Wer braucht schon eine Null. Christine Corbeau

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Название Wer braucht schon eine Null
Автор произведения Christine Corbeau
Жанр Языкознание
Серия Nullen-Reihe
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783982064581



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das Klappen einer Tür hören konnte. Sofort geriet Simons Redeschwall ins Stocken. Er schien sich umzudrehen, denn seine nächsten Worte waren undeutlich und eindeutig nicht an mich gerichtet. Er murmelte etwas auf Englisch, bevor er sich mit einem Seufzen wieder dem Telefon zuwandte.

      »Hast du Besuch bekommen?«, fragte ich, als er sich meldete.

      »Nee, nur ein Mitbewohner. Ist früher zurückgekommen und will jetzt kochen. Das wird mir dann hier zu laut.«

      »Na dann geh doch in dein Zimmer, ist eh privater.«

      »Schon auf dem Weg«, bestätigte er und ich konnte hören, wie er aufstand und den Raum wechselte. »Aber sag mal, wie läuft’s denn bei dir gerade so?«

      »Hmm, ich denke, dass ich alles fertig habe. Muss es nachher nur noch hochladen.«

      »Und sonst? Was macht die Salsa-Front? Hast du den zweiten ‘Mamma Mia’ schon gesehen?«

       Mann, Junge. Denkst du, ich bohr mir hier in der Nase?

      Ich rang den Gedanken nieder und versuchte, auch nichts davon in meinen Worten anklingen zu lassen.

      »Das konnte ich bisher vollkommen vergessen. Die glauben im Soda wahrscheinlich, dass ich ausgewandert wäre. Und den Film … na ja, wär schon schön gewesen, ihn zu sehen, aber vollkommen abgesehen davon, dass ich in den letzten Wochen die Nacht zum Tag machen musste, um mit den Dateien klarzukommen, hätte es auch niemanden gegeben, mit dem ich ihn mir hätte anschauen wollen. Agata düst gerade in der Weltgeschichte rum, Melli ist frisch verliebt und unzertrennlich …«

      »Und ich bin in Riga«, beendete Simon den Satz für mich.

      »Du wärst mitgekommen?«

      »Klar, Honey. Du weißt doch, dass ich für dich das Licht nachts brennen lassen würde, selbst wenn ich dann schwer schlafen könnte.«

      Gänsehaut flutete meinen Körper und die Kehle wurde plötzlich eng, als ich die Andeutung erkannte und mich daran erinnerte, wie ich Simon den Song zum ersten Mal singen gehört hatte. Auch wenn wir alle an dem denkwürdigen Karaoke-Abend in der WG ziemlich besoffen gewesen waren und die meisten Darbietungen in einem Schwall von Gelächter untergingen, hatten sich doch in diesem Moment unsere Blicke getroffen. Und in seinem hatte etwas gelegen, das nach »Ich meine es, wie ich es sage« klang. Sofort war da wieder das warme Gefühl, das alle Fragen und Vorbehalte fortwischte und mich unwillkürlich lächeln ließ.

      »Es ist schön, das zu wissen, aber noch viel schöner, es jetzt noch einmal zu hören«, krächzte ich und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter.

      Und dann fing es an, schiefzulaufen.

      Als ob Simon nur darauf gewartet hätte, dass ich in einer positiven Stimmung wäre, sprudelten die Worte aus ihm heraus, die er zuvor vermutlich mühevoll zurückgehalten hatte.

      »Auf jeden, Süße. Du kannst auf mich zählen, selbst wenn es noch etwas länger dauern könnte, bis wir uns wiedersehen.«

      »Moment«, setzte ich an, aber Simon beachtete es nicht und redete in einem euphorischen Tonfall weiter, den ich bei ihm sonst nur von Berichten über neue Motorengenerationen für Autos oder Spielberichte seines Lieblings-Fußballclubs kannte.

      »Weißt du, ich habe gerade gestern ein Hammer-Angebot bekommen. Ich kann hier nicht nur mein Internship verlängern, sondern tatsächlich den kompletten Master betreut bekommen. Das hat ein ganz anderes Gewicht, als wenn ich ihn nur in Deutschland machen würde. Und wenn ich den dann habe, dann haben sie mir in Aussicht gestellt, dass …«

      Seine folgenden Worte perlten an mir ab, denn in diesem Moment dröhnte eine ganz andere Stimme in meinem Kopf, die mich für alles Weitere taub machte.

       Der gesamte Master. Das bedeutet noch mindestens anderthalb Jahre mehr. Achtzehn Monate. Über fünfhundert Tage ohne ihn. Das kann er nicht ernst meinen.

