Hannover sehen und sterben. Thorsten Sueße

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Название Hannover sehen und sterben
Автор произведения Thorsten Sueße
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783827183644



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erreichten nach fast einer Stunde Fahrt über die A2 und B6 Mardorf im nordöstlichen Zipfel der Region Hannover.

      Das Ferienhaus der Sterns lag nicht direkt am Wasser, aber auch nicht weit davon entfernt, in einer Nebenstraße zwischen verschiedenen anderen Ferienhäusern. Es wurde bereits dunkel, als Ramona ihren Mercedes auf das Grundstück lenkte und den Wagen unter einem Carport abstellte.

      Ein perfektes Liebesnest!

      Das einstöckige Ferienhaus war von einem Holzzaun umgrenzt. Hohe immergrüne Sträucher boten Sichtschutz vor neugierigen Nachbarn. Der Garten, soweit zu erkennen, machte einen sehr gepflegten Eindruck. Jetzt, Anfang März, hielt sich vermutlich sowieso selten einer der Nachbarn in seinem Ferienhaus auf. Und der Kontakt zu ihnen köchelte zudem auf Sparflamme, hatte Ramona erwähnt. Die Chance, dass die Zweisamkeit von Ramona und Philipp verborgen blieb, war groß. Sie würden die Nacht im Haus bleiben und am nächsten Morgen wieder nach Hannover zurückfahren.

      Was sollte da schiefgehen?!

      *

      Ramona hatte sich umgezogen und trug jetzt zur Jeans eine hellblaue Bluse mit Knöpfen. Auf der Fahrt hierher war es noch ein grauer Pullover gewesen.

      Eine Bluse zum Aufknöpfen, ging Philipp spontan durch den Kopf.

      Sie hatten sich zueinander auf das Sofa im Wohn­zimmer gesetzt. Vor ihnen auf dem Tisch standen zwei Gläser Weißwein, und Frank Sinatra sang im Hintergrund I Get A Kick Out Of You.

      Philipp hielt das Vorgeplänkel für beendet. Erst war er mit Ramona durchs Haus gegangen und hatte sich ihre selbst gemalten Bilder zeigen lassen. Dann hatte er mit ihr zu Abend gegessen: Spiralnudeln mit scharfer Bolognese.

      Ramona leerte ihr drittes Glas Wein, sah ihm direkt auf den Mund, während er ihr eine witzige Episode aus der Schulzeit erzählte. Dabei hatte sie selbst die Lippen leicht geöffnet.

      Ihre Pupillen sind geweitet, fiel Philipp auf einmal auf.

      Sie neigte den Kopf schräg zur Seite und zupfte beim Zuhören an ihren Blusenärmeln.

      Jetzt ist sie scharf.

      Dann ging alles sehr schnell.

      Philipp hatte ihre Körpersignale als Ermunterung verstanden. Er ergriff sanft ihre Hand, und als sie es zuließ, gingen seine Hände weiter auf Entdeckungsreise. Sie erwiderte seine Umarmung, er küsste sie auf den Mund, während sie begann, ihm sein Hemd aus der Jeans zu ziehen. Nachdem er sich mit ihrer Hilfe seines Hemdes entledigt hatte, begann er, die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen.

      *

      Philipp spürte eine leichte Erschöpfung. Sie waren auf dem Sofa im Wohnzimmer geblieben, hatten es nicht mehr ins Schlafzimmer geschafft. Ramona sah ihm lächelnd dabei zu, wie er sich Hemd und Hose wieder anzog.

      „Hab ich zu viel versprochen?“, murmelte sie.

      „Durchaus nicht“, brummte er. „Ich bin vollständig zufrieden mit dem Abend.“

      Ramona, die nackt auf dem Sofa lag, schnappte sich eine Wolldecke und wickelte sich darin ein. Dann genehmigte sie sich ein weiteres Glas Wein, leerte es in wenigen Zügen. Der Alkohol zeigte Wirkung, Ramona fing leicht an zu lallen. Philipp war auf Wasser umgestiegen.

      Sie braucht den Alkohol, um ihre Hemmungen zu verlieren.

      Als sich Ramona Wein nachschenken wollte, riet ihr Philipp: „Ich glaub, jetzt hast du genug.“

      Ramona zog unwillig die Stirn kraus: „Manchmal wünsche ich mir, ein Mann zu sein und so viel saufen zu können, wie ich will.“

      „Als Mann könnte ich mir dich beim besten Willen nicht vorstellen“, sagte er und nahm ihr die Weinflasche aus der Hand.

