Mörder-Quoten. Leo Lukas

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Название Mörder-Quoten
Автор произведения Leo Lukas
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783800099023



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bereiten.“

      „Was meinst du, Pezi? Schwierigkeiten welcher Art?“

      „Keine. Gar keine! Wir tun einfach, als wären wir einander nie begegnet, okay? Ich lasse Sie in Frieden, und vice versa. Jeder geht seiner Wege, nichts ist passiert.“

      „Niemand trägt Schaden davon.“

      „Ja. Genau! Wir verstehen uns. Alles ist gut.“ Er fächert die Finger auf. „Kann ich jetzt gehen?“

      „Nein. Ich vertraue dir nicht. Beweis mir, dass du es ehrlich meinst.“

      „Wie, wie soll sich …“ Szily, der schon zum Aufstehen angesetzt hat, sackt zusammen. „Was verlangen Sie als Beweis?“

      „Du assistierst mir dabei, die Hintergründe von Pekareks Ermordung aufzudecken.“

      „Was?“

      Szily gafft ihn so entgeistert an, dass der Bravo erkennt: Der andere fürchtet sich zwar vor ihm, keine Frage – aber er hält ihn nicht für einen Berufskiller, sondern schlicht für wahnsinnig. Verdammter Besuch beim Psychiater! Nie wieder, schwört der Bravo, wird er sich mit dieser Bagage einlassen. Egal. Momentan spielt es keine Rolle, warum ihm Szily gehorcht. Hauptsache, er spurt und hält dicht. „Du sollst deine große Klappe einsetzen, aber ausschließlich so, wie ich es dir anschaffe, klar?“

      „Ehrlich gesagt …“

      „Ein Wort, ein einziges Sterbenswörtchen nur, das dir über mich herausrutscht, und du siehst nie wieder die Sonne aufgehen. – Gib mir dein Handy.“

      „W-W-Wieso?“

      „Frag nicht lang. Her damit, Pezi.“ Er nimmt das Smartphone entgegen und öffnet es mithilfe eines Uhrmacher-Schraubenziehers. Dann steckt er eine Chipkarte in den Hybrid-Slot. „Das ist ein spezielles Modul“, erklärt er. „Über diese Karte kann ich dein Gerät in Fernsteuerung nehmen. Du kennst das Gerücht, dass Google bei den meisten Handy-Mikrofonen mithört?“

      „Mhm“, nickt Szily. Er verzieht das Gesicht. Wie viele seiner Zeitgenossen identifiziert er sich dermaßen mit dem Mobiltelefon, dass er fast körperliche Schmerzen verspürt, wenn sich ein anderer daran zu schaffen macht.

      „Dass ich bei dir mithören kann, ist definitiv kein Gerücht, verstehst du? Ab sofort weiß ich auch, wo du bist, welche Nachrichten du verschickst und so weiter.“ Der Bravo schließt die Abdeckung und gibt das Handy zurück. „Du hast jetzt einen unsichtbaren großen Bruder, Pezi. Vergiss das nie. Und komm gar nicht erst auf die Idee, diesen Chip entfernen zu wollen.“ Er klopft auf die Brusttasche, aus der sein eigenes Smartphone ragt. „Selbstverständlich würde ich das ebenfalls unverzüglich bemerken.“

      Peter Szilys Teint war von Anfang an nicht der gesündeste. Nun changiert er zwischen nikotingrau und wachsbleich. „Was … Was soll ich als Erstes tun?“

      „Bring in Erfahrung, ob Pekarek ausgewiesene Feinde hatte. Oder Rivalen, die ihm sein Wettbüro abluchsen wollten. Horch dich am Dombrowski-Platz um. Aber vorsichtig, kapiert? Außerdem bist du doch sicher mit einer Menge Medienleuten befreundet.“

      „Naja, die meisten sind aus den Kulturredaktionen. Und befreundet ist vielleicht zu viel gesagt.“

      „Der eine oder andere wird schon darunter sein, der auch in der Glücksspielmaterie bewandert ist. Sag ihnen, du brauchst die Infos, um dich auf deine Rolle in diesem Diplomfilm vorzubereiten.“

      „Woher wissen Sie …?“ Szily verstummt, beißt sich auf die Unterlippe.

      In Wahrheit kann der angebliche Zauberchip im Handy nicht einmal die Hälfte all dessen, was der Bravo behauptet hat. Von der kommenden Filmrolle hat er erfahren, weil Szily kürzlich etwas darüber auf Facebook gepostet hat. Aber das bindet er ihm nicht auf die blasse Nase.

