Ohne Gnade. Helmut Ortner

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Название Ohne Gnade
Автор произведения Helmut Ortner
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783939816737



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Wahl der Reihenfolge der Strafen ausschlaggebend gewesen sein. Zum Verständnis der Kumulation von Todesstrafen hier ein willkürliches Kombinationsbeispiel: Der Verbrecher wurde zur Richtstätte geschleift, unterwegs mit glühenden Zangen gezwickt (Strafverschärfung), dann gerädert (für Mord), noch lebend auf das Rad gelegt und an einem beim Rad stehenden Galgen erhängt (für Diebstahl), anschließend mit Rad und Galgen verbrannt (für Sodomie) und schließlich wurde die Asche in den Fluss geworfen. Was dieser arme Sünder bis zu seinem endgültigen Tod am Galgen an Qualen erlitten hat, ist unvorstellbar.

      Schließlich soll hier noch von einer Hinrichtungsart die Rede sein, die in die graue Vorzeit gehört, in eine Ära, als Menschen zu Steinen griffen, um den Missetäter und Friedlosen aus der Gemeinschaft zu vertreiben, weil er sich den Hass der Stammesangehörigen zugezogen hatte: die Steinigung. Getroffen von den Steinen brach der Verurteilte blutend zusammen und starb. Diese archaische Strafe hat bis heute ihren Platz im islamischen Recht, das von der altmosaischen Gesetzgebung stark beeinflusst ist. Gegenwärtig wird diese barbarische Hinrichtungsart im Iran, im Jemen sowie im Königreich Saudi-Arabien, in Pakistan und im Sudan praktiziert.

      Im Juli 1982 verabschiedete der Iranische Rat das islamische Strafgesetzbuch. Als todeswürdige Verbrechen gelten seither unter anderem Mord, Vergewaltigung und Verstöße gegen Moralvorschriften wie Ehebruch, aber auch der wiederholte Konsum alkoholischer Getränke. Artikel 119 des islamischen Strafgesetzbuches bestimmt: Die Steine, die bei der Steinigung verwandt werden, dürfen nicht so groß sein, dass die Person, wenn sie von einem oder zwei Steinen getroffen wird, stirbt; sie dürfen nicht so klein sein, dass man sie nicht mehr als Steine bezeichnen kann.“

      Auf diese Weise wird eine archaische Strafe bis in die Gegenwart ausgeführt. Eine der seltenen Schilderungen findet sich in dem Buch Die gesteinigte Frau, in dem der in Frankreich lebende Journalist Freidoune Sahebjam eine Steinigung beschreibt, die am 15. August 1986 in seinem Heimatland Iran an einer 35-jährigen Mutter von neun Kindern vollzogen wurde. Die Anklage: sie hatte Ehebruch begangen. Die Vollstreckung leitete der Bürgermeister, der zuvor das Urteil verkündet hatte: „Wir haben einstimmig beschlossen, dass die Schuldige Soraya Manoutchehri noch vor Ende dieses Tages gesteinigt werden soll, bis sie tot ist. Alles wird ordnungsgemäß durchgeführt, wie es der Koran gebietet und das Gesetz vorschreibt. Der allmächtige Gott befiehlt uns, Selbstjustiz zu üben, weil wir alle von diesem Weib beleidigt worden sind und weil ihre Angehörigen Rache fordern.“

      Sahebjam protokolliert das barbarische Geschehen. Auszüge:

      „Auf ein Zeichen des Bürgermeisters packten die beiden Männer die junge Frau an den Armen, schleppten sie zu der Grube und ließen sie hineinsteigen. Ein Murmeln erhob sich unter den Zuschauern. Nun würde das Schauspiel, dessentwegen sie hergekommen waren, wahrhaftig beginnen. Aufgeregt blickten sie auf die wehrlose Frau.

      Die Männer mit Schaufeln und Spaten begannen, die Grube, in der Soraya stand, wieder zuzuschütten. Sie war nun bis zu den Schultern eingegraben. Ihre Arme steckten in der Grube. Der Kopf des Opfers, von dem sie nur das auf der Erde ausgebreitete schwarze Haar sahen, war etwa fünfzehn Meter von den Männern entfernt.

       Der Bürgermeister nahm einen Stein und reichte ihn dem Vater: ‚Ihnen, Herr, gebührt die Ehre, den ersten Stein zu werfen … Bitte sehr …‘

       Der Alte legte seinen Stock auf den Boden nieder und ergriff den Stein. Er sagte Gott Dank, streckte den Arm und schleuderte den Stein mit aller Kraft in Richtung auf seine Tochter. Dabei brüllte er: ‚Ya Allah! Da hast du’s, Hure!‘ Er verfehlte sein Ziel. Ebrahim reichte ihm einen anderen Stein, und der Alte warf, seinen Hass hinausschreiend, ein zweites Mal auf seine Tochter. Viermal versuchte er sie zu treffen, ohne Erfolg. Rasend vor Wut, schrie er: ‚Gebt mir noch einen Stein, ich will ihr den Kopf einschlagen, ich schlage ihr den Kopf ein!‘

       Der Bürgermeister gab ihm zu verstehen, dass er die Kreidelinie auf keinen Fall überschreiten dürfe, denn das sei gegen das Gesetz Gottes. Nun kam Ghorban-Ali an die Reihe. Er hatte die Ärmel hochgekrempelt und vier Steine zu seinen Füßen aufgereiht. Er wartete auf das Zeichen des Bürgermeisters. ‚Du bist dran, mein Junge‘, sagte Ebrahim liebevoll. ‚Gott möge dir den Arm führen.‘

      Der ‚betrogene‘ Ehemann straffte seinen Arm und ließ ihn nach vorn schnellen. Der Stein flog zwanzig Zentimeter am Gesicht der Frau vorbei. Sie hatte nicht die geringste Schreckbewegung gemacht, nicht mit den Wimpern gezuckt. ‚Weiter, Ghorban-Ali, nur zu, das war gut … gleich hast du sie, die Hündin …‘, brüllten die Männer in der ersten Reihe.

