Wer braucht schon eine Null. Christine Corbeau

Читать онлайн.
Название Wer braucht schon eine Null
Автор произведения Christine Corbeau
Жанр Языкознание
Серия Nullen-Reihe
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783982064581



Скачать книгу

Noch zwei Minuten. Jetzt oder nie.

       Habe ich es dir nicht gesagt, dass das nichts wird? Du hast nur drei Viertel der Dateien kontrolliert. Was, wenn du einen falschen Verweis in der Arbeit übersehen hast?

       Das ist doch vollkommen Latte, Little Miss Perfect. Wenn ich jetzt nicht auf den Knopf drücke, ist alles Essig.

      Und ich drückte.

      Dann bemerkte ich den Fehler.

      Na bravo, das hast du ja geschickt eingefädelt«, murmelte Simon, während er blicklos vor sich hinstarrte. Schließlich bemerkte er doch, was seine Augen wahrnahmen. Es war der Ausdruck, den er ganz oben an sein Whiteboard geheftet hatte.

      Dieser Ausdruck zeigte sein Lieblingsfoto von Martha. Damals waren sie mit ihren Skateboards unterwegs gewesen – er mit seinem nagelneuen Longboard und sie mit dem uralten Board, das ihr Vater ihr einmal geschenkt hatte. Martha hatte an diesem Tag viel Spaß dabei gehabt, um ihn herumzudüsen, während er noch mit der Handhabung seines Boards kämpfte. Kunststück. Sie skatete schon, seit sie 13 Jahre alt war, und hatte in ihrem alten Herrn einen erstklassigen Lehrmeister. Aber trotzdem hatte sie es ihn nie wirklich spüren lassen, dass er ein absolutes Greenhorn war, hatte ihn sogar dazu ermuntert, sich dieses Board zu kaufen. Als er endlich halbwegs klarkam, hatten sie zusammen viel Spaß gehabt. Schließlich hatten sie auf einer Straßenüberführung eine Pause gemacht. Martha hatte sich auf ihr Board gesetzt, in die Sonne geschaut und in einer Art und Weise gelächelt, die den Eindruck vermittelte, sie hätte gerade etwas über die Welt erfahren, das sie amüsierte. In den Gläsern ihrer Sonnenbrille hatte sich der blaue Himmel gespiegelt. Da hatte er sein Handy gezückt und sie fotografiert. Sie hatte es geschehen lassen und nicht aufbegehrt, obwohl sie es normalerweise nicht mochte, geknipst zu werden. Stattdessen hatte sie nun ihn mit ihrem Lächeln beschenkt. Spontan hatte er das Gefühl gehabt, dass in seinem Inneren eine kleine Sonne aufgegangen wäre.

      Das Display des Handys wurde dunkel und erinnerte ihn schmerzhaft an das abgebrochene Gespräch. Zurück blieb ein diffuser Druck in seiner Magengegend, als hätte er einen Stein verschluckt. Wie hatte er es nur so weit kommen lassen können? Natürlich war ihm die Skype-Verabredung letztendlich nicht wirklich recht gewesen. Nicht etwa, weil er keine Zeit gehabt hätte. Oder keine Lust. Im Gegenteil, er hatte sich sehr darauf gefreut, sie nach all den Monaten, in denen es einfach nicht hatte klappen wollen, nun endlich wieder live sehen zu können. Umso mehr hatte er sich gefreut, dies allein und unbelastet tun zu können. Raoul war ja sowieso nicht da und zum Glück hatte auch Egita sich für ein langes Wochenende zu ihrer Family begeben.

      Egita.

      Kaum, dass ihm der Name seiner zweiten Mitbewohnerin durch den Kopf ging, fühlte Simon sich wieder einmal total verwirrt.

      Was war da Anfang des Sommers nach dem Abend auf dem Salsa-Festival gewesen?

      Was war jetzt?

      Und was würde womöglich werden?

      Wollte er überhaupt, dass es da etwas zum Werden gab?

      Sicher, sie war eine echte Augenweide. Und sie konnte sich bewegen, als hätte sie keine Wirbelsäule. Doch wenn er ehrlich mit sich selbst war, dann traf exakt dies auch auf Martha zu. Nur war sie eben über tausend Kilometer weit weg.

      Aber kaum dass er das Tablet in der Küche platziert hatte, wo das WLAN am stabilsten war, hatte er das Schloss der Wohnungstür klacken gehört. Egita war hereingekommen und hatte etwas von einem Zugausfall gemurmelt, ihm dabei allerdings einen seltsamen Blick zugeworfen. Und dann war sie ständig in seiner Nähe herumgewuselt. Als hätte sie geahnt, dass er eigentlich ungestört sein wollte. Da war Skypen einfach keine Option mehr gewesen. Was, wenn sie plötzlich ins Bild laufen würde?, hatte er sich gefragt.

      Dann wäre er in Erklärungsnot.

      In der Not, etwas zu erklären, das er bisher nicht einmal sich selbst erklären konnte.

