Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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Название Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke
Автор произведения Walter Benjamin
Жанр Контркультура
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Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9789176377444



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Anknüpfung desselben an … ein fatales Requisit.«541 Denn über das Menschenleben, ist es einmal in den Verband des bloßen kreatürlichen gesunken, gewinnt auch das der scheinbar toten Dinge Macht. Seine Wirksamkeit im Umkreis der Verschuldung ist Vorbote des Todes. Die leidenschaftliche Bewegung des kreatürlichen Lebens im Menschen – mit einem Worte: die Leidenschaft selbst – setzt das fatale Requisit in die Aktion. Es ist nichts als die seismographische Nadel, die Kunde gibt von ihren Erschütterungen. Im Schicksalsdrama spricht sich die Natur des Menschen in blinder Leidenschaft wie die der Dinge in dem blinden Zufall unterm gemeinsamen Gesetz des Schicksals aus. Dies Gesetz tritt um so deutlicher heraus, je adäquater das registrierende Instrument ist. Daher ist es nicht gleichgültig, ob, wie in so vielen deutschen Schicksalsdramen, ein armseliges Requisit in mesquinen Verwicklungen dem Verfolgten sich aufnötigt oder ob uralte Motive wie bei Calderon an solcher Stelle ans Licht treten. Die ganze Wahrheit der Bemerkung A. W. Schlegels, er kennte »keinen Dramatiker, der den Effekt so zu poetisieren gewußt hätte«,542 wird in diesem Zusammenhang einleuchtend. Calderon war in diesem Fache Meister, weil der Effekt innere Notwendigkeit seiner eigensten Form, des Schicksalsdramas, ist. Und nicht sowohl darin besteht die geheimnisvolle Äußerlichkeit dieses Dichters, wie in Verwicklungen der Schicksalsdramen das Requisit fortdauernd virtuos im vordem Plane sich behauptet, als in der Genauigkeit, mit der die Leidenschaften selber die Natur von Requisiten annehmen. Der Dolch in einer Eifersuchtstragödie wird eines mit den Leidenschaften die ihn führen, weil Eifersucht bei Calderon genau so scharf und handlich wie ein Dolch ist. Es ist des Dichters ganze Meisterschaft darin, wie höchst exakt vom psychologischen Motiv des Handelns, das der moderne Leser in ihr sucht, die Leidenschaft in einem Stück wie dem Herodesdrama abgehoben ist. Man hat das nur bemerkt, um sich daran zu stoßen. »Es wäre das Natürliche gewesen, den Tod der Mariene aus der Eifersucht des Herodes zu motivieren. Die Lösung drängte sich sogar mit einer zwingenden Gewalt auf, und die Absichtlichkeit, mit der Calderon ihr entgegenarbeitete, um der ›Schicksalstragödie‹ den ihr zukommenden Abschluß zu geben, ist offenkundig.«543 Ja: denn nicht aus Eifersucht tötet Herodes die Gattin sondern durch Eifersucht kommt sie um. Durch Eifersucht ist Herodes dem Schicksal verhaftet und ihrer als der gefährlich entbrannten Natur des Menschen bedient es sich in seiner Sphäre nicht anders als des Dolches zu Unheil und Unheilszeichen. Und Zufall als Zersetzung des Geschehens in dinghaft abgestückte Elemente entspricht durchaus dem Sinn des Requisits. So ist das Requisit denn das Kriterium der echten romantischen Schicksalsdramatik in ihrem Unterschiede von antiker im tiefsten jeder Schicksalsordnung sich versagenden Tragödie.

      Die Schicksalstragödie ist im Trauerspiele angelegt. Nichts als die Einführung des Requisits liegt zwischen ihr und dem deutschen Barockdrama. In dessen Ausschaltung bekundet sich ein echter Einfluß der Antike, ein echter Renaissancezug, wenn man will. Denn schärfer unterscheidet weniges die spätere Dramatik von antiker, als daß in dieser letzten die profane Dingwelt keine Stelle hat. Und ähnlich hält’s der Klassizismus des Barock in Deutschland. Ist aber die Tragödie von der Dingwelt gänzlich abgelöst, so ragt die übern Horizont des Trauerspiels beklemmend. Es ist die Funktion der Gelehrsamkeit mit dem Wust ihrer Anmerkungen den Alb anzudeuten, als welcher die Realien auf der Handlung lasten. Vom Requisit ist für die ausgebildete Form des Schicksalsdramas nicht zu abstrahieren. Allein daneben stehn in ihm die Träume, die Geistererscheinungen, die Schrecken des Endes und diese alle zählen schon zum obligaten Bestände seiner Grundform, des Trauerspiels. Sie, die in näherm oder weiterm Kreise auch sich sämtlich um den Tod gruppieren, sind als jenseitige, zumal zeitlich bezogene im Gegensatz zu den diesseitigen, vorwiegend räumlichen der Dingwelt, im Barock voll entwickelt. Auf alles, was mit Geistern zusammenhängt, hat insbesondere Gryphius den größten Wert gelegt. Ihm verdankt das Deutsche mit dem folgenden Satze die wunderschöne Übertragung des deus ex machina: »Obs jemand seltsam vorkommen dörffte, dass wir nicht mit den alten einen gott aus dem gerüste, sondern einen geist aus dem grabe herfür bringen, der bedencke, was hin und wieder von den gespensten geschrieben.«544 Er hat seine Gedanken über diese Dinge einem Traktat »De spectris« sei’s anvertraut, sei’s anvertrauen wollen; Sicheres darüber ist nicht bekannt. Zu den Geistererscheinungen treten die gleichfalls nahezu obