Festbierleichen. Uwe Ittensohn

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Название Festbierleichen
Автор произведения Uwe Ittensohn
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267400



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damit ihre Oberweite vergrößern.

      »Wirst du nicht! Das spricht doch für dich, dass du dich nach nur vier Jahren in Speyer schon so integriert hast. Die Presse wird das feiern. Und im Dirndl wirkst du richtig knackig. Und denk dran, ich hab das Jahr als Karnevalsprinzessin auch überstanden.«

      »Aber du kommst von hier. Die alteingesessenen Speyerer werden mich dafür hassen, wenn ich mich in ihre Traditionen reindränge.«

      »Jesses, Karlhoinz, wommer nedd iwweral soi Aache hot. Muss ich donn alles selwer mache?«, zeterte die Alte, stand stöhnend auf und zerrte den etwa acht Jahre alten Jungen zu sich auf das überdimensionale Badetuch.

      »So, Fronschesgo, die Oma liest där jetzt was vor.«

      Irina schüttelte den Kopf. »Ihr Pfälzer macht aber auch wirklich jeden Namen kaputt.«

      »Ja, unser Fronschesgo hat ganz schön die Arschkarte gezogen«, flüsterte Johanna lachend.

      »Wenn wir nächstes Mal hierher kommen, heißt es wohl ›Augen auf bei der Liegeplatzwahl‹«, sagte Irina genervt und legte sich, den Rücken der Alten zugewandt, auf ihr Badetuch.

      Gut eine halbe Stunde lagen die beiden jungen Frauen schweigend nebeneinander und genossen die milde Frühsommersonne. Der Kiesstrand zog sich hier an der nördlichen Hälfte der Ludwigshafener Parkinsel wie ein schmales beigegraues Band über einige 100 Meter am Rheinufer entlang. Die langgestreckte Parkinsel verdiente zu Recht die Bezeichnung Insel, da sie an ihrer Ostseite vom Rhein und an der zum Stadtgebiet weisenden Westseite vom Becken des Luitpoldhafens umgeben und nur über zwei Brücken sowie einen Deich im Süden zu erreichen war. Aber nicht nur aus geografischen Gründen durfte sie sich als Insel rühmen. Im von alten Hafen- und Industrieanlagen, baufälligen Hochstraßen und Bausünden der Nachkriegsjahre durchzogenen, verkehrsüberfluteten Stadtgebiet Ludwigshafens wirkte sie mit ihren Alleen, schönen Architektenhäusern und dem weitläufigen Park wie ein vom Himmel gefallenes Juwel.

      Das leise Gurgeln der sich am Kiesstrand brechenden Strömung des Flusses und der immer wieder zu ihr herüberwehende monotone Vorleseton der Alten ließen Irina müde werden. Dösend, mit halb geschlossenen Augen, starrte sie in die Wellen, die das abendliche Sonnenlicht golden widerspiegelten.

      In Gedanken versunken betrachtete sie das vorbeiziehende Flusskreuzfahrtschiff, das behäbig mit blubberndem Schiffsdiesel gegen den Strom ankämpfte. Für ein paar Sekunden ließ die auf den Strand anlaufende Heckwelle das sanfte Plätschern zu einer leichten Brandung anschwellen. Fast wie am Meer, dachte Irina schlaftrunken und verfolgte, wie Obelix, Johannas Jack–Russell-Terrier, sich hektisch vor den anrollenden Wogen in Sicherheit brachte.

      »Därf unsern Klääne mit eierm Hund schbiele, odder macht der was?«, durchschnitt die schrille Stimme der Alten die Idylle.

      Irina schreckte hoch. Als ihr auffiel, dass Johanna neben ihr schlief, nickte sie der Frau stumm zu.

      Sofort lief Francesco auf den kleinen zweifarbigen Hund zu, dem eine Laune der Natur die eine Gesichtshälfte weiß und die andere braun gefärbt hatte.

      Aus dem Augenwinkel beobachtete Irina, wie Obelix, in Erwartung eines neuen Spielgefährten, aufgeregt auf und ab sprang. Er schnappte sich ein dünnes Stück Treibholz, das die Wellen gerade angespült hatten, und hielt es quer im Maul steckend dem Jungen entgegen.

      Irina sah noch, wie sich Francesco zu Obelix herunterbeugte und nach dem Holzstück griff.

      Plötzlich schrie der Junge gellend auf. Tränen liefen ihm übers völlig fassungslose Gesicht.

      Karlheinz kam stöhnend auf die Beine. Von der abrupten Bewegung benommen, torkelte er ein paar Schritte. Dann stapfte er eilig über die unter den Sohlen nachgebenden Kieselsteine auf seinen Enkel zu. Den Kopf gesenkt, starrte er auf den Kies zu Francescos Füßen. Mit schmerzlich verzerrter Fratze brüllte er dann außer sich: »O Jesses Gott, der Keder hot dem Bu de Finger abgebisse!«

      Essenszeit

      Freitag, 7. Juni 2019, 19.30 Uhr

      Das elegant minimalistisch eingerichtete Restaurant in Mannheims Norden war fast voll besetzt.

