HEIßE NÄCHTE IN UNTERFILZBACH. Eva Adam

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Название HEIßE NÄCHTE IN UNTERFILZBACH
Автор произведения Eva Adam
Жанр Языкознание
Серия Unterfilzbach
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958354852



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paar Tage später machte der Tod von Gretl Brandl recht schnell die Runde. Die Menschen in Unterfilzbach und Umgebung waren sehr bestürzt. Das war auch kein Wunder, wenn eine Person ihres Kalibers verstarb. Die Gretl war sehr angesehen. Sie war eine nette, kleine, bescheidene Frau. Ihr Markenzeichen war ihr »Schnopf« – die jungen Mädels würden heutzutage »Dutt« dazu sagen –, zu dem sie ihre grauen Haare immer streng nach hinten gebunden hatte. Streng war sie aber beileibe nicht, sie arbeitete selber fleißig in der Firma ihres Mannes mit und hatte für die Angestellten immer ein offenes Ohr. Nahezu jeder aus der Gegend hatte einmal beim Brandl gearbeitet oder kannte jemanden, der dort gearbeitet hatte, oder war mit jemanden verwandt, der das hatte. Eine ganzseitige Todesanzeige in der Filzbacher Rundschau brachte dann die endgültige Bestätigung. Die Gerüchte über das Ableben der Seniorchefin der Firma Brandl Brandbekämpfung GmbH & Co. KG waren somit offiziell.

      Wenn ein Mensch regional so bekannt und beliebt war, ist es nur selbstverständlich, dass die Beerdigung ein entsprechendes Ausmaß annahm. Eine Art niederbayerisches Staatsbegräbnis wurde anberaumt. Ganze drei Rosenkranzgebete wurden nötig, um allen Trauernden auch die Gelegenheit zu geben, Abschied zu nehmen. Die Unterfilzbacher Kirche platzte dabei fast aus allen Nähten.

      Das Requiem war dann ebenso überlaufen. Gott sei Dank war es ein immer noch ungewöhnlich warmer Mittwoch für den Monat November. Aber die knapp fünfzehn Grad plus ließen es glücklicherweise zu, die Kirchentüren beim Trauergottesdienst offen zu lassen. Die Menschen standen in kleinen Trauben auch außerhalb der Kirche, so groß war der Andrang. Der Mesner platzte fast vor Stolz, als er sein nigelnagelneues Mega-Megafon erneut zum Einsatz bringen konnte und der Trauergottesdienst sogar nach draußen übertragen wurde, quasi live. Das Ganze hatte etwas von Vatikan und Petersplatz, nur halt in der Unterfilzbacher Größenordnung.

      Böse Zungen hätten jetzt behauptet, dass nicht nur das tiefe Mitgefühl und die Anteilnahme an Gretls Tod so viele Menschen zum Kommen animierte, vielleicht war es bei manchen doch auch der großzügige Leichentrunk, der im Anschluss an die Trauerfeier stattfand. Man wusste es nicht genau. Der große Dorfwirtssaal wurde dafür vom Witwer Alfons gebucht und alle waren »frei«, so die Ansage. Dieses kleine Adjektiv »frei« war in Bayern so etwas wie die Aufforderung zu »all you can eat«, nur dass man hier nicht einmal die Pauschale selber bezahlen musste.

      Traditionell gab es bei fast jedem Leichentrunk in Niederbayern immer zwei Gerichte zur Auswahl. Schnitzel oder Schweinebraten. So auch hier in Unterfilzbach, eh klar. Denn nichts verunsichert einen Niederbayern mehr als marginale Abweichungen von uralten Traditionen, in diesem Fall vom Schweinernen und vom Schnitzel. Da tat er sich mit großen Veränderungen, wie beispielsweise der Wiedervereinigung Deutschlands oder die Einführung des Euro, nicht ganz so schwer, der Niederbayer, als wenn es jetzt bei einem Leichentrunk plötzlich Spaghetti Bolognese oder so was gegeben hätte. Die Niederbayern sind halt ein besonderes Volk.

      Wie dem auch sei, schon wieder strömten die Menschen in Scharen herbei. Diesmal von der Dorfkirche direkt in den Dorfwirtssaal. Die Wirtsleute Herbert und Barbara waren allerdings gut organisiert und hatten natürlich mit diesen Menschenmassen gerechnet.

      Da die Firma Brandl vor allem auch mit Kundschaft aus dem Milieu der Brandbekämpfungsszene zu tun hatte, waren auch jene in großer Anzahl vertreten. Aus dem ganzen Landkreis kamen die Freiwilligen Feuerwehren in großen Abordnungen nach Unterfilzbach, um der Gretl die letzte Ehre zu erweisen. Und wie das halt einmal so war, wenn viele Feuerwehrler auf einen Haufen versammelt waren, dann wurde es meistens recht zünftig, das ging irgendwie gar nicht anders. Sogar einem eigentlich andächtigen und betrübten Leichentrunk verliehen die Kameraden in Festtagsuniform früher oder später einen gewissen Stimmungskick. Nicht sofort, aber nach und nach. Meistens stieg die Laune parallel zur ausgeschenkten Literanzahl der alkoholischen Freigetränke.

      Aber nicht nur die ehrenamtlichen Brandbekämpfer waren in großer Quantität präsent, zu einem niederbayerischen Leichentrunk kamen erfahrungsgemäß auch Menschen, die quasi die Leiche – in diesem Fall die Gretl – nur vom Sehen her kannten. Das lag daran, dass es Menschen in Unterfilzbach gab, meistens in der Altersgruppe Ü80, die grundsätzlich auf jede Beerdigung gingen, weil sie es als eine Art altersgerechtes Event ansahen, so wie zum Beispiel die »ledige Fannerl«.

