging die Küchentür auf und Oma trat ein, eine Zigarette im Mundwinkel und ein ausgestopftes Wiesel unterm Arm. Sie sah sich um, als würde sie etwas suchen, und stellte dann das Wiesel auf der Spüle ab.
»Also bitte, liebste Charlotte«, sagte Mama mit angeekelter Miene. »Musst du dieses räudige Vieh unbedingt hier abstellen, wenn ich beim Kochen bin?«
»Geduld, Darling! Ich will nur das Nähzeug holen. Hast du es irgendwo gesehen?«
Oma warf die Kippe ins Spülbecken und öffnete die Tür zur Speisekammer.
»Nein, und dort wird es ja wohl kaum zu finden sein.«
»Pavlovs Kopf ist oben ein bisschen aufgeplatzt. Ich brauche Sattlergarn oder sonst was Kräftiges, vielleicht eine Art Faden aus Metall? Dieser Faden, den du neulich besorgt hast, hat meinen Erwartungen nämlich nicht entsprochen.«
Oma beugte sich vor wie ein Klappmesser und öffnete einen Schrank, den sie durchwühlte. Ich glaube, sie kann gar nicht in die Hocke gehen. Jedenfalls habe ich das noch nie beobachtet.
»Tut mir echt leid«, sagte Mama säuerlich.
»Das war keine Kritik, Darling, das war nur eine Information.«
Ich trat vor zu Pavlov dem Wiesel und berührte vorsichtig seinen Kopf an der Stelle, wo die weißgraue flauschige Füllung hervorquoll, als würde sein Gehirn aus Fusseln bestehen. Mama hackte mit hastigen, gereizten Bewegungen weiter Zwiebeln und sagte:
»Jedenfalls habe ich morgen einen Termin zum Haareschneiden für dich ausgemacht.«
»Den kannst du gleich wieder absagen«, antwortete ich. »Ich lass mir nämlich nicht die Haare schneiden.«
Einstein knuffte mich mit seiner feuchten Schnauze am Arm, um mich daran zu erinnern, dass ich weiterkraulen sollte.
»Warum muss Sigge sich die Haare schneiden lassen?«, fragte Oma.
»Weil man sonst sein Gesicht nicht mehr sieht.«
»Warum sollte jemand sein Gesicht sehen wollen?« Oma lächelte und kniff mir in die Wange. »Das war ein Scherz, Darling, das begreifst du natürlich, wo du doch so intelligent bist. Dein Gesicht ist ganz entzückend. Müsste als Briefmarke erscheinen.«
»Wie auch immer, morgen um zwei hast du einen Termin beim Friseur, Sigge. Bitte, Mama, kannst du ihn hinbringen? Ich habe morgen ein Vorstellungsgespräch.«
»Charlotte, wenn ich bitten darf.«
»Von mir aus, Charlotte«, sagte Mama mit ziemlich angespannter Stimme. »Kannst du ihn hinbringen?«
Oma will weder Mama noch Oma genannt werden. Sie behauptet, in diesen Worten liege die eingebaute Erwartung, dass sie sich um uns kümmern werde, und das habe sie nicht vor. Es sei ja nicht so, dass sie das gar nicht wolle. Das wolle sie durchaus – aber nur ab und zu! Es solle vor allem nicht als selbstverständlich gelten. Das hatte sie sich erst vor Kurzem ausgedacht, darum hatten wir uns noch nicht so recht daran gewöhnt.
Ihr Name wird mit englischem Akzent ausgesprochen: Chaaarlott. Oma ist zur Hälfte Britin, zu einem Viertel Deutsche und zu einem Viertel Norwegerin. Und zu hundert Prozent durchgeknallt, fügt Mama meistens hinzu. Aber Oma behauptet, Mischlinge wären schlauer als reinrassige Tiere. Für mich ist das nur gut. Ich bin zur Hälfte Australier, zu einem Viertel Schwede, zu einem Achtel Brite, zu einem Sechzehntel Deutscher und zu einem Sechzehntel Norweger. Aber wenn ich ehrlich sein soll, fühle ich mich vor allem als Schwede.
»Er kann doch allein zum Frisör gehen, er ist immerhin zwölf«, sagte Oma.
»Ich weiß, dass er allein gehen kann. Das Problem ist nur, dass er nicht allein gehen wird, weil er sich die Haare nicht schneiden lassen will.«
»Aber Hannah, dann verstehe ich wirklich nicht, warum du ihn beim Friseur angemeldet hast?«
»Ich glaube, es tut ihm nicht gut, wenn er sein schwaches Auge nicht trainiert!«
»Oh dear! Ich wusste gar nicht, dass Haare so ein heikles Thema sein können.«
Plötzlich läutete das Telefon. Ein altes rotes Plastikding mit langem Ringelkabel, das im Flur an der Wand hing.
»Saved by the bell«, sagte Oma und zwinkerte mir zu, bevor sie abnahm und in ihre professionelle Stimme wechselte:
»The Royal Grand Golden Hotel Skärblacka, Charlotte speaking!«
Oma schwieg kurz, nickte und hörte zu.
»Nein, bedaure. Es tut mir wirklich leid, aber das Hotel ist momentan total ausgebucht. Den ganzen Sommer, ja. Alle Zimmer. Hoffentlich finden Sie etwas anderes. Vielen Dank, dass Sie an The Royal Grand Golden Hotel in Skärblacka gedacht haben! Bye-bye.«
Sie