Willkommen in Wien. Rainer Metzger

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Название Willkommen in Wien
Автор произведения Rainer Metzger
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783990406243



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eben dem Jahr 1501 war er diesbezüglich schon tätig gewesen, als man in Linz vor Maximilian und seinem Gefolge (zu dem die Familie seiner Frau, die Herzöge von Mailand, gehörte), seinen Ludus Dianae zum Besten gab, ein Singspiel, in dem reihum die Götter auftreten, um dem Monarchen zu huldigen. Celtis bringt dabei die hübsche Idee unter, Vienna komme von Vindobona und das wiederum von „Vinum bonum“ – der Wein wird dann schon gut gewesen sein. Heute noch zu bestaunen ist übrigens die Unterkunft von Celtis’ Humanistenkränzchen – es ist der Neuberger Hof in der Grünangergasse 1, seinerzeit im Besitz des Zisterzienserklosters Neuberg an der Mürz, von dessen Abt Celtis selbst die Räume mietete und offenbar auch die Kosten übernahm. Wer jetzt die Galerie nächst St. Stephan besucht, betritt das Gebäude. Hier schrieb Celtis 1508 dann auch sein Testament.

      Er wurde nicht alt. Die Amores, die er besang, hielten ihn, wie es scheint, seinerseits in Aufruhr und manches, das er beschreibt, wirkt autobiografisch. Mit einem „infideliter se ad amorem natum“ setzen die Verse, es sind Distichen, ein: Unglücklicherweise sei er zur Liebe hin geboren, um dann den Sternen, wie sie an jenem 2. Februar 1459 über Mainfranken prangten, die Schuld zu geben, dass er keine Frau findet – aber dafür Frauen im Plural, denen er dann auch hingebungsvoll huldigt. Im Jahr 1498 erscheint in Wien von der Hand des Physikus und späteren Dekans der Medizinischen Fakultät Bartholomäus Steber ein Traktat über die Malafranzos, die französische Krankheit. Die Syphilis hatte sich breitgemacht und Celtis ist eines der frühesten unter ihren prominenten Opfern (das berühmteste ist wohl das Jahrhundertgenie Raffael). Bereits um 1496 hatte er damit zu kämpfen, sein Tod mit nicht einmal 50 Jahren ist darauf zurückzuführen.

      Celtis und die Frauen: Seine humanistische Detektivarbeit in den Klöstern ermöglichte eine Wiederentdeckung, die, eine ziemliche Einmaligkeit, eine Autorin, betraf. Hrotsvit von Gandersheim, eine Nonne, die im 10. Jahrhundert tätig war. Ihre Ambitionen waren zwar auf die Kirche beschränkt, in ihrer Art war sie jedoch auch Vorgängerin der Renaissancedichtung, denn sie bezog sich in ihren Werken auf die Antike, speziell auf den Komödienschreiber Terenz, und sie schrieb in Latein, der Lingua franca der Gebildeten. Mit zwei Holzschnitten von Dürer ausgestattet, übergab Celtis die Schriften der Hrotsvit dem Druck. Die Handschrift hatte er aus dem Kloster Sankt Emmeram bei Regensburg mitgenommen, hatte ungeniert Kommentare auf dem Pergament hinterlassen und das Unikat auf der Suche nach dem besten Verleger durch halb Europa geschickt. Auch das gehört zum Humanismus: in aller Nonchalance oder gleich Barbarei alles mitgehen zu lassen, in der überheblichen Vorstellung, die Zimelien seien bei einem selbst besser aufgehoben als unter den Verstaubtheiten der Kirche.

      Heute noch zu bestaunen ist übrigens die Unterkunft von Celtis’ Humanistenkränzchen – es ist der Neuberger Hof in der Grünangergasse 1, seinerzeit im Besitz des Zisterzienserklosters Neuberg an der Mürz, von dessen Abt Celtis selbst die Räume mietete und offenbar auch die Kosten übernahm.

      Noch etwas hatte sich Celtis unter den Nagel gerissen, heute eine der größten Kostbarkeiten im mit derlei Schätzen reichlich gesegneten Wien: Die Tabula Peutingeriana ist die einzige Straßenkarte, die uns aus der Römerzeit bekannt ist. Das Exemplar selbst, das in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt ist, stammt aus dem Mittelalter, ist wohl die Abschrift einer Abschrift, doch was sie zeigt, ist antik. Angelegt als Rotulus, 675 auf 34 Zentimeter messend und mithin lesbar, indem man sie von einem Rand zum anderen aufrollt, zeigt sie das spät-römische Straßennetz von Britannien bis nach Indien. Stark verzerrt stellt sie dar, wie die Städte zueinander positioniert sind und wie viele Tagesreisen sie trennen. Geografische Exaktheit ist nicht vorgesehen, Vindobona zum Beispiel ist gleich neben Carnuntum eingetragen – aber auch, legte man Himmelsrichtungen an, weit südlich etwa des friulanischen Aquileia. Wo Celtis der Pretiose habhaft wurde, weiß man nicht. Er übergab sie, vielleicht weil er den Tod nahen sah, seinem Augsburger Kollegen Konrad Peutinger, damit der sie publiziere.

