Название | Zuber |
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Автор произведения | Josef Oberhollenzer |
Жанр | Языкознание |
Серия | Transfer Bibliothek |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783990371114 |
3
Wieder in der oberen stube, am gleichen tisch wie damals mit Rut, habe er gedacht, sagt F., und am Montenegro genippt; wie ihm alles sofort zur gewohnheit werde!, „wie sich alles wiederholt“. Und die Blaaser Kreszenz habe nun erzählt, wie alles angefangen habe: Wie ihr Vitus habe warten müssen, bis er an der reihe gewesen sei. Denn am selben tag, so habe er erzählt, habe die hebamme noch zwei buben auf die welt, vor ihm; und der eine, der nur mit einem bein ins leben hinein sei23 und der mit ihnen aber fußball gespielt habe von anfang an und der mit ihm hinauf auf die bäume sei, sei später auch auf die berge hinauf; der Blasegger Bonifaz sei ein guter kletterer gewesen, wendiger als viele zweibeinige, der sei am ende in die felsen gestürzt. An dem habe er sich kein beispiel genommen nach seiner querschnittbehinderung. Obwohl er von sich immer als von einem „glückskind“ geredet habe24, hätten sein vater und sein onkel, also des vaters lieblingsbruder und also sein lieblingsonkel, „obwohl – oder vielleicht gerade, weil ich mich an ihn nicht erinnere“, habe der Vitus gesagt, sei der, dessen name auch der seine sei, weshalb er anfangs oft erschrocken sei, wenn er auf dem grabkreuz dieses onkels seinen eigenen namen gelesen habe, doch nur monate nach seiner geburt gestorben, „gestorben an seinem kopf“, hätten sein vater und sein onkel, sein taufpatenonkel, auf dem heimweg von der taufe doch ein schwein vor sich hergetrieben, das – aber das habe damit nichts zu tun, habe der Vitus immer gesagt, wenn er davon erzählt habe, habe die Blaaser Kreszenz gesagt, sagt F. –, das wie immer im winter, „wie immer um neujahr herum“, geschlachtet werden sollte. Sein vater, habe der Vitus oft gesagt, habe weit über Aibeln hinaus den besten speck produziert; denn so, wie er seine bienen nicht mit zucker überwintert habe, nie zucker dazugefüttert habe, um dann mehr honig, „minderen“, aus den waben herauszuschleudern, habe er auch auf den fraß seiner schweine immer beide augen gehabt. Er wolle keinen „allesfresserspeck“, habe sein vater immer gesagt, wenn seine mutter etwa falsche essensreste in die weißblecherne schweinskanne in der küche habe schütten wollen, habe der Vitus gesagt.
4
„Wie alles angefangen hat“, habe die Blaaser Kreszenz gesagt – und wie der Vitus einmal gesagt habe, als sie wieder einmal in der von ihr nicht verstandenen „aperiodizität“ bei ihm gewesen sei in der nacht25 und also in jenen vormitternachtsstunden verzweifelter lustgraberei, heimlich und von niemandem gewußt, sozusagen als „gebenedeite medizin“ gegen seine „körperverlorenheit“ – „Wo hab ich dieses wort nur gehört?“ –, und die nach der erschöpfungsstummheit, wenn diese schließlich zur erschöpfungsstille geworden sei ein jedes mal, immer geendet hätten in Vitus’ kindheitserzählen, im graben „in jenem garten, jenem vergessensten, ja, und verwunschensten ort, in dem einmal niemand, niemand mehr gewesen sein wird“26, so habe der Vitus nämlich, „wortwörtlich“, habe die Blaaser Kreszenz gesagt, die kindheit genannt –, und wie der Vitus einmal gesagt habe, was er so gern geworden wär: „Kindheitsarchäologe, hat er gesagt“, sagt F., habe die Blaaser Kreszenz gesagt. Aber kein kindheitsarchäologe im allgemeinen, nein, das hätte ihn nicht interessiert, nie – „in keinster weise“, habe der Vitus gesagt, oder manchmal auch: „nicht im mindesten“ –, dann hätte er gleich „kindheitshistoriker“ werden können und „alles über den objektiven kamm scheren“, so habe er sich ausgedrückt; nein, kindheitserfinder im eigenen, selbstlebenserfinder, reisender in die ersten jahre hinab27, „die so voller verdichteter gegenwart sind“, habe der Vitus gesagt, daß sie „alles, was war“, daß sie all die zeit aufgesogen hätten wie ein schwarzes loch: ausgelöscht wie sein letztes werk, „damit alles bleibt, wie es gewesen ist“, habe der Vitus gesagt, und nicht erinnernd sich veränderte in ein anderes – und also verschwände. Was nicht erinnert werde, bleibe immer gleich. – Alles ausgegrabene, ja, habe noch die unschärfe der erinnerung, „diese scharfe unschärfe, Kreszenz“, habe der Vitus ein andermal gesagt, nicht scheuend die widersprüche oder die abweichungen, und sei noch auslegbar wie ein mythos, wie ein teppich oder wie der vogelflug – oder, habe er gesagt, „auch wie ein blatt tarot“: „Können Sie tarock? – Nein? – Soll ich Ihnen die zukunft weisen?“28 Denn sie habe ein tarockdeck in der tasche, „immer schon“, habe die Blaaser Kreszenz gesagt, sagt F., „sehen Sie?“; und den kellner rufend, habe sie begonnen, die karten vor sich auszulegen: zuerst den narren, dann den turm, dann den tod, „Zwei Montenegro, bitte!“, dann die sonne –29: „Wissen Sie“, habe sie gesagt, „wie sie mir meinen Jonas zerstört haben?“ Da habe ihr Jonas im kindergarten eine sonne gemalt, schwarz, ganz schwarz, kohlrabenschwarz; und da habe ihm „eine sogenannte tante“, die Tante L. habe ihm da, wie er weinend erzählt habe nach dem einschlafgebet, seine sonne zerrissen, zornig, habe er gesagt, „ganz zornig und laut“, und habe ihn angeschrien, was das denn solle, eine schwarze sonne, es gebe keine schwarzen sonnen, „Ja hast du noch nie eine sonne gesehn?“, sonnen seien gelb, oder golden, und wenn er nicht sofort eine gelbe, eine richtige sonne male, da gehe sie mit ihm hinaus und lasse ihn in die sonne schauen, „so lang“, habe sie geschrien, „bis du’s endlich begreifst“! Aber er habe ja eine nachtsonne malen wollen, in der nacht sei die sonne ja schwarz, „nicht, mama?“, sonst sähe man sie ja, wenn sie nicht schwarz wäre in der nacht! – Und nun, nachdem die Blaaser Kreszenz den Montenegro „in einem zug“ in sich hineingeschüttet gehabt habe, sagt F., habe sie erzählt, wie ihr der Vitus, nachdem sie ihm diese geschichte berichtet gehabt habe, erzählt