Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Название Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman)
Автор произведения Karl May
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026866886



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meinte der Alte, indem er sich hinter den Ohren kratzte. »Das ist ein schlimmes Ding! Mit der Eisenbahn oder mit der Post?«

      »Vielleicht weiß ich Hilfe. Ich will übermorgen einen Verwandten besuchen, und da komme ich an der Residenz vorbei.«

      »Ah! Willst Du so gut sein und die Kartoffeln mitnehmen?«

      »Gern!«

      »Abgemacht, Gevatter! Ich sacke sie morgen ein und bringe sie Dir hinunter. Aber, da, hm, ich muß hinaus. Da kommt ja schon das Begräbniß!«

      Er hatte einen Blick durch das Fenster geworfen. Der Schmied wußte wohl, was er meinte, fragte aber doch:

      »Welches Begräbniß denn?«

      »Weißt Du das nicht? Der Botenfrau ihr Kleiner ist am Scharlach gestorben; den bringen sie jetzt.«

      »Wird es lange dauern?«

      »O nein. Mit armer Leute Kind wird wenig Federlesen gemacht; das wißt Ihr ja.«

      »Aber Du mußt ja das Grab zuwerfen! Und wir wollten doch gern ein Spielchen machen.«

      »Das mit dem Zuwerfen hat Zeit. Ich mache es, wenn wir fertig sind; das macht keine große Mühe.«

      »Gut! Wir helfen Dir dabei.«

      Ein Mann brachte einen kleinen Sarg getragen. Hinter ihm kam die Leichenfrau und die Mutter des Kindes. Das war der ganze Begräbnißzug. Diese drei wurden vom Todtengräber empfangen und nach dem Grabe geführt. Man ließ den Sarg hinab und betete ein stilles Vaterunser. Damit war die Ceremonie zu Ende. Wenn ein Reicher, ein Vornehmer sich von seinem Kinde trennt, geschieht es mit größerem Pompe, und doch ist das Herz einer armen Mutter ebenso empfänglich für das Herzeleid wie dasjenige einer feinen Dame.

      Der Leichenconduct verließ den Friedhof, und der Todtengräber kehrte in sein Stübchen zurück. Es begann, dunkel zu werden, und darum wurde eine Lampe angebrannt. Beim Scheine derselben begann das Spiel, nicht ein Spiel um Gold- oder Silberstücke, sondern um den zwanzigsten Theil eines Pfennigs.

      Nach einiger Zeit stieß der Schmied seinen Sohn an.

      »Lasse Niemand hinaus!« raunte er ihm zu.

      Er erhob sich und verließ das Stübchen mit der unbefangenen Miene eines Mannes, der etwas ganz Gewöhnliches beabsichtigt. Hinter dem Häuschen angekommen, lauschte er einige Secunden lang. Es war Nacht geworden. Niemand konnte ihn sehen.

      Mit schnellen aber vorsichtigen Schritten eilte er dem kleinen Grabe zu. Er hatte vorhin durch das Fenster geblickt und sich die Stelle ganz genau gemerkt. Es war offen. Er bückte sich und fühlte hinab. Auf dem kleinen Sarge lagen einige Feldblumen, welche die arme Mutter unterwegs gepflückt und dem Kinde in das Grab nachgeworfen hatte.

      Der rauhe Mann legte die Blumen sorgfältig heraus, ehe er den Sarg emporzog. Er öffnete denselben, nahm das Kind heraus und legte es einstweilen zur Seite. Dann machte er den Deckel wieder zu, senkte den Sarg wieder hinab und legte die Blumen darauf. Jetzt nun zog er ein altes Tuch hervor, welches er unter der zugeknöpften Weste stecken gehabt hatte, wickelte die Leiche hinein und trug sie nach der Ecke des Friedhofes, wo er sie in einem dichten Gebüsch einstweilen versteckte.

      Das beabsichtigte Werk war vollbracht, und er kehrte nun wieder in die Stube zurück. Es war so schnell geschehen, daß die Zeit, welche er gebraucht hatte, gar nicht auffiel.

      »War's finster draußen?« fragte sein Sohn.

      »Na, es geht!« antwortete der Vater.

      Das war das Zeichen, das Alles gelungen sei, und das Spiel begann von Neuem. Als es zu Ende war, schlug es eben Mitternacht.

      »So lange?« fragte der Todtengräber erstaunt. »Wie ist uns die Zeit doch so kurz geworden. Nun werde ich das Grab doch offen lassen müssen.«

      »Warum denn?« fragte der Wirth.

      »Es ist zu spät! Morgen früh ist's auch noch Zeit. Freilich darf es Niemand wissen, denn es soll kein Grab so lange offen stehen.«

      »Gut! Wir helfen Dir!«

      »Wirklich? Angenommen! Da sind wir in fünf Minuten fertig«

      Sie nahmen Schaufeln und eine Laterne und begaben sich nach dem Grabe. Die Todtengräberin leuchtete.

      »Das arme Wurm ist so rasch gestorben!« meinte sie. »Ich möchte die Leiche doch gern erst einmal sehen!«

      »So wollen wir aufmachen!« antwortete ihr Mann.

      »Unsinn! Was fällt Euch ein!« entgegnete der Wirth rasch. »Das wäre ja Leichenschänderei!«

      »Ich bin Todtengräber! Da nimmt man es nicht so genau!«

      »Das mag sein. Aber öffnet man denn einen Sarg, in dem eine Scharlachfieberleiche liegt?«

      »Das ist wahr! Alte, wollen vorsichtig sein, daß wir in unseren alten Tagen nicht etwa an einer Kinderkrankheit sterben!«

      Damit war die Gefahr vorüber. Das Grab wurde zugeworfen, und dann empfahlen der Schmied und sein Sohn sich den Gevattersleuten.

      »Gute Nacht, Gevatter!« rief ihnen der Todtengräber nach. »Also morgen bringe ich die Kartoffeln!«

      »Ja. Uebermorgen nehme ich sie mit.«

      Als die Beiden eine kurze Strecke gegangen waren, blieben sie lauschend stehen, um zu horchen. Nach einer Weile meinte der Sohn:

      »Der Gevatter ist gleich zu Bett. Das Licht ist ausgelöscht. Wohin hast Du die Leiche getragen?«

      »Warte hier; ich hole sie.«

      »Wann geht es nach dem Schlosse?«

      »Gleich. Dort ist man auch bereits schlafen gegangen. Das gnädige Fräulein ist ja nicht daheim.«

      »So will ich einstweilen die Filzschuhe und die Schlüssel holen. Wo treffen wir uns?«

      »Bei der Buche am Schloßwege.«

      »Gut, Vater.«

      Er stieg in das Dorf hinab, schlich sich zur Schänke hin und in den Garten derselben. In der Stube saßen noch einige Gäste. An den Garten stieß die Scheune, deren hinteres Thor offen gelassen war. In einer Ecke der Tenne steckten unter dem Stroh zwei Paar Filzschuhe und ein Bund Nachschlüssel. Diese Gegenstände nahm er zu sich und begab sich dann nach der Buche. Da er vorsichtig hatte sein müssen, so traf er den Vater bereits dort an.

      »Hast Du Alles?« fragte dieser.

      »Alles. Ziehen wir die Schuhe gleich hier an?«

      »Ja; die Stiefel stecken wir in das Gebüsch.«

      »Wie aber kommen wir in das Schloß?«

      »Das wird sich finden. Jetzt weiß ich noch nicht, ob man noch munter ist. Vielleicht steht ein Fenster neben dem Blitzableiter offen.«

      Sie wechselten die Stiefel mit den Filzschuhen. Letztere machten ihre Schritte unhörbar; erstere wurden im Gebüsch versteckt.

      Beim Schlosse angekommen, umschlichen sie dasselbe. Der Sohn trug die Kindesleiche und der Vater die Nachschlüssel, welche er mit einem Tuche umwickelt hatte. An einem der hinteren Fenster war noch Licht. Der Schmied kannte das Innere des Schlosses sehr genau, da er alle in sein Fach einschlagenden Reparaturen hier besorgt hatte.

      »Das ist das Stübchen neben der Küche,« meinte er. »Da wird das Weibsvolk sitzen und klatschen. Wenn die Herrin nicht da ist, so hat die Dienerschaft freie Zeit. Warte hier!«

      Er ging. Als er nach kurzer Zeit zurückkam, flüsterte er:

      »Es geht Alles gut. Dort das Eckfenster ist offen. Wir steigen ein. Sollte die Thür verschlossen sein, so öffne ich. Wir kommen in den Flur und von da nach der Treppe. Die Stube, in welcher der Kleine schläft, kenne ich ganz genau.«

      »Aber die Bonne!«

      »Sie sitzt mit da drin. Wie es scheint, haben sie sich eine Chocolade gekocht. Da