      Sorayas Mann griff nach dem zweiten Stein, wog ihn in der Hand und blickte auf das Publikum. Er sah aus wie ein Athlet im Stadion, der eine Bestleistung anstrebt. Erneut spannte sich sein Arm, und der Stein streifte den Kopf der Frau. Die Menge stieß ein enttäuschtes ‚Oh‘ aus, doch bevor sie Atem holen konnte, war schon der dritte Stein geworfen und traf die rechte Schulter der Verurteilten. Ein kaum hörbarer Laut entwich ihrem Mund, und für eine Sekunde schwankte ihr zierlicher Oberkörper.

      Das Geschrei schwoll an, und die Männer applaudierten. Ghorban-Ali deutete ein Lächeln an, nahm den nächsten Stein, zielte noch sorgfältiger und warf. Diesmal traf er seine Frau am Haaransatz. Sorayas Kopf wurde nach hinten gerissen, die Stirn platzte auf. Blut strömte hervor. Ein Jubeln ging durch die Menge. Ohne es zu merken, waren die Dorfbewohner einige Schritte näher gekommen und hatten die Kreidelinie überschritten. ‚Geschafft! Ein Hoch auf Ghorban-Ali! Er hat sie getroffen, noch einmal, gibs ihr, dieser Nutte!‘ Nun nahmen die beiden Söhne des Opfers ihre Steine und warfen beide gleichzeitig. Nur ein einziger traf die bis zum Oberkörper eingegrabene Frau. Sie schluchzte auf, und ihr Kopf knickte hintenüber.

       Nun war Scheich Hassan an der Reihe. Er nahm seinen Koran in die linke Hand und ergriff mit der Rechten einen großen Stein. Doch ehe er ihn warf, wandte er sich zu der Menge und sagte salbungsvoll: ‚Nicht ich werfe diesen Stein. Gott ist es, der meinen Arm lenkt. Er gibt mir seine Befehle, und ich räche unseren Imam für das schändliche Verbrechen, das dieses Weib begangen hat.‘ Die Menge applaudierte stürmisch … Im Mittelpunkt des Kreidekreises hauchte Soraya ihr Leben aus. Kopf und Oberkörper waren nur noch ein Haufen blutigen Fleisches. Die johlende Menge ließ nicht von ihrem Opfer ab. Der Kreis hatte sich immer enger um Soraya geschlossen. Ihre Kopfhaut war eine einzige klaffende Wunde, Augen und Nase waren zerschmettert, der Kiefer gebrochen. Der Kopf baumelte wie eine groteske Karnevalsmaske an den Resten der rechten Schulter … ”

      Soraya Manoutchehri war eine von acht Verurteilten, zwei Frauen und sechs Männern, die im Iran allein 1986 gesteinigt wurden. Seither sind in den islamischen Staaten weitere Todesurteile auf diese Weise vollstreckt worden.

       Töten mit Gottes Hand – Vergeltung und Versöhnung

      Glauben Sie, dass es einen Menschen besser macht, wenn man ihn verbrennt?“, fragte Emmanuel Philibert, Herzog von Savoyen, den italienischen Inquisitor Antonio Michele Ghislieri, der sich als Papst Pius V. (1566–1572) durch seine besondere Grausamkeit und mörderischen Pogrome gegenüber „Feinden“ der katholischen Kirche auszeichnete und später, 1712, als Reformer heilig gesprochen wurde.

      Ghislieri antwortete, dass die Scheiterhaufen der Inquisition der Menschheit Glaubenskriege mit ungleich mehr Todesopfern ersparten. Diese Antwort in Anlehnung an das Alte Testament, nichts sei grausamer als Mitleid mit Gottlosen, fasst die Einstellung der heiligen Inquisition – einer fanatischen Kirchenaufsichtsbehörde, würde man heute sagen – zusammen: Ihre Mitglieder und Verfechter bekämpften im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nicht allein Ketzer, die sich gegen die Kirche vergingen, sondern auch Hexen, Zweifler und Zauberer mit heiligem Zorn. Die Urteilsvollstreckung, wie immer sie ausfallen mochte, wurde mit dem portugiesischen Wort „Autodafé“, (Werk des Glaubens), bezeichnet. Schwere Sünder wurden auf den Scheiterhaufen gezerrt und verbrannt. Das Böse verwandelte sich in Asche. Freilich: Verbrannt wurde auch innerweltlich. Hexenverbrennungen waren kein Privileg der Inquisition. Auch nicht das Foltern, um die Angeklagten zu einem Geständnis zu zwingen.

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