      Der Einkäufer, wie er sich neuerdings nannte, war ein hünenhafter Mann mit grobem pockennarbigem Gesicht. Er war es gewohnt, dass Menschen in seiner Gegenwart ängstlich reagierten, und er genoss es.

      »Was ist das?«, herrschte er mit unverkennbar osteuropäischem Akzent den zierlichen vietnamesischen Kellner an und deutete mit dem Zeigefinger, der so breit war wie bei anderen Männern die Daumen, auf die Schale, die dampfend auf der Warmhalteplatte stand. Einige Gäste horchten erschrocken auf.

      »Bò nýớng – gegrillter Rinderspieß«, antwortete der asiatische Ober kleinlaut.

      »Rinderspieß? Rinderspieß – so nennst du also die Fleischkrümel an diesem Mikadostäbchen. Du hast Glück, dass ich sie überhaupt unter diesem Unkraut da gefunden habe!« Dabei griff er mit angeekeltem Gesichtsausdruck mit bloßen Fingern in die kleine Schüssel vor sich. Er nahm einige der kunstvoll um die Rindfleischstücke gewickelten La-Lot-Blätter heraus und warf sie vor dem aufgelösten Mann aufs Tischtuch.

      »Entweder du bringst mir jetzt einen anständigen gegrillten Rinderspieß, oder ich steck dir das hier in deinen kleinen Vietnamesenarsch!« Dabei fuchtelte er bedrohlich mit dem Holzspieß, auf dem noch einige in Blätter gewickelte Fleischstücke steckten, vor dem Gesicht des völlig fassungslosen Kellners herum.

      Von hinten eilte die Eigentümerin ihrem Mitarbeiter zu Hilfe. »Kein Problem, wir werden Ihnen einen neuen Grillspieß bringen!«, sagte sie mit erstaunlich fester Stimme und gequältem Lächeln, nahm die Schale von der Wärmeplatte und marschierte mit energischen Schritten, ihren Kellner buchstäblich vor sich her treibend, zur Küchentür.

      Beschämt senkten die anderen Gäste, die dem Schauspiel aufmerksam gefolgt waren, die Blicke.

      *

      Zu selben Zeit saß André Sartorius an seinem Lieblingstisch nahe beim Fenster im Mediterraneo, einem Café-Restaurant mit Feinkostverkauf in der Speyerer Innenstadt. In den letzten Jahren war das Mediterraneo zu so etwas wie seinem zweiten Esszimmer geworden. Gleich, ob er hier den Tag mit Cappuccino und Cornetto begann oder sich einfach zwischendurch einen eiligen Espresso gönnte, man gab ihm stets das Gefühl, willkommen zu sein. Ganz besonders liebte er es, sich eine schöne Portion Pasta zu gönnen.

      Als er heute auf der Tageskarte »Linguine mit schwarzem Trüffel und Parmesan« entdeckt hatte, reservierte er kurzerhand für sich und Irina einen Tisch. Sie war nicht mehr nur seine Mieterin. Seit er sich vor fünf Jahren hatte breitschlagen lassen, einer Abiturientin aus Speyers Partnerstadt Kursk für ein sechswöchiges Auslandspraktikum eine Bleibe in seinem Haus zur Verfügung zu stellen, hatte sich einiges getan. Als sie ein Jahr später vor seiner Tür stand und ihn bat, ihm doch ein Zimmer zu vermieten, da sie kurzfristig ein Auslandsstipendium an der Uni Mannheim erhalten hatte, stimmte er widerwillig zu, dass sie bei ihm einzog. Für ihn, den Eremiten, war es schier undenkbar gewesen, sein Haus mit einem fremden Menschen zu teilen. Nun lebten sie schon vier Jahre unter einem Dach. Aus dem Mietverhältnis für ein Zimmer mit Bad war mittlerweile so etwas wie eine Wohngemeinschaft geworden. Und aus der Mieterin so etwas wie eine Adoptivtochter.

      Inzwischen war es für beide ganz normal, zusammen Konzerte oder Lesungen zu besuchen, gemeinsam zu verreisen oder, wie heute, miteinander zu schlemmen.

      Doch Irina, die heute Morgen noch so begeistert auf seine Einladung reagiert hatte, hatte ihn versetzt. Weder seine Textnachrichten noch seine Anrufe nahm sie entgegen. Nach einer halben Stunde hatte er es schließlich aufgegeben und sich damit abgefunden, heute alleine speisen zu müssen.

      Gerade brachte ihm Camilla, die Miteigentümerin des Mediterraneo, einen Teller dampfende, in Butter geschwenkte und mit Parmesan bestreute Linguine und stellte ihn vor ihm ab. Mit einem rasiermesserscharfen Edelstahlhobel löste sie hauchdünne Späne des schwarzen Trüffels, den sie vorsichtig über die Klinge zog.

      André wedelte mit der Hand den Duft des frisch gehobelten Trüffels,