      Die Karte ist eher zufällig in Wien, sie kam im 18. Jahrhundert hierher. Auch eher zufällig im Kunsthistorischen Museum präsentiert sich das vielleicht bekannteste Zeugnis von Celtis, ins Werk gesetzt parallel zu dessen Tod. Zusammen mit Dürer steht er inmitten eines Gemetzels, das die legendäre Marter der Zehntausend darstellt. En gros werden auf Dürers Gemälde christliche Bekenner herbeibuchstabiert, minutiös vorgeführt in ihren vielerlei Martyrien. Doch da gibt es noch die beiden Zeitgenossen des Jahres 1508, aus dem Bild blickend, in der zeitlos achselzuckenden Geste eines Was-will-man-machen. Die ewige Zuständigkeit des Kulturarbeiters: Beschreiben – und daran leiden.

      ENTDECKEN

       Eine Kopie des Grabsteins von Konrad Celtis befindet sich an der Ostseite des Nordturms des Stephansdoms.

       Stephansdom

      Stephansplatz 3

      1010 Wien

       Neuberger Hof

      Grünangergasse 1

      1010 Wien

      ZU EBENER ERDE UND IM ERSTEN STOCK

      MEISTER ANTON PILGRAM

      Im Jahr 1890 ließ sich der Schokoladengeschäftsinhaber Josef Manner die Idee patentieren, mit dem Stephansdom zu werben. Der Gedanke war naheliegend, denn Manners Laden, heute würde man sagen: sein Flagship Store, lag gleich vis-à-vis von Wiens Hauptkirche – die Produktion seiner süßen Spezialitäten hatte er in eben diesem Jahr nach Ottakring verlagert (die Adresse ist Wilhelminenstraße, was die Postleitzahl 1170 und damit Hernals bedeutet – echte Afficionados finden ihren Fabriksverkauf gefühlt dennoch im 16. Bezirk). Bis heute jedenfalls prangt auf den rosa Packungen, die Manners Neapolitaner Schnitten in die Welt tragen, die gleichsam offizielle Ansicht des Stephansdoms von Süden her, es ist, als hätte er den Rudolf-von-Alt-Blick gleich mitpatentiert. Unschlagbar ehrlich gab der Enkel und Nachnachfolger als Unternehmenschef Carl Manner im Jahr 1998 dann Folgendes zu Protokoll: „Ich hab schon gern Süßes, aber eher etwas, wo Marmelade drin ist. Die Schnitten, die kratzen mich. Die will ich nicht. Aber sie sind nicht schlecht. Man kann sie durchaus essen.“ Schon der Patriarch soll gesagt haben: „Wer Werbung macht, hat es notwendig.“ Wem ein Schatten der Ewigkeit ins Geschäft fällt, der hält es mit der Wahrheit.

      Carl Manners Schnitten illustrieren auf ihre Weise, was einem Wiener am Herzen liegt. Oder in ortsansässigem Idiom: wos en weana olas en s gmiad ged. In seiner berühmten Hommage an die Heimatstadt, die ihn zu einer Art Volksdichter machte, hatte H. C. Artmann im Jahr 1958 mit schwarzer Tinte aufgelistet, was das alles ist. Manches Unübersetzbare ist dabei: „a kindafazara wossaleichn foxln“ beispielsweise oder der längst sprichwörtliche „schas med quastln“. Das Fazit indes geht alle an: „und en hintagrund auf jedn foe: da liawe oede schdeffö“, der Turm des Stephansdoms also, wenigstens als Hintergrund. Das augenzwinkernde Faible für das Umschlagen in die Perversion kommt bei Artmann natürlich hinzu. Doch geht es auch seriös, etwa per statistischer Erhebung. Auf die Frage nach einem Objekt, das im Land als „typisch für Österreich“ gilt, war mit 37 Prozent und so in großem Abstand am häufigsten die Antwort: der Stephansdom. Der liebe alte Steffl und sein klerikaler Unterbau: 1945, als es vorbei war mit dem historischen Betriebsunfall, der sich sieben Jahre davor ereignet hatte, und die Donaumonarchie, die längst nur noch eine Alpenrepublik war, wieder zu sich kommen konnte, gab das Presseamt der Stadt Wien eine Broschüre heraus, die die Leistungen der Vergangenheit, als es sich noch auf sie berufen ließ, versammelte. Das ewige Wien war sie betitelt und hatte auf dem Umschlag – natürlich den Stephansdom. „Ein Futteral für die Waffen der Kirche“ nannte ihn Elfriede Jelinek in der von ihr gern erwarteten Despektierlichkeit. Das Arsenal, das diese Kathedrale ist, lässt sich dabei nicht weniger für Profanes engagieren.

      Noch heute finanziert die Firma Manner für Sankt Stephan einen Steinmetz. Die Dombauhütte gibt es nämlich nach wie vor, keine Architektur dieser Dimension, an der nicht irgendwo ein Gerüst stünde. Seit acht Jahrhunderten ist das nun