Mörderische Ostsee. Claudia Schmid

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Название Mörderische Ostsee
Автор произведения Claudia Schmid
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267707



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darf man an bestimmten Tagen nur auf einer der beiden Seiten parken. Sonst kommt die lapplisa.«

      »Die wer?«

      »So heißen die Politessen auf Schwedisch.«

      Julian benutzte einen kurzen gewundenen Weg, um zur Haustüre zu gelangen. Dort tippte er einen Code in ein metallenes Tastenfeld ein. Daraufhin ertönte ein Summen und Julian drückte die Tür auf.

      »Edelgard, das wäre was für dich! So oft, wie du deine Schlüssel suchst!« Er wandte sich an seinen Sohn. »Die Handtasche deiner Mutter weist unergründliche Tiefen auf.«

      Edelgard prustete los. »Und für dich erst! Wo du dir nicht einmal die Geheimzahl deiner Kreditkarte merken kannst. Du könntest gleich ein Abo beim Schlüsseldienst buchen.«

      Norbert ging wortlos ins Haus.

      Im ersten Stock angelangt, öffnete Julian mit derselben Methode seine Wohnungstür.

      Die Wohnung selbst war hell und übersichtlich eingerichtet. Deshalb wirkte sie nicht so beengt, wie Edelgard zunächst befürchtet hatte. Der helle Parkettboden und die weiß getünchten Wände ließen in Verbindung mit der klug gewählten Einrichtung die Räume größer erscheinen, als sie tatsächlich waren. Ihr Sohn war offensichtlich noch nicht dazu gekommen, Bilder aufzuhängen. Sie nahm sich vor, ihm, sobald sie wieder zu Hause war, ein Poster zu senden. Eines von ihnen dreien, auf Fotoleinwand gedruckt.

      »Die 50 Quadratmeter sind aber wirklich gut aufgeteilt«, staunte sie, als sie von der Küche aus durch einen kleinen Schlafraum mit Bett und einer unterhalb der Decke befestigten Stange als Schrankersatz in das Wohnzimmer ging, wo neben einer bequemen Sitzgruppe ein kleiner Esstisch mit vier weißen Stühlen stand. Auf der schmalen Fensterbank neben der Balkontür befand sich ein Topf mit einer weißen Orchidee. »Außerdem ist es klasse, dass du Urlaub bekommen hast, während wir hier sind.«

      »Ich habe mir gedacht, heute essen wir hier. Die Couch lässt sich ausziehen, die müsste für euch beide reichen.«

      »Für mich schon«, griente Norbert, während Edelgard auf den Balkon trat.

      »Ein Reh! Dort, zwischen den Bäumen!«, rief sie erstaunt aus.

      »Die kommen hier öfter her. Weil ihnen niemand etwas tut, sind sie ganz schön zutraulich.«

      »Was ist mit Elchen?«, wollte Edelgard wissen.

      Julian lachte. »Dazu müssen wir nach Skansen. Dort könnt ihr Elche mitten in der Stadt sehen.«

      »Skansen? In unserem Reiseführer steht, das ist ein Freilichtmuseum«, mischte Norbert sich ein.

      »Es ist ein Freilichtmuseum und ein Zoo. Man kann es mit einem gemeinsamen Ticket besuchen.«

      Während die beiden Männer sich zurück ins Wohnzimmer begaben, nahm Edelgard den schräg gegenüberliegenden Block genauer in Augenschein. Er hatte fünf Etagen, genau wie der, in dem sie momentan weilte. Die Balkone ohne Blumenschmuck erinnerten sie an den des schwedischen Kommissars Beck in der gleichnamigen Fernsehkrimireihe, der einen ähnlichen hatte. Des Öfteren wurde der müde Kommissar zu Feierabend von seinem Nachbarn, der aus für sie ungeklärten Gründen eine Halskrause trug, behelligt. Bestimmt war das Tragen der Halskrause prompt in einer der wenigen Folgen erklärt worden, die sie nicht kannte.

      Der unterste Balkon gegenüber weckte spontan ihre Aufmerksamkeit. Eine junge Frau mit schulterlangen blonden Haaren eilte nach drinnen, genau in dem Moment, als Edelgard sie erblickte. Sie guckte sogar zu ihr herüber, als ihre Hand nach dem Jalousiengurt griff und ihn betätigte.

      Edelgard begab sich ebenfalls nach drinnen.