      Und genau weil dies so war, hatte er es einfach nicht riskieren wollen, es zu riskieren. Also hatte er sich einen Feigling gescholten und Martha angerufen, anstatt zu skypen.

      Und jetzt war auch dieses Gespräch so vollkommen in die Hose gegangen, wie er es sich selbst in seinen schlimmsten Albträumen nicht hätte ausmalen können.

      Warum war er bloß auf die Idee gekommen, die Namens-Sache zu erwähnen? Wahrscheinlich hatte ihn der Stressfaktor Egita so abgelenkt, dass er nicht darauf geachtet hatte, was er sagte. Und er hatte sich darüber geärgert, dass Martha seine Freude über das Angebot der Firma, bei der er sein Praktikum machte, nicht zu teilen schien. Da war es ihm wohl rausgerutscht. Im Grunde keine große Sache. Nur hatte sich das Gespräch dadurch in eine Richtung entwickelt, die sich bestimmt keiner von ihnen gewünscht hatte. Und dann hatte Martha aufgelegt, bevor es ihm auch nur ansatzweise gelungen war, die Kuh vom Eis zu holen.

      Schon machte sich in seinem Inneren eine leichte Verstimmung darüber bemerkbar, dass sie ihm diese Chance genommen hatte. Vielleicht wäre es besser, erst einmal ein wenig Gras über die Sache wachsen zu lassen, bevor er sich wieder meldete. Oder einfach zu warten, bis Martha ihn entweder zurückrief oder anschrieb.

      Er beschloss, nichts zu überstürzen.

      Simon Pfahl, du … Pfosten!«, schrie ich mit geballten Fäusten in den leeren Raum hinein. Dann ließ ich den Kopf sinken und klopfte mit der Stirn auf die Tischplatte direkt vor dem geöffneten Laptop, der den Fortschrittsbalken des Uploads meiner Arbeit anzeigte. Was er außerdem anzeigte, war etwas, das dort ganz und gar nicht hingehörte. Aber ich konnte den Upload jetzt nicht mehr abbrechen. Das Zeitfenster war geschlossen.

      Ich stieß mich mit den Händen von der Tischplatte ab und rollte auf dem Bürostuhl rückwärts, bis dieser vom Bett aufgehalten wurde. Dort hob ich den Kopf zur Zimmerdecke und rief mit zusammengekniffenen Augen: »Warum habe ich mich von diesem dämlichen Wunsch, dich zu sehen, ablenken lassen? Warum habe ich nicht zuerst das erledigt, was für mein Leben wichtig ist und dich danach angerufen? Vielleicht wäre dann auch das Gespräch anders gelaufen. Rrrrrrraa, arrrrlaaaaa!«

      »Oh, höre ich da einen alveolaren Vibranten? Und das von dir? Wer hat dich denn so auf die Palme gebracht?«

      Ich fuhr herum, blieb an der Bettkante hängen und kippte vom Stuhl. Mühsam wand ich den Kopf aus dem Kissenberg, den ich bei meiner Suche nach dem Handy verursacht hatte, und blickte in das Gesicht von Hannes. Er studierte ebenso wie ich an der Uni Potsdam auf Lehramt, allerdings nicht Englisch und Spanisch, sondern Deutsch und Geschichte. Einen Teil der Vorlesungen in Phonetik hatten wir aber zusammen und so war er mir beim Gegenlesen der Arbeit eine große Hilfe gewesen.

      »Mein Leben ist vorbei«, nuschelte ich mit dem Mund voller Bettlaken. Dann schaffte ich es mich vollends aufzurichten und ergänzte: »Ich hab es gerade noch so geschafft, das Dateipaket hochzuladen und sehe eben, dass ich aus irgendeinem Grund ‘Eleven’ mit dazu gepackt habe – weiß der Teufel, warum.«

      Der Kaffee, den Hannes in meiner Tür stehend trank, spritzte im hohen Bogen aus seinem Mund und verteilte sich als feiner Sprühnebel übers ganze Zimmer. Brüllend vor Lachen krümmte er sich zusammen und konnte sich nur durch einen beherzten Griff nach dem Türrahmen daran hindern, zu mir aufs Bett zu fallen.

      »Das ist ein Scherz, oder? Du verarschst mich doch gerade.«

      Ich schüttelte den Kopf.

      »Okay, du bist tot«, bestätigte er daraufhin mit todernstem Gesicht. »Die Zacken-Barsch versteht so was von keinen Spaß, das ist dir schon klar, oder? Es sei denn …«

      »Wie soll ich das bloß …«, begann ich. Dann erst wurde mir bewusst, dass Hannes weitergesprochen hatte. Eine Gänsehaut überzog meine Unterarme. Konnte es sein, dass es doch noch eine Lösung gab? Ich sprang auf und war mit einem großen Schritt direkt bei ihm angelangt. »Es sei denn … was?«, hauchte ich.

      Hannes