Mord à la carte in Schwabing. Jörg Lösel

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Название Mord à la carte in Schwabing
Автор произведения Jörg Lösel
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267660



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angesehen. Als Eikes Stück gelaufen war, packte er seinen Rucksack mit allen Unterlagen, die er zu dem Fall zusammengetragen hatte, und verließ die Redaktion. Er wollte nur nach Hause, duschen und dann Lisa anrufen.

      Im Auto steckte er sich eine Zigarette an und ließ auf dem Nachhauseweg seinen Tag nochmals Revue passieren. Ihm machten die Fernseharbeit, die Recherchen, das Drehen, der Schnitt und das Texten Spaß, die Arbeit war einfach fabelhaft. Aber wie sollte er sich durchsetzen gegen einen Mann, der ihm keine Chance ließ, jedoch die Macht auf seiner Seite hatte? Was hätte er dagegen sagen können? Dass Eike die Aufnahmen von ihm gefordert hatte? Er hatte seinen Kollegen nicht bloßstellen wollen. Er grübelte darüber, wie er mit Schlagfertigkeit die Situation hätte entspannen können. Doch ihm fiel nichts ein. Er war auf sich allein gestellt und ein unbeschriebenes Blatt. Er hatte einfach schlechte Karten.

      Seine Mutter hatte ihn gestern noch in den höchsten Tönen gelobt. Das war ihm in seinem Leben bisher kaum einmal passiert. Wenn sie wüsste, dass sich schon heute seine Aussichten auf einen Job beim Fernsehen rapide verschlechtert hatten?!

      Der Star zu Hause war immer Jan gewesen, der ältere Bruder. Wenn Tom und Jan sich über irgendetwas gestritten hatten, hatte seine Mutter immer Jan recht gegeben. Einmal hatte sein Bruder Zahnpasta an die Türklinken geschmiert und danach behauptet, Tom wäre es gewesen – die Mutter hatte Jan geglaubt. Er war der Liebling, sie war vernarrt in ihren Erstgeborenen, für Tom blieb da nicht mehr so viel Liebe übrig.

      Jans Tod hatte sie nie überwunden. Dadurch wurde er überhöht wie ein Heiliger, und keiner durfte eine noch so kleine Kritik an ihm äußern. Zu seinem Grab auf dem Vaterstettner Friedhof ging sie jeden Tag. Tom hatte sie einmal beobachtet. Sie stand vor Jans Ruhestätte mit gefalteten Händen und betete oder sprach mit ihm. Danach richtete sie die Blumen, sammelte heruntergefallene Blätter auf, trug sie zum Kompost, zündete das Grablicht an, das unter dem Bild Jans stand. Sie sprach noch ein Gebet, die gesamte Zeremonie dauerte über eine halbe Stunde. Toms Eindruck war, dass die Trauer und der Kummer seiner Mutter sich zu einem inhaltsleeren Ritual entwickelt hatten. Seine innere Distanz zu ihr war im Laufe der Zeit deutlich gewachsen. Immer freudloser war seine Mutter geworden, weinte öfter still vor sich hin und aß immer weniger. Ihre Gesichtszüge, die früher schon streng gewesen waren, hatten sich verhärtet, die Wangen waren eingefallen und ein Netz von Krähenfüßen spannte sich um ihre Augen. Ihr Mund wirkte verbissen und ihr Rücken war gebeugt. Ihr Mann war ihr keine Stütze gewesen. Tom wusste, dass sein Vater selbst als ein emotionaler Krüppel durchs Leben ging. Musste er sich bei so einer Sozialisation über Selbstzweifel wundern, die ihn immer wieder überkamen?

      Tom hatte das Bedürfnis, Lisa anzurufen. Allein ihr Anblick würde genügen, dass er sich wieder über etwas freuen konnte. Weil er nicht wusste, ob sie schon frei hatte, schickte er ihr eine Nachricht über Whatsapp:

      »Liebe Lisa, hast du Lust und Zeit, mich zu treffen?«

      Darunter setzte er ein Smiley und schickte die Nachricht ab.

      Abgearbeitet und mit betrübter Miene saß Lisa Tom gegenüber in einer gut besuchten Bar, die nur wenige Meter vom Odeon entfernt lag. Lisa hatte ihre Lippen noch einmal nachgezogen, am etwas verschmierten Kajal und dem geröteten Weiß in ihren Augen bemerkte Tom, dass sie geweint hatte. Eine Bedienung mit hochgesteckten roten Haaren und einem hinter das Ohr tätowierten grünen Schmetterling brachte ihnen zwei Bier an den Tisch, fürs Hintergrundrauschen sorgte Mark Forster, der trällernd kundtat, dass er 194 Länder sehen wollte.

      »So einen Scheißtag wie heute habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Die Polizei hat jedes Salatblatt umgedreht, Proben von allem genommen, was da war, und wir müssen in das Chaos jetzt wieder Ordnung bringen. Der Chef hat eine Laune … Jeden hat er angemotzt. Als mir ein Wirsingkopf auf den Boden fiel, hat er mich angeschrien, ich würde ihn noch seine Sterne kosten.« Lisa hatte ihre Hände zu Fäusten geballt, dann nahm sie sich sichtlich zusammen und machte eine Wischbewegung vor ihrer Stirn. Unsicher legte Tom ihr eine Hand auf den Arm.

      Er wusste nicht, wie er sie trösten konnte. Am liebsten hätte er sie in den Arm genommen, aber er spürte, dass sie gerade in ihrer eigenen Welt war.

      »Morgen geht’s weiter mit dem Aufräumen. – Und wann der Laden wieder öffnen kann, wissen wir auch noch nicht.«

      Tom hörte jetzt stärker als sonst ihren fränkischen Dialekt.

      Lisa schob mit einer schnellen Bewegung alte Brotkrümel vom Tisch, als wären damit alle Arbeitsprobleme auch wie weggeblasen. Sie richtete sich auf, streckte ihren Busen heraus und nahm ihr Bierglas in die Hand. »Prost! Jetzt habe ich die ganze Zeit gejammert. Wie geht es denn dir?«

      Tom verschränkte die Arme, legte die Stirn in Falten und hoffte, dass er Lisa mit seiner Leidensgeschichte ein bisschen Trost spenden könnte. »Auch beschissen. Ich habe mich zu einem Interview überreden lassen, obwohl es der Redaktionsleiter untersagt hatte. Als er mich in dem Beitrag gesehen hat, gab es richtig Knatsch. – Das hat meine Chancen, beim Fernsehen zu bleiben, nicht gerade vergrößert.«

      »Hast du einen Plan B?«

      »Nicht wirklich. Ich muss mich halt bei anderen Sendern bewerben. Und du?«

      »Nein, eigentlich nicht.«

      »Und uneigentlich?«

      »Na ja, am liebsten würde ich selber ein Restaurant aufmachen.«

      »Das ist doch eine gute Idee!«

      »Aber eine teure. Man braucht jede Menge Euronen.« Lisa sah in die Ferne und wirkte angespannt, als würde sie den Mietvertrag für ihr neues Restaurant gleich unterschreiben müssen. »Und Leute, die für einen arbeiten und die man bezahlen muss. Ist schwierig.«

      »Du müsstest das vielleicht im Team machen, du kennst doch sicher genug Menschen in der Branche.«

      »Ich glaub, ich trau mir das noch nicht zu.«

      »Du musst auf vegetarische und vegane Gerichte setzen. Da entsteht ein großer Markt.«

      »Da hast du recht, inzwischen existieren rund drei Dutzend von guten vegetarischen und veganen Restaurants in München, aber wenn du etwas Besonderes anbieten willst, musst du Seeteufel, Hummer, Wasserschnecken, Täubchen, Kaninchen oder ausgefallene Sachen wie Kalbsbries auf der Speisekarte stehen haben. Ohne Fleisch und Fisch hast du wesentlich weniger Variationsmöglichkeiten für die Gerichte.«

      Tom tätschelte ihre Hand. »Du willst gleich einen Stern?«

      Lisa zog die Schultern hoch. »Na ja, lassen wir das. Man darf ja träumen.«

      Sie war auf ihr Bierglas konzentriert und wischte das Kondenswasser darauf mit einer Serviette weg, während Tom sich verlegen am Kopf kratzte.

      »Haschisch im Essen und jetzt offenbar Liquid Ecstasy – das muss doch jemand aus eurer Mannschaft gewesen sein. Kannst du dir nicht vorstellen, wer das war und warum?«

      Automatisch verspannte sich Lisas Körper, sie richtete sich auf und erhob Tom gegenüber abwehrend eine Hand. »Wieso fragst du das?«

      »Ich denke, wenn wir das wüssten, wäre allen gedient.«

      Lisa hatte sich wieder in ihr Schneckenhaus zurückgezogen.

      Tom unterbrach das Schweigen. »Warum macht jemand so etwas? Dadurch werden der Koch und das Restaurant diskreditiert. Jemand will Steineberg schaden. Aber ich verstehe nicht warum! Bezahlt er zu schlecht, überfordert er seine Mitarbeiter, hat er Dreck am Stecken? Warum will man seinen Laden ruinieren? Was ist beispielsweise mit diesem Edgar? Das ist doch ein komischer Typ.«

      »Ach Edgar, der hätte so einen Plan gar nicht auf dem Schirm. Der ist eher einfach gestrickt.«

      »Und wie kommt der in ein Sterne-Restaurant?«

      »Unser Chef ist ein Oldtimerfan. Er lässt diese alten Kisten bei einem Mechaniker in Emmering restaurieren. Der hat ihn wohl gefragt, ob er nicht einen Job für seinen Sohn hätte.«

      »Weißt du mehr über ihn?«

      »Na ja, er ist sicher nicht der Hellste. Ich glaube, er ist in