Название | Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie |
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Автор произведения | Georg Ebers |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788075836854 |
Der Alte richtete sich auf, warf einen flüchtigen Blick auf das Gebäude, ordnete mit der Hand seinen dichten grauen Bart, der Kinn und Wangen, aber nicht die Lippen8 umgab, und fragte kurz: »Welches Wesen, Phanes, machst Du von dieser Rhodopis? Seit wann preisen die Athener alte Weiber?« Der also Angeredete lächelte und erwiederte selbstgefällig: »Ich glaube, daß ich mich auf die Menschen, und ganz besonders auf die Frauen wohl verstehe, versichere Dich aber nochmals, daß ich nichts Edleres in ganz Aegypten kenne, wie diese Greisin. Wenn Du sie und ihre holde Enkelin gesehen und Deine Lieblingsweisen von einem Chor vortrefflich eingeübter Sklavinnen9 gehört haben wirst, so dankst Du mir sicher für meine Führung!« – »Dennoch,« antwortete mit ernster Stimme der Spartaner, »wäre ich Dir nicht gefolgt, wenn ich nicht den Delphier Phryxus allhier zu treffen hoffte.«
»Du findest ihn. Auch erwarte ich, daß Dir der Gesang wohlthun und Dich Deinem düsteren Sinnen entreißen wird.« Aristomachus schüttelte verneinend das Haupt und sagte: »Dich, leichtblütigen Athener, mag der Gesang der Heimath ermuntern; mir aber wird es, wenn ich die Lieder des Alkman10 vernehme, ergehen, wie in meinen wachend durchträumten Nächten. Mein Sehnen wird nicht gestillt, es wird verdoppelt werden.«
»Glaubst Du denn,« fragte Phanes, »daß ich mich nicht nach meinem geliebten Athen, den Spielplätzen meiner Jugend und dem lebendigen Treiben des Marktes zurücksehne? Wahrlich, das Brod der Verbannung will auch mir nicht munden, doch wird es durch Umgang wie den, welchen dieses Haus bietet, schmackhafter, und wenn meine theuren hellenischen Lieder, so wunderbar schön gesungen, zu meinem Ohre dringen, dann baut sich in meinem Geiste die Heimath auf; ich sehe ihre Oel- und Fichtenhaine, ihre kalten, smaragdnen Flüsse, ihr blaues Meer, ihre schimmernden Städte, ihre schneeigen Gipfel und Marmorhallen, und eine bittersüße Thräne rinnt mir in den Bart, wenn die Töne schweigen und ich mir sagen muß, daß ich in Aegypten verweile, diesem einförmigen, heißen, wunderlichen Lande, welches ich, Dank sei den Göttern, bald verlassen werde. Aber, Aristomachus, wirst Du die Oasen der Wüste umgehen, weil Du Dich doch später wieder durch Sand und Wassermangel winden mußt? Willst Du das Glück einer Stunde fliehen, weil trübe Tage Deiner warten? – Halt, da wären wir! Mach’ ein fröhliches Gesicht, mein Freund, denn es ziemt sich nicht, in den Tempel der Charitinnen11 traurigen Muthes zu treten.«
Die Barke landete bei diesen Worten an der vom Nil bespülten Mauer des Gartens. Leichten Sprunges verließ der Athener, schweren aber festen Schrittes der Spartaner das Fahrzeug. Aristomachus trug einen Stelzfuß; dennoch wanderte er so kräftigen Schrittes neben dem leichtfüßigen Phanes dahin, daß man denken konnte, er sei mit dem hölzernen Beine zur Welt gekommen.
Im Garten der Rhodopis duftete, blühte und schwirrte es wie in einer Mährchennacht. Akanthus, gelbe Mimosen, Hecken von Schneeballen, Jasmin und Flieder, Rosen und Goldregenbüsche drängten sich aneinander, hohe Palmen, Akazien und Balsambäume überragten die Sträucher, große Fledermäuse mit zarten Flügeln wiegten sich über dem Ganzen, und auf dem Strome tönte Gesang und Gelächter.
