Mord à la carte in Schwabing. Jörg Lösel

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Название Mord à la carte in Schwabing
Автор произведения Jörg Lösel
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267660



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deinen Vorschlag gar nicht schlecht. Sonst suchen wir immer Augenzeugen, jetzt hätten wir einen im Haus, und dann darf man ihn nicht nehmen.«

      »Das Glaubwürdigkeitsproblem ist keins, meinst du das?«

      »Genau. Du warst ja dort, du bist ein Zeuge.«

      »Wahrscheinlich wollte er nach dem gestrigen Bericht nicht, dass ich noch mal im On erscheine.«

      Eike klopfte Tom auf die Schulter. »So schlecht war das fürs erste Mal nicht.«

      Als Tom und Eike mit dem Teamwagen beim Odeon ankamen, wimmelte es dort von Polizeifahrzeugen. Tom hatte recherchiert, dass der Einsatzleiter im Fall Lalonge autorisiert war, ein Statement abzugeben, und er machte sich auf die Suche nach dem Mann. Zunächst lief ihm Ben Williams über den Weg. Da er mitgeholfen hatte, Lalonge vor zwei Tagen vor dem Restaurant zu versorgen, fragte ihn Tom, ob er bereit wäre, etwas darüber in die Kamera zu sagen, aber das wies der »Chef de la réception« weit von sich: »Gehen Sie zur Polizei, die hat das Sagen.«

      »Wo finden wir den Einsatzleiter?«

      »Der ist sicher in der Küche. Die durchsuchen dort alles.«

      Ben Williams drängte sich übellaunig an Tom vorbei Richtung Restaurant-Büro.

      Tom und Eike sahen rund ein Dutzend Männer, die die Küche auf den Kopf stellten. Sie hatten zahlreiche schwarze und blaue Plastikkisten mitgebracht, sortierten Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch in kleine Plastikbeutel und beschrifteten sie. Schränke standen offen, auch Kühlschränke, und auf den Tischen lagen Berge von Rhabarber, Heidelbeeren, Salaten, Eiern, Mandeln, Gewürzen, Hummer, Morcheln, Spargel, Bohnen, Blumenkohl- und Wirsing-Köpfen, dazwischen Töpfe und Pfannen jeglicher Größe, Messer, Pfannenwender, Siebe und alle möglichen anderen Kochutensilien.

      Als einer der Männer, ein bulliger Typ mit rotem Gesicht, Bierbauch und schwarzer Lederjacke, die beiden Journalisten entdeckte, kam er auf sie zu und sagte unwirsch: »Das ist eine polizeiliche Ermittlung! Was wollen Sie hier? Sie haben hier nichts verloren.«

      Eike stellte sich vor und erkundigte sich nach dem Einsatzleiter, aber der Rotgesichtige legte Eike die Pranke auf die Schulter und schob ihn vor sich her. »Gehen Sie jetzt! In den Gastraum! Ich informiere den Kollegen.«

      Kokett und auch für den Polizisten gut vernehmbar sagte Eike zu Tom: »Was für ein roher Kerl. Und dann fasst er mich auch noch an …!«

      Nach fast einer halben Stunde kam ein kleiner Mann auf die beiden Reporter zu. Er hatte eine sehr große Nase, einen an den Spitzen nach oben gezwirbeltem Schnurrbart, kurz geschnittene graue Haare und steckte in einer zu großen Jeans, bei der Hosenträger das Rutschen verhinderten. Er sagte in breitem Bayerisch: »Ich hab g’hört, Sie woll’n was von mir. Ich bin der Einsatzleiter, Obermeier, Georg.«

      »Wir würden gerne für den Sender TV 1 über den Todesfall Lalonge berichten, und die Pressestelle sagte uns, Sie könnten etwas über den Stand der Ermittlungen sagen. In die Kamera, meine ich.«

      »Oh, hallo, ja sauber. So viel kann i da gar ned sag’n.«

      »Ich verstehe, dass Sie zu den Ergebnissen der Ermittlungen nicht viel sagen können, aber sicher etwas zum Stand der Ermittlungen.« Ein wenig belehrend hatte Eike geklungen, als ob er diesen Satz schon x-mal von sich gegeben hätte.

      »Und wo soll das passieren?«, fragte Obermeier.

      »Am besten machen wir das Interview vor dem Restaurant. Das steht ja jetzt im Mittelpunkt Ihrer Untersuchungen.«

      »Gut, ich überleg mir was.«

      Nachdem der Kameramann mit seinem Assistenten einen geeigneten Platz vor dem Odeon für die Aufnahme gefunden und die Kamera aufgebaut hatte, stellten sich Eike und Obermeier in Positur.

      »Und wie schau’g i aus?« Obermeier zog an seiner Hose.