      »Ist das nicht cool?«, rief Simon, inzwischen völlig außer Atem von seinem Vortrag.

      »Hast du sie noch alle?«, waren die ersten Worte, die ich ihm entgegenrufen wollte. Doch sie wurden von Frau Doppelname aus meinem Hinterkopf gebremst.

       Nicht so hetzen, junge Dame. Denk nach. Das ist eine große Chance für ihn. Wer bist du, dass du sie ihm madig machen willst, nur weil du der Meinung bist, nicht damit klarzukommen, dass du dann so lange von ihm getrennt bist?

      »Natürlich ist sie das«, dachte ich frustriert. Oder hatte ich laut gesprochen?

      Ich musste es wohl getan haben, denn die Wirkung war durchschlagend.

      »Waas … wie … äh, wen meinst du?«, keuchte Simon.

      »Wen ich meine?«

      »Na mit ‘sie’. Wen hast du damit gemeint?«

       Kann es sein, dass er sich ertappt fühlt? Aber warum?

      »Die Chance, die sich dir da drüben bietet«, formten meine Lippen jedoch bereits, bevor sich dieser Gedanke festsetzen konnte.

      »Oh, ach so.« Simon kicherte verlegen. Dann holte er tief Luft und ergänzte: »Ich hatte mich schon gefragt, ob du plötzlich auch so schräg drauf bist wie bei der Namens-Sache.«

       Das hat er nicht wirklich gesagt, oder? Warum bringt er jetzt plötzlich das ins Spiel?

      Die Namens-Sache war ein eigentlich total blöder und unnötiger Streit ganz vom Beginn unserer Beziehung gewesen. Unsere Mitbewohner hatten sich über die Geschwindigkeit lustig gemacht, mit der ich mich für den Umzug in ein gemeinsames Zimmer entschieden hatte. Sie wollten schon mal unseren zukünftigen Namen festlegen, für den Fall, dass wir in diesem Tempo weitermachen würden. Allerdings hatten wir uns damals partout nicht einigen können und das, was die anderen nur scherzhaft angeleiert hatten, lief ziemlich aus dem Ruder. Danach war diese Sache fast schon ein Tabu geworden.

       Und nun rutscht es ihm ausgerechnet in dieser Situation heraus? Oder war das vielleicht sogar Absicht?

      Mit einem Mal war mein Puls auf hundertachtzig und nichts konnte mich daran hindern, aufzufahren.

      »Ich werde ganz bestimmt nicht zu Martha Pfahl!«

      »Hey, nu komm mal wieder runter. Darum geht’s doch gerade gar nicht.«

       Und wer hat damit angefangen?

      Ich blieb stumm und atmete langsam ein und aus, um mein Temperament unter Kontrolle zu bekommen.

      Mit einem Tonfall, den ich ausnahmsweise überhaupt nicht zu deuten wusste, machte Simon jedoch fleißig weiter.

      »Aber wenn du ehrlich bist, ist das doch eigentlich ganz witzig. Und Simon Schultz, ich weiß nicht. Denk mal an die Initialen. Das geht doch gar nicht.«

      Ich nahm das Telefon vom Ohr und starrte fassungslos auf das Display, von dem mir sein Gesicht im Kleinformat entgegenblickte – immer noch mit dem Lächeln, das mich normalerweise jedes Mal dazu brachte, zurückzulächeln. Aber nicht in diesem Moment.

       Bin ich gerade im Radio? Ist das ‘Von null auf hundert’ oder so’n Mist?

      Ein unartikuliertes Gurgeln drang aus meiner Kehle. Bevor mir unvermittelt Tränen aus den Augen strömten, sah ich auch noch etwas anderes. Es war die Uhrzeit. Elf Uhr sechsundfünfzig. Zu dem Kloß im Hals gesellte sich schlagartig Gänsehaut am ganzen Körper. Aber diesmal war keines von beidem eine angenehme Empfindung.

      Ich räusperte mich, hob das Telefon wieder ans Ohr und krächzte: »Keine Sorge, ich komm nicht nur runter, ich bin schon unten. Ganz unten. Mach nur weiter so. Tu, was du nicht lassen kannst. Ich wünsch dir viel Erfolg. Ich muss mich jetzt um meine Zukunft kümmern.«

      Damit drückte ich ihn weg. Ich sprang auf und rannte ins Bad, wo ich mir schnell kaltes Wasser ins Gesicht spritzte, um den Blick wieder