Ein Aegypter hatte diesen Garten angelegt, und die Erbauer der Pyramiden waren von Alters her als Gartenkünstler hoch berühmt12. Sie verstanden es, die Beete sauber abzustecken, regelmäßige Baum- und Sträuchergruppen zu pflanzen, Wasserleitungen und Springbrunnen, Lauben und Lusthäuschen anzulegen, ja sogar die Wege mit künstlich beschnittenen Hecken zu umzäunen, und Goldfischzucht in steinernen Becken zu treiben.
Phanes blieb an der Pforte der Gartenmauer stehen, schaute sich aufmerksam um und horchte in die Luft hinaus, dann schüttelte er den Kopf und sagte. »Ich begreife nicht, was dieß zu bedeuten hat. Ich höre keine Stimmen, sehe kein Licht, alle Barken sind fort, und dennoch flattert die Fahne auf der bunten Stange neben den Obelisken zu beiden Seiten der Pforte13. Rhodopis muß abwesend sein. Sollte man vergessen haben? . . . . .« Er hatte nicht ausgeredet, als er von einer tiefen Stimme unterbrochen wurde: »Ach, der Oberst der Leibwache!«
»Fröhlichen Abend, Knakias!« rief Phanes, den auf ihn zutretenden Greis mit Freundlichkeit begrüßend. »Wie kommt es, daß dieser Garten so still ist wie eine ägyptische Grabkammer, während ich doch die Fahne des Empfanges flattern sehe? Seit wann weht das weiße Tuch vergeblich nach Gästen?«
»Seit wann?« erwiederte lächelnd der alte Sklave der Rhodopis. »So lange die Parcen meine Herrin gnädig verschonen, ist auch die alte Fahne sicher, so viele Gäste herbei zu wehen, als dieses Haus zu fassen vermag. Rhodopis ist nicht daheim; muß aber bald wiederkommen. Der Abend war so schön, daß sie sich mit allen Gästen zu einer Lustfahrt auf dem Nil entschlossen hat. Vor zwei Stunden, beim Sonnenuntergange, sind sie abgesegelt, und die Mahlzeit steht schon bereit14. Sie können nicht mehr lange ausbleiben. Ich bitte Dich, Phanes, sei nicht ungeduldig, und folge mir in’s Haus. Rhodopis würde mir nicht verzeihen, wenn ich einen so lieben Gast nicht zum Verweilen nöthigen wollte. Dich aber, Fremdling,« fuhr er, den Spartaner anredend, fort, »bitte ich herzlich zu verweilen, denn als Freund ihres Freundes wirst auch Du meiner Herrin hoch willkommen sein.«
Die beiden Griechen folgten dem Diener und ließen sich in einer Laube nieder.
Aristomachus betrachtete seine vom Monde hell erleuchtete Umgebung und sprach: »Erkläre mir, Phanes, welchem Glücke diese Rhodopis, eine frühere Sklavin und Hetäre15, es verdankt, daß sie wie eine Königin wohnt und ihre Gäste fürstlich zu empfangen vermag?«
»Diese Frage erwartete ich längst,« erwiederte der Athener, »es freut mich, daß ich Dich, ehe Du in das Haus dieses Weibes trittst, mit ihrer Vergangenheit bekannt machen darf. Während der Nilfahrt wollte ich Dir keine Erzählung aufdrängen. Dieser alte Strom zwingt mit unbegreiflicher Macht zum Schweigen und zur stillen Beschaulichkeit. Als ich, wie Du soeben, zum erstenmal eine nächtliche Nilfahrt machte, war auch mir die sonst so schnelle Zunge wie gelähmt.«
»Ich danke Dir,« antwortete der Spartaner. »Als ich den hundertfünfzig Jahre alten Priester Epimenides16 von Knossus auf Kreta zum erstenmale sah, überkam mich ein seltsamer Schauder, seines Alters und seiner Heiligkeit wegen; wie viel älter, wie viel heiliger aber ist dieser greisenhafte Strom ›Aigyptos‹17. Wer möchte sich seinem Zauber entziehen? Doch bitte ich Dich, mir von Rhodopis zu erzählen!«
»Rhodopis,« begann Phanes, »ward als kleines Kind, da sie eben am thracischen Strande mit ihren Gefährtinnen spielte, von phönizischen Seefahrern geraubt und nach Samos gebracht, woselbst sie Iadmon, ein Geomore18