      »Wir machen nur ein Brustbild. Man sieht Sie nicht ganz.«

      »Passt mei Schneizer?«

      »Sehr symmetrisch. Alles gut«, antwortete Eike.

      Dann kamen die Kommandos – Kamera ab, Kamera läuft, bitte sprechen!

      Eike fragte: »Wie ist der Stand der Ermittlungen im Fall Lalonge?«

      »Wir sind von der Staatsanwaltschaft in Kenntnis gesetzt worden, dass Herr Lalonge durch einen Herzinfarkt zu Tode gekommen ist, der eventuell durch Zuführung von Liquid Ecstasy mitverursacht wurde. Die Substanz ist normalerweise nur schwer festzustellen, aber bei der Obduktion wurden Reste davon im Urin gefunden. Sie ist ihm möglicherweise hier im Restaurant zugeführt worden, denn Herr Lalonge bekam beim Verlassen des Restaurants einen Herzanfall, der dann zum Herzinfarkt führte. Deshalb müssen wir die Lokalität gründlich durchsuchen. Natürlich wissen wir nicht, wo ihm das Liquid Ecstasy zugeführt wurde oder ob er es vielleicht selber eingenommen hat. In seinem Hotelzimmer haben wir jedenfalls keine Spuren davon gefunden.«

      »Haben die Vorwürfe gegen den Sternekoch Steineberg, es gäbe Haschisch in seinen Menüs, etwas mit der heutigen Untersuchung zu tun?«

      Obermeier schüttelte den Kopf. »Das ist auszuschließen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun!«

      Eike signalisierte dem Kameramann, dass er die Aufzeichnung stoppen solle. »Wir machen das Ganze noch einmal. Vielleicht können Sie es etwas knapper formulieren.«

      Obermeier zog den lippenlosen Mund zu einer Schnute. »War’s ned gut? Ich hob mir Mühe gehm, dass i ned zu boarisch sprech.«

      »Doch, es war sehr schön, aber wenn es knapper ginge, wäre es besser. Wir sind eng bemessen in unserer Fernsehzeit.«

      Tom beobachtete ungeduldig die weiteren Versuche, und schließlich entließ Eike Obermeier in seinen polizeilichen Alltag. Eine bessere Version als die erste hatte der Mann nicht zustande gebracht.

      Als der Einsatzleiter verschwunden war, ahmte Eike gefrustet in Obermeiers Tonfall das bürokratische Deutsch des Polizisten nach: »… die Zuführung von Liquid Ecstasy mitverursacht.« Tom lachte und Eike wiederholte die Floskel noch mal. Das Team hatte schon begonnen, die Kamera vom Stativ zu schrauben, da rief Eike plötzlich: »Baut noch nicht ab! Tom, du musst deine Geschichte erzählen. Von Obermeiers Statement kann ich nur einzelne Sätze nehmen.«

      »Du weißt, dass Neuwirt das nicht will!«

      »Das Material wird nicht reichen. Und die Art, wie sich Zwergnase präsentiert hat, ist auch kein Knüller. Einschläfernd wirkt er – wie ein Beamter auf Urlaub.«

      »Eike, das ist offener Widerstand gegen die Heeresleitung – oder?«

      »Keine Sorge, ich rede mit Neuwirt.«

      »Von mir aus können wir es gerne versuchen, du musst es ja nicht nehmen.« Tom wollte kein Kollegenschwein sein, und auf dem Bildschirm zu erscheinen, hatte ihm auch sehr gefallen.

      Ein paar Stunden später saßen Tom und Eike im Schneideraum und warteten auf die Abnahme durch Neuwirt. Als er energiegeladen mit einem süffisanten Lächeln den Raum betrat, wusste Tom, warum er die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen gehabt hatte.

      Eike hatte tatsächlich seine Aussage in den Beitrag hineinschneiden lassen, das hatte der Geschichte zu mehr Authentizität verholfen. Mit Bauchgrimmen wartete Tom darauf, wie Eike das Statement erklären würde.

      »Herr Neuwirt, ich habe doch zwei Sätze von Tom mit hineingenommen. Ich denke, so ist das Stück besser. Schauen Sie es sich einfach einmal an.«

      Augenblicklich verfinsterten sich Neuwirts Gesichtszüge, und als er den Beitrag gesehen hatte, fing er an zu poltern: »Ich habe laut und deutlich gesagt, dass das nicht geht. Schneiden Sie das Zeug wieder raus!« Er musterte Tom finster vom Kopf bis zu den Füßen. »Für einen Neuling in der Redaktion lehnen Sie sich aber ganz schön weit aus dem Fenster.« Eiligen Schrittes verließ er den Schneideraum und warf geräuschvoll die Tür hinter sich zu.

      Niedergeschlagen und mit zittrigen Fingern tastete Tom nach seiner Zigarettenschachtel in der Lederjacke.