      Die Fannerl, alias Franziska Straubmeier, residierte mit ihren achtundachtzig Jahren zwar im Altersheim »Zum ewigen Licht« und bekam dreimal täglich ihre Mahlzeiten serviert, aber der Schweinebraten dort war nicht nach Fannerls Gusto. Sie betitelte ihn sogar immer mit »furchtbarsaugreislig«. Deshalb hatte der Besuch einer Beerdigung sowie der dazugehörige Schweinebraten auch manchmal einen ganz unemotionalen Beweggrund, zumindest für »Beerdigungstouristen« wie die Fannerl.

      Die Unterfilzbacher Feuerwehr jedoch hatte durchaus eine tiefgründigere Motivation für die Teilnahme an der Trauerfeier als die freie Verpflegung. Es war eine logische Konsequenz der Ehrerweisung für die ehemalige Fahnenmutter Gretl – Gott hab sie selig – und das nun verwitwete Ehrenmitglied Alfons. Aber gut, außerdem waren da ja trotzdem noch das Freibier und die Schnitzel …

      Als Erster Kommandant der Heimatwehr hielt natürlich Sepp, stellvertretend für alle Landkreisfeuerwehren, einen Nachruf auf die Gretl. Im Anschluss an das Requiem in der Kirche rührte er die Trauergemeinde zu Tränen. Auch wenn der Sepp normalerweise kein Mann der großen Worte war, so war in diesem Fall seine Rede doch so emotional und feinfühlig, dass sich einige ein Schluchzen nicht verkneifen konnten. Auch Alfons und sein missratener Sohn Karl heulten natürlich Rotz und Wasser. Hansi wurde manchmal ein wenig neidisch, wenn eine Situation wie diese auftrat, in der er sich dachte: Herrgottsakara, der Hund kann einfach alles.

      Unter den vielen ergriffenen Trauergästen war jedoch einer nicht ganz so gerührt von Sepps Worten, nämlich Fritz Kronschnabl. Der Fritz war schon länger Sepps Konkurrent, meinte zumindest der Fritz. Wobei er als Zweiter Feuerwehrkommandant eigentlich mit seinem »Chef« ein gutes Team hätte bilden sollen. Aber Teambuilding war überhaupt nicht dem Fritz das Seine. Im Schützenverein hatte er es zwar sogar zum Ersten Schützenmeister bei den Böllerschützen gebracht, aber dieser Teamgeist, den er damals kurzzeitig an den Tag gelegt hatte, hielt nur bis zur Wahl. Inzwischen wendete sich das Blatt innerhalb der Böllerschützen und »hintenrum« lief sogar schon eine Art »Schützenmeister-Amtsenthebungsverfahren«. Es hatte dem Fritz nämlich immer schon gefallen, wenn er lautstark durch die Gegend ballern konnte. Allerdings ballerte er den anderen Böllerschützen inzwischen zu viel, denn die streng zugeteilte Menge an Schwarzpulver für die Vorderladergewehre, das der Schützenmeister eigentlich für den gesamten Verein verwalten sollte, war vor sechs Wochen plötzlich aus gewesen. Was dann blöd war, denn es gab innerhalb eines Jahres nur eine bestimmte Menge, die den Schützen zugeteilt wurde. Bisher war das immer ausreichend gewesen und es war in der Vereinsgeschichte eigentlich noch nie vorgekommen, dass das Schwarzpulver nicht einmal mehr für einen einzigen Salutschuss auf einer Beerdigung gereicht hatte. So viele Bürger waren in Unterfilzbach noch nie zeitlich so eng aufeinander gestorben, dass die Munition tatsächlich ausgegangen wäre. Da haben die Schützen dumm geschaut damals, als bei der Beerdigung vom Schmied Max auf einmal kein Schwarzpulver mehr da war. In voller Montur standen sie am Grab, aber ohne Munition. Der Fritz meinte nur: »Oha, g‘langt nimmer«, als die Schwarzpulverkiste dann leer war.

      Seitdem war die Stimmung im Schützenverein nicht mehr so bombig. Deswegen war auch ganz Unterfilzbach schon gespannt wie ein Regenschirm, wie sich das zwischenmenschliche Klima bei der Feuerwehr weiter entwickeln würde, denn der Fritz machte kein Geheimnis aus seiner Abneigung gegen den Sepp. Im Grunde genommen war er einfach ein kleiner giftiger Stinkstiefel, ein »Muhagl«, wie man in Bayern dazu sagte. Fritz und seine Familie waren schon ein wenig sonderbar, fand auch der überwiegende Teil der Unterfilzbacher Bevölkerung. Genau wie der Fritz waren seine Frau Heike sowie seine pubertierenden Kinder Jamal, Samantha und der verzogene kleine Rotzlöffel Winnetou ewige »Grantler«. Isabelle, die Scharnagl-Erstgeborene und Starfriseuse in Karins Friseur Stüberl, war immer furchtbar genervt, wenn Heike und ihre »Brut« wieder den halben Friseursalon lahmlegten.

      »Also ich hätt es ja nie gedacht, dass es so was gibt, gell. Aber bei den Kronschnabln sind sogar die Kinder schon Deppen«, schimpfte sie erst letztens wieder beim gemeinsamen Familienabendessen. Aber der Apfel fällt wohl auch in Sachen Liebenswürdigkeit