HEIßE NÄCHTE IN UNTERFILZBACH. Eva Adam

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Название HEIßE NÄCHTE IN UNTERFILZBACH
Автор произведения Eva Adam
Жанр Языкознание
Серия Unterfilzbach
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958354852



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aber sehr beliebt im Dorf. Seine ruhige und besonnene Art kam überall gut an. Außerdem war er Erster Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Unterfilzbach und behielt immer einen kühlen Kopf, auch in Stresssituationen. Somit war er schon mal grundsätzlich einer von »den Guten«. In persönlichen Dingen war er allerdings eher zurückhaltend und verschlossen.

      »Öha, des schaut aber wirklich super aus, Sepp«, zollte Hansi ihm Respekt für sein wirklich schön bepflanztes Familiengrab. Sogar das kann er, dachte Hansi anerkennend.

      Hilfsbereit, wie der Müller nun einmal war, half er auch seinem Nachbarn, dem Weiderer Erwin, sein Grab ein wenig allerheiligentauglich zu machen. Auch der Erwin war ein alleinstehender Herr, der neben Sepp am Ortsrand ein kleines altes Häuschen bewohnte. Er war bereits in Rente, eigentlich noch topfit, aber als pensionierter Postbote nicht abgeneigt, wenn er Arbeiten delegieren konnte, am liebsten an den gutmütigen Sepp.

      Nach einer informativen Plaudereinheit des Herrentrios gingen Hansi, Sepp und Erwin wieder ans Werk. Sepp ordnete an, dass Erwin wenigstens die frisch angepflanzten Alpenveilchen gießen könnte, und drückte ihm eine Gießkanne in die Hand.

      Hansi beobachtete Sepp gerade dabei, wie dieser gekonnt und fachgerecht die Kletterrose am Weiderer-Grab zuschnitt, als ein lauter Schrei über den Friedhof schallte. Aus der Ferne konnten Sepp und Hansi sehen, wie sich vier Grabreihen weiter in Sekundenschnelle eine kleine Menschentraube bildete. Natürlich mussten sie da gleich einmal nachschauen, denn der Bauhof war ja irgendwie für alles zuständig. Also eilten die zwei Bauhof-Sheriffs in Richtung Menschenauflauf.

      Der Weiderer Erwin war mit seiner Gießkanne auf dem frisch aufgekiesten Friedhofsweg ausgerutscht und hielt sich jetzt seine Hüfte fest, während er lautstark jammerte. Vielleicht hatte es Hansi doch ein wenig zu gut gemeint mit dem Aufbessern des Wegebelags.

      »Ruft vielleicht jemand a mal einen Sanka!?«, übertönte jetzt Berta das aufgeregte Stimmengewirr.

      »So, das hast jetzt davon, Berta! Jetzt ist was passiert, weil zu viel Kies auf dem Weg war. Wegen dir ist der Erwin jetzt hingefallen«, rief Hansi leicht aufgeregt.

      Das musste jetzt sein, dachte sich Hansi, die Hinkhoferin, das alte G’scheidhaferl. Immer musste sie alles besser wissen. Das geschah ihr grad recht. Ein ganz ein schlechtes Gewissen soll sie plagen, die alte Bissgurken, ein ganz ein schlechtes, echauffierte sich Hansi gedanklich.

      Der Sanka kam mit einiger Verspätung, weil sich die Parkplatzsituation rund um den Friedhof inzwischen nicht verändert hatte. Zwei schimpfende und fluchende Sanitäter transportierten den immer noch herzerbärmlich jammernden Erwin ab ins Kreiskrankenhaus. Verdacht auf Oberschenkelhalsbruch.

      Die Sanitäter waren stockgrantig. Sie mussten Erwin auf der Trage fast bis zum KaufGut-Supermarkt schleppen, weil partout kein Parkplatz für den Sanka zu finden war. Kurzerhand hatten sie daraufhin die Polizeiinspektion angerufen und es hagelte nur so Strafzettel. Berta traf es dabei am schwersten, ihr feuerroter tiefergelegter Scirocco Sportflitzer wurde aus der Feuerwehranfahrt abgeschleppt. Da half auch Bertas wüstes Beschimpfen der Polizeibeamten nichts.

      Genüsslich lächelte Hansi seiner Lieblingsfeindin zu, als er mit dem Unimog an ihr vorbei zurück in Richtung Bauhof tuckerte.

      Am frühen Morgen des 1. Novembers war Bettina zwar nicht mehr im Grabdeko-Stress, dafür wirbelte sie jetzt aber hektisch durch die heimische Küche, denn im Anschluss an den Gottesdienst am Friedhof kamen jährlich traditionell die ganzen Verwandten der Scharnagls zum Kaffeetrinken vorbei, sozusagen zur After-Allerheiligen-Party. Deshalb war Frau Scharnagl bereits seit vier Uhr morgens auf den Beinen und schob einen Kuchen nach dem anderen in ihren Ofen. Ganze sechs Kuchen standen wohlduftend auf dem Küchentisch. Karottenkuchen, Marmorkuchen, Eierlikörtorte, Gewürzschnitten, Schmandkuchen und ein Rotweinkuchen waren bereit für die Invasion der »buckligen Verwandtschaft«. Das war sicherlich – genau wie jedes Jahr – viel zu viel an Gebäck, aber Bettina war gerne auf der sicheren Seite … nicht, dass jemand hungern musste. Was sagen denn da d´Leut?

      Hansi mochte die Allerheiligen-Nachmittage mit seinen Brüdern, Schwagern und Schwägerinnen, Neffen und Nichten. Die Scharnagls und auch die angeheirateten Schlessingers auf Bettinas Seite, waren eine recht zünftige Truppe und sie saßen immer recht lange zusammen, ratschten und lachten.

      Aber vorher musste Hansi erst noch den offiziellen Hauptprogrammpunkt des Tages hinter sich bringen, den Freiluft-Gottesdienst am herausgeputzten Friedhof. Von allen Seiten strömten die Unterfilzbacher und deren Besucher gegen frühen Nachmittag in Richtung Gottesacker. Dicht gedrängt drückten sich die Menschen durch das eiserne kleine – und nun nicht mehr ganz einwandfrei lackierte – Eingangstor und schoben sich über die frisch aufgekiesten Wege. Hansi kam dabei jedes Jahr der Gedanke, dass genau jetzt der absolut passende Zeitpunkt wäre, einen großen Raubzug durch den Ort zu starten, denn in dieser halben Stunde war wahrscheinlich keine »alte Sau« daheim, dachte Hansi, alle waren ja hier. Aber der ehrliche Unterfilzbacher war weit entfernt vom kriminellen Milieu. Das hätte er schon rein nervlich gar nicht ausgehalten, und so blieb es eines von vielen kreativen Gedankenspielen des Hansi Scharnagl.

      Der Friedhof platzte also aus allen Nähten und wurde somit einmal im Jahr zum »Place to be«. Sehen und gesehen werden quasi. Der Föhnwind blies von den Alpen herüber und brachte auch noch ein paar warme Sonnenstrahlen mit sich, für November zwar angenehm, aber viel zu warm. Wegen des »Place to be« und so weiter sahen sich einige Unterfilzbacher nämlich gezwungen, ihre neue – oder die alte, aber dafür sauteure – Wintergarderobe auszuführen, was recht lustig mitanzusehen war, denn wegen der vierzehn Grad plus liefen so manch einer aufgetakelten Pelzmantelträgerin vereinzelt die Schweißperlen über die frisch geschminkte Stirn.

      Aufgebrezelt standen die Unterfilzbacher Katholiken somit pünktlich und andächtig an den Gräbern ihrer Vorfahren. Die MUMUS – ausgesprochen hieß das Musikverein und Marschkapelle Unterfilzbach, aber da der Kapellenname für einen Niederbayern schier endlos lang war, wurde er im gängigen Sprachgebrauch meistens abgekürzt – spielten natürlich andächtige Blasmusik und Pfarrer Birnböck hielt einen ebenso andächtigen Wortgottesdienst ab, der über das neue kircheneigene Mega-Megafon live vom Leichenhausvorplatz an die Gräber übertragen wurde.

      Hansi ließ seinen Blick durch die Reihen schweifen und versuchte dabei so andächtig wie möglich zu wirken. Dabei musste er unweigerlich beim großen und wirklich prächtigen Brandl-Grab genau eine Reihe vor ihm innehalten. Die Familie Brandl stammte eigentlich aus Unterfilzbach, deswegen war hier auch das Familiengrab angesiedelt, aber Alfons Brandl, auch Fonsi genannt, hatte sich vor vielen Jahren mit seiner Firma für Feuerlöscher und Brandbekämpfungshilfsmittel aller Art in Oberfilzbach selbstständig gemacht. Ein paar Unterfilzbacher nahmen ihm das noch heute übel, denn die Feindschaft zwischen den beiden Nachbardörfern war legendär. Und die Oberfilzbacher hatten die Gewerbesteuer eines hart arbeitenden gebürtigen Unterfilzbachers nicht verdient – meinten die Bürger aus Unterfilzbach, aber zu dieser Zeit waren halt die wirtschaftlichen Bedingungen in Oberfilzbach besser und Alfons zog aus seiner heimischen Garage, in der er damals noch allein hantiert hatte, nach Oberfilzbach um. Ein Grundstück im Oberfilzbacher Gewerbegebiet wurde ihm von der Gemeinde fast geschenkt und als junge expandierende Firma war das logischerweise eine gute Gelegenheit für den Bau eines kleinen Firmengebäudes.

      Der Brandl Fonsi war ein gewiefter Tüftler und als alter Feuerwehrler war er von Kindesbeinen an schon in diese »Szene« involviert. Es war nun fast genau dreißig Jahre her, da hatte der heute Achtundsechzigjährige Alfons mit stolz geschwellter Brust ein Patent beim Patentamt München angemeldet. Er hatte lange herumexperimentiert und schlussendlich erfolgreich einen Löschschaum entwickelt, der um ein Vielfaches effizienter und umweltverträglicher war als alles, was damals auf dem Markt zu haben war. Als gelernter Klärwärter hatte er auch ein Basiswissen, das ihm bei seiner Löschschaum-Tüftelei ganz nützlich gewesen war. Die Brandl-Feuerlöscher schlugen ein wie eine Bombe und die Firma wuchs und wuchs. Alfons hatte seine Arbeitsstelle in der Unterfilzbacher Kläranlage natürlich gekündigt und gründete seine eigene Firma, die Brandl Brandbekämpfung GmbH & Co. KG – kurz die BBB.

      Inzwischen war die BBB dick im Geschäft und zu einer Firma mit fast dreihundert