      »Paps ist im Bad. Mom, was ich dich immer schon mal fragen wollte – ist es dir damals, als du mich bekommen hast, eigentlich schwergefallen, deine Arbeit aufzugeben?«

      »Was hätte ich denn tun sollen? Wir hatten niemanden vor Ort, der mich unterstützt hätte. Meine Mutter wohnte weit weg. Und dich als Baby schon in eine Krippe zu geben, das hätte ich wirklich nicht über mich gebracht. Du warst so ein süßes Kind.«

      Julian zog eine Grimasse. Er konnte selbst aufs Gramm genau angeben, wie viel er bei der Entbindung gewogen hatte, über die Größe wusste er ebenfalls Bescheid. Edelgard hatte ihm ausführlich von der glücklichen Geburt erzählt. »Gab es damals keine Elternzeit?«

      »So wie heute war das nicht geregelt. Auf keinen Fall hätte ich wieder auf meinen alten Arbeitsplatz zurückgekonnt. Der war ohnehin zeitlich befristet, so war das damals an der Uni, an der ich arbeitete, üblich.«

      »Das war praktisch für deinen Dienstherrn, also wirklich! Wieso hat Paps sich nicht beurlauben lassen? Beamte können, soweit ich weiß, zwölf Jahre lang freigestellt werden. Und du hättest dich um einen neuen Vertrag kümmern können.«

      »Ach, Julian. Dein Vater hat mehr verdient als ich. Wir hatten uns grade das Haus gekauft. Das musste abbezahlt werden.«

      »Also, hier in Schweden ist es üblich, dass Eltern sich die Erziehungszeit teilen. Es ist ganz normal, dass Väter sich ebenfalls um die Kinderbetreuung kümmern.«

      »Julian, jetzt sag bloß … Warum denkst du so viel darüber nach? Hast du etwa eine Freundin? Weshalb hast du nichts davon erzählt?«

      »Am Telefon? Nee, ich wollte es dir persönlich sagen.«

      »Wir lernen Sie hoffentlich kennen?«

      Julian legte sich nicht fest. »Mal sehen, wie sich das einrichten lässt.«

      Edelgard legte ihre Hand auf Julians Arm. »Will sie denn mit dir in Deutschland leben?«

      »Mom, ich finde es großartig hier in Stockholm. Die Menschen sind anders als zu Hause. So gelöst. Und respektvoll. Sie lassen den anderen so sein, wie er ist, ohne ihm ständig vorzuhalten, was er falsch macht. Irgendwie kommen mir die Leute hier entspannter vor. Zumindest in der Hauptstadt.«

      »Aber …« Edelgard schluckte. »Dann sind ja meine Enkelkinder so weit von mir weg.«

      »Mom! Enkelkinder. Da sind noch keine in Sicht! Ich habe lediglich überlegt, weshalb du damals beruflich pausiert hast. Außerdem ist Stockholm nicht aus der Welt. Wie lange seid ihr geflogen? Zwei Stunden!«

      »Dein Vater hat Flugangst. Du möchtest im Flugzeug nicht neben ihm sitzen!«

      »Das wird sich geben.«

      »Du hast keine Ahnung. Es ist bühnenreif, was er da aufführt. Er hat sich benommen, als ob er gleich sterben würde. Ein sterbender Schwan ist nichts dagegen! Er könnte wirklich damit auftreten.«

      »Dann fahrt ihr eben mit dem Zug! Über Hamburg und Kopenhagen. Oder mit der Fähre. Von Rostock aus.«

      »Bist du glücklich mit ihr?«

      Julian nickte. Er zog sein Smartphone aus der Jackentasche. »Ich zeige dir ein Foto.«

      Edelgard blickte auf den kleinen Bildschirm. Eine groß gewachsene blonde Frau war zu sehen. Ihr Sohn hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt. Die beiden wirkten sehr verliebt. Es versetzte ihr einen kleinen schmerzhaften Stich. Eine Fremde. Julian hatte ihr bislang nicht einmal erzählt, dass es jemanden in seinem Leben gab. So etwas Wichtiges erzählte man seiner Mutter doch! War sie denn nicht immer die Person gewesen, die ihm am allernächsten stand? Die Erkenntnis, dass eine andere Frau diesen Platz nun einnahm, war wie ein Nadelstich direkt in ihr Herz. Sie versuchte tapfer, sich ihre Kränkung nicht anmerken zu lassen.

      »Was macht sie beruflich?«

      »Wir sind Kollegen in derselben Firma.«

      »Kann sie kochen?«

      »Mom, echt jetzt, was soll das? Ich habe keine Stelle für eine Haushälterin ausgeschrieben!« Um vom Thema abzulenken, sagte er: »Paps hat mir mal erzählt, du wolltest damals nach deinem Studium in Biologie eigentlich promovieren.«

      »Ja, schon. Aber mein Doktorvater ist gestorben und alles hat sich irgendwie verzögert. Ja, und dann war ich schwanger. Danach hat sich mein