      „Doch, doch“, widersprach sie, wobei sie auf die Rückenlehne des Sofas zurückfiel. „Als Mann wär ich in meiner Familie besser gefahren. Da sind Sachen passiert, da könntest du einen spannenden Roman drüber schreiben.“

      Sie ist betrunken und plaudert aus dem Nähkästchen.

      „Du sprichst von Bodo und seinem Spielhallen-Imperium?!“, fragte Philipp.

      „Nein“, sie lachte bitter. „Ich meine die Carbens … also Christian und mich.“

      Plötzlich war Philipp hellwach.

      „Gibt es etwas, worüber du im vertrauten Rahmen mit jemandem sprechen möchtest?“ Im gleichen Moment wurde ihm bewusst, wie idiotisch es war, einer Betrunkenen eine solche Frage zu stellen.

      Ramona allerdings schien zu kapieren, dass sie mehr erzählt hatte, als ihr lieb war.

      „Ich hab nur Unsinn geredet.“ Sie schüttelte den Kopf. „Vergiss es.“

      Kapitel 15

      10 Tage vor der Ermordung von P. R.

      Am nächsten Morgen, beim gemeinsamen Frühstück mit Philipp, war Ramona bester Laune. An das, was sie im betrunkenen Zustand von sich gegeben hatte, schien sie keine Erinnerung zu haben. Zumindest sprach sie das Thema mit keinem Wort an.

      Die Abfälle, die leeren Flaschen und die Kippen der Zigaretten, die Philipp auf der Terrasse geraucht hatte, wurden von ihr in Säcke gepackt und entsorgt, um keine verräterischen Spuren zu hinterlassen.

      „Hast du Lust auf ein nächstes Treffen?“, fragte sie ohne erkennbare Emotion, als sie in den Mercedes stiegen, um sich auf den Rückweg zu machen.

      Er nickte, und das nächste Date war beschlossen.

      Ramona fuhr los. Sie verließen das Gebiet mit den Ferienhäusern, bogen rechts in eine Landstraße ein, die Richtung Neustadt führte. Dort mussten sie gleich vor einer Fußgängerampel anhalten.

      Gerade als Ramona wieder anfuhr, sah Philipp rechts neben der Ampel einen Mann auf einem Fahrrad, der penetrant in ihre Richtung guckte. Keinen, den er kannte.

      „Hast du den Typ da eben am Straßenrand gesehen?“, fragte er Ramona. „Auf dem Rad?“

      Die zuckte beim Fahren mit den Schultern: „Wen meinst du? Ich hab niemanden bemerkt. Wie sah er aus?“

      „Mittelgroß mit einer dicken Winterjacke und Mütze. Aber richtig erkannt hab ich ihn nicht, weil du da schon losgefahren bist.“

      „Der Fuß- und Radweg nach Neustadt wechselt an dieser Stelle auf die andere Straßenseite. Hat der Typ was Auffälliges gemacht?“

      „Ich weiß nicht, ob er nur zufällig oder ganz bewusst in unsere Richtung geguckt hat. Aber hat sich eh erledigt. Vermutlich ohne Bedeutung.“

      Kapitel 16

      Das Auslösen des Alarms letzte Nacht empfand Paul als äußerst unangenehm. Er musste der Leitstelle des Sicherheitsdienstes, die im Alarmfall automatisch verständigt wurde, am Telefon mitteilen, dass es sich lediglich um einen selbst verursachten Fehlalarm gehandelt hatte.

      Er beschloss, fürs Erste die Alarmanlage seiner Einliegerwohnung nicht mehr scharfzuschalten, wenn er selbst zu Hause war. Niemand sollte mitbekommen, was momentan mit ihm los war. Die überdurchschnittlich gute mechanische Sicherung seiner Fenster und Türen bot allein schon einen guten Schutz vor Einbrechern.

      Am Morgen machte ihm die Abwesenheit seiner Mutter erneut bewusst, welche Bedrohung für die Familie in der Luft hing. Der Mistkerl hatte es heute Nacht irgendwo mit seiner Mutter getrieben. Und würde es bestimmt noch häufiger tun. Die Angst, dass Bodo diesmal alles herausbekam, nahm zu. Philipps dreiste Werbung um Ramona würde sich in den nächsten Monaten unmittelbar vor Bodos Augen abspielen, die er irgendwann nicht mehr verschließen konnte. Die Katastrophe war vorprogrammiert.

      Das wäre das Ende unserer Familie.

      Schon bei Kleinigkeiten war es so: Wenn Bodo sauer war auf Ramona, richtete sich sein Ärger immer gleichzeitig gegen Paul. Bestrafte Bodo Ramona, bestrafte er Paul gleich mit.

      Paul hielt sich den ganzen Vormittag in seinem Zimmer auf. Er saß vorm