Reise zum Mittelpunkt der Erde. Jules Verne

Читать онлайн.
Название Reise zum Mittelpunkt der Erde
Автор произведения Jules Verne
Жанр Языкознание
Серия Jules Verne bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962817817



Скачать книгу

der Erde zu rei­sen! Wel­che Tor­heit! Ich spar­te mei­ne Ein­wen­dun­gen für den güns­ti­gen Mo­ment auf und mach­te mich ans Es­sen.

      Wie fluch­te mein On­kel, als er den Tisch nicht ge­deckt sah. Al­les klär­te sich auf. Die gute Mar­tha be­kam wie­der ihre Frei­heit, eil­te auf den Markt und rühr­te sich der­ge­stalt, dass nach ei­ner Stun­de mein Hun­ger ge­stillt war und das Be­wusst­sein der Lage mir wie­der­kam.

      Wäh­rend der Mahl­zeit war mein On­kel fast lus­tig; er ließ Scher­ze hö­ren, die bei ei­nem Ge­lehr­ten nie sehr ge­fähr­lich sind. Nach dem Des­sert wink­te er mir, ihm in sein Ka­bi­nett zu fol­gen.

      Ich ge­horch­te. Er setz­te sich ans eine Ende des Ti­sches, ich ans an­de­re.

      »Axel«, sag­te er mit ziem­lich sanf­ter Stim­me, »du bist ein sehr ge­schei­ter Jun­ge; du hast mir da einen wa­cke­ren Dienst ge­leis­tet, als ich des Rin­gens müde, schon den Ge­dan­ken auf­ge­ben woll­te. Wo­hin wäre ich ge­ra­ten? Nie­mand kann das wis­sen! Ich wer­de dir’s nie­mals ver­ges­sen, und du wirst an dem Ruhm, den wir er­lan­gen wer­den, dei­nen An­teil ha­ben.«

      Nun, dacht ich, ist er gu­ter Lau­ne; da ist’s Zeit, über den Ruhm zu dis­pu­tie­ren.

      »Vor al­lem«, fuhr mein On­kel fort, »emp­feh­le ich dir völ­li­ges Ge­heim­nis, ver­stehst du mich? Es fehlt in der Ge­lehr­ten­welt nicht an Nei­di­schen, und es wür­den vie­le die Rei­se un­ter­neh­men wol­len, die bis zu un­se­rer Rück­kehr nichts mer­ken sol­len.«

      »Mei­nen Sie«, sag­te ich, »die Zahl sol­cher Ver­we­ge­nen sei so groß?«

      »Ganz ge­wiss! Wer wür­de sich be­sin­nen, solch einen Ruhm zu ge­win­nen? Wäre dies Do­ku­ment be­kannt, so wür­de ein gan­zes Heer von Geo­lo­gen hin­ei­len, Arne Sak­nus­semms Spur zu ver­fol­gen.«

      »Da­von bin ich aber gar nicht über­zeugt, lie­ber On­kel, denn die Echt­heit des Do­ku­ments ist durch nichts er­wie­sen.«

      »Wie? Und das Buch, worin wir’s ge­fun­den ha­ben?«

      »Gut! Ich gebe zu, dass Sak­nus­semm die­se Zei­len ge­schrie­ben hat, aber folgt dar­aus, dass er wirk­lich die Rei­se vor­ge­nom­men hat, und kann nicht das alte Per­ga­ment eine Fop­pe­rei ent­hal­ten?«

      Es war mir fast leid, dies letz­te­re et­was ke­cke Wort her­aus­ge­sagt zu ha­ben. Der Pro­fes­sor run­zel­te die Stirn, und ich fürch­te­te Schlim­mes für die Fort­set­zung die­ser Un­ter­hal­tung. Zum Glücke hat­te es nichts zu be­deu­ten. Mein stren­ger Ge­nos­se er­wi­der­te mit leich­tem Lä­cheln:

      »Das wer­den wir se­hen.«

      »Ach!« sag­te ich et­was ver­dutzt; »aber er­lau­ben Sie mir vor­zu­brin­gen, was sich al­les über das Do­ku­ment sa­gen lässt.«

      »Rede, lie­ber Jun­ge, ge­nie­re dich nicht. Ich las­se dir alle Frei­heit, dei­ne Mei­nung zu sa­gen. Du bist nun nicht mehr mein Nef­fe, son­dern mein Kol­le­ge. Also vor­wärts.«

      »Nun, so will ich Sie erst fra­gen, was sind die­se Yo­kul, Snef­fels und Scar­ta­ris, wo­von ich nie ein Wort habe re­den hö­ren?«

      »Das ist ganz leicht. Ich habe just vor kur­z­em von mei­nem Freund Au­gust Pe­ter­mann in Go­tha eine Kar­te be­kom­men, die mir ge­ra­de zu rech­ter Zeit kam. Nimm den drei­ßigs­ten At­las im zwei­ten Fach der großen Biblio­thek, Rei­he Z. Brett 4.«

      Ich stand auf und fand in Ge­mäß­heit die­ser ge­nau­en An­ga­be rasch den be­gehr­ten At­las. Mein On­kel schlug ihn auf und sag­te:

      »Hier ist eine der bes­ten Kar­ten von Is­land, die Han­der­son­sche; ich glau­be, die wird uns alle Schwie­rig­kei­ten lö­sen.«

      Ich beug­te mich über die Kar­te.

      »Sieh die­se aus Vul­ka­nen be­ste­hen­de In­sel«, sag­te der Pro­fes­sor, »und mer­ke, dass sie alle mit dem Na­men Yo­kul be­zeich­net sind. Dies Wort be­deu­tet im Is­län­di­schen ›Glet­scher‹, und un­ter dem ho­hen Breit­grad Is­lands ge­sche­hen die meis­ten vul­ka­ni­schen Aus­brü­che durch die Eis­de­cke.«

      Ich beugte mich über die Karte. Ich beugte mich über die Karte.

      »Gut«, er­wi­der­te ich, »aber was ist dann Snef­fels?« Ich hoff­te, er wis­se die­se Fra­ge nicht zu be­ant­wor­ten. Wie irr­te ich mich! Mein On­kel fuhr fort:

      »Fol­ge mir auf die west­li­che Küs­te Is­lands. Siehst du sei­ne Haupt­stadt Rey­kja­wik? Ja. Gut. Fah­re über die un­zäh­li­gen Fjor­de die­ser zer­ris­se­nen See­küs­te, und hal­te et­was un­ter dem fünf­und­sech­zigs­ten Brei­ten­grad an. Was siehst du da?«

      »Eine Art Halb­in­sel, gleich ei­nem ab­ge­nag­ten Kno­chen.«

      »Der Ver­gleich ist rich­tig, lie­ber Jun­ge; jetzt, siehst du nichts auf die­ser Halb­in­sel?«

      »Ja, einen Berg, der aus dem Meer em­por­ge­wach­sen scheint.«

      »Gut! Die­ser Snä­fields Jö­cul ist der Snef­fels.«

      »Der Snä­fields Jö­cul?«

      »Der ist’s, ein fünf­tau­send Fuß ho­her Berg, ei­ner der merk­wür­digs­ten auf der In­sel, und ge­wiss der be­rühm­tes­te der gan­zen Welt, wenn sein Kra­ter den Ein­gang zum Zen­trum der Erde bil­det.«

      »Aber das ist un­mög­lich!« rief ich mit Ach­sel­zu­cken, und ge­gen eine sol­che An­nah­me mich sträu­bend.

      »Un­mög­lich!« er­wi­der­te der Pro­fes­sor Li­den­b­rock mit stren­gem Ton. »Und warum?«

      »Weil die­ser Kra­ter of­fen­bar mit Lava ver­stopft ist, die Fel­sen glü­hen, und dann …«

      »Und wenn’s ein aus­ge­brann­ter Kra­ter ist?«

      »Aus­ge­brannt?«

      »Ja. Die Zahl der noch tä­ti­gen Vul­ka­ne auf der Erd­ober­flä­che be­trägt ge­gen­wär­tig nur etwa drei­hun­dert; aber es gibt eine noch weit grö­ße­re An­zahl er­lo­sche­ner Vul­ka­ne. Un­ter die letz­te­ren ge­hört der Snef­fels, der seit den his­to­ri­schen Zei­ten nur einen Aus­bruch ge­habt hat, im Jah­re 1219; seit­dem ist er all­mäh­lich stil­le ge­wor­den, und er ge­hört nicht mehr zu den tä­ti­gen Vul­ka­nen.«

      Auf die­se be­stimm­ten An­ga­ben hat­te ich durch­aus nichts zu er­wi­dern; ich warf mich also auf die üb­ri­gen Schwie­rig­kei­ten, die das Do­ku­ment ent­hielt.

      »Was be­deu­tet das Wort Scar­ta­ris«, frag­te ich, »und was ha­ben die Ka­len­den des Juli da­bei zu schaf­fen?«

      Mein On­kel be­sann sich ei­ni­ge Au­gen­bli­cke. Ei­nen Au­gen­blick hat­te ich Hoff­nung, aber auch nur einen Au­gen­blick, denn bald ant­wor­te­te er mir fol­gen­der­ma­ßen:

      »Was du Dun­kel­heit nennst, ist für mich Licht. Dies be­weist die sinn­rei­che Sor­ge, wo­mit Sak­nus­semm sei­ne Ent­de­ckung ge­nau be­zeich­nen woll­te. Der Snef­fels hat meh­re­re Kra­ter, und es war da­her er­for­der­lich, den­je­ni­gen, wel­cher zum Mit­tel­punkt der Erde führt, an­zu­ge­ben. Wie hat’s nun der ge­lehr­te Is­län­der ge­macht? Er hat be­merkt, dass beim Her­an­na­hen des ers­ten Juli, also ge­gen Ende des Juni, eine der Berg­spit­zen, der Scar­ta­ris, ih­ren Schat­ten bis zu der Mün­dung