      „Ich werde mich bemühen und gleich morgen …“

      „Heute, Pezi. Der Tag ist noch jung.“

      „Eigentlich hatte ich vor, mit Freunden im Museumsquartier Boule zu spielen. Wie jeden Donnerstag ab fünf, wissen Sie, und es täte mir echt leid …“

      „Dir ist der Ernst deiner Lage aber schon bewusst, oder?“ Der Bravo staunt über Szilys Oberflächlichkeit. „Du könntest bereits still, starr und stumm auf dieser Bank liegen. Ich lasse dich am Leben, solange du mir nützt. Falls du mir nützt. Sonst …“

      „Ja. Okay. Sicherlich. Entschuldigung, ich war ein bisschen … unkonzentriert. – Wie kann ich Sie erreichen, wenn ich etwas herausgefunden habe?“

      „Mach dir diesbezüglich keine Sorgen.“ Der Bravo zwinkert kumpelhaft mit dem rechten Auge. „Ich erreiche dich. Wann immer ich will.“

       5

      Erst nach mehreren Anläufen schaffte ich es, den Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür einzufädeln und aufzusperren, so sehr zitterten meine Hände. Mit weichen Knien wankte ich zum Sofa und streckte mich der Länge nach aus, obwohl ich noch die Schuhe anhatte.

      Ich versuchte, mich an die Atemübungen zu erinnern, die man uns in der Schauspielschule empfohlen, ja eingebläut hatte. Durch die Nase ein, als tränke man Nektar; durch den Mund aus, so langsam, dass eine Kerzenflamme flackerte, jedoch nicht erlosch … Schon vor 20 Jahren hatte dies keine beruhigende Wirkung auf mich ausgeübt, eher im Gegenteil. Was dann? Eine Weile hatte ich Autogenes Training betrieben. Vielleicht funktionierte das?

      Also: „Ich bin ganz entspannt … Meine Arme und Beine sind warm und schwer … Mein Herz schlägt ruhig und regelmäßig …

      Bis der Bravo kommt und mich umbringt.“

      Fast hätte ich laut aufgeschrien. Ich setzte mich auf. So wurde das nichts. Eine Zigarette wäre fein gewesen. Aber ich rauchte seit fünf, nein sechs Jahren nicht mehr. Dies war einer der seltenen Momente, in denen ich das bereute.

      Ich strich kreuz und quer durchs Wohnzimmer. Nach einer Weile gelang es mir ansatzweise, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Erstens, der Bravo war ein Freak, und zwar ein gefährlicher, zu so gut wie allem fähiger. So viel stand fest. Aber war er zweitens auch wirklich ein Berufskiller, oder bildete er sich das ein? Und machte das drittens in meiner konkreten Situation überhaupt einen Unterschied?

      Mein Handy piepte, worüber ich dermaßen erschrak, dass mir ums Haar den Schädel an der Kante des Lampenschirms angestoßen hätte. Wenn das so weiterging, brauchte bald ich einen Nervenarzt. Ich tippte aufs Display: Ein SMS war eingegangen, von der Filmakademie. Die Drehs mit den Szenen, an denen ich beteiligt war, sollten bereits diesen Samstag und Sonntag stattfinden, und zwar außerhalb von Wien. Ob ich prinzipiell Zeit hätte. Details würden folgen.

      Ich bejahte mit fliegenden Fingern.

      Danach stierte ich minutenlang das Smartphone an. In der abgedunkelten Oberfläche spiegelte sich mein verkniffenes Gesicht. Laut Kurzbeschreibung war der Charakter, den ich zu verkörpern hatte, fast doppelt so alt wie ich. Derzeit hätte ich das auch ohne Maskenbildnerin glaubhaft rübergebracht.

      Hatte, viertens, der Bravo soeben mitgelesen?, setzte ich die Aufzählung fort. Würde er mich fünftens dafür bestrafen, dass ich, ohne ihn zuvor um Erlaubnis zu fragen, den Wochenend-Termin bestätigt hatte?

      Nein. Nein und nochmals nein – ich durfte mich, sechstens bis mindestens zwölftens, nicht komplett kirre machen lassen! Ich würde, beschloss ich, in Ruhe überlegen, an wen ich mich um Hilfe oder Rückendeckung wenden könnte. Gugu Guthmann? Die Polizeiinspektorin Karin Fux, die angeblich hinter einem Auftragsmörder her war? Die Telefonseelsorge? Haha, Scherzchen. Jedenfalls musste es so geschehen, dass der Bravo auf keinen Fall Wind davon bekam. Mit dem Erwerb eines zweiten Handys würde es sehr wahrscheinlich nicht getan sein. Sowieso war angeraten, nichts zu überstürzen. Denn sollte sich herausstellen, dass mein neuester und bedrohlichster Bekannter doch nur ein Spinner war, hätte ich mich unsterblich blamiert, wenn ich mit der Geschichte von Pontius zu Pilatus hausieren gegangen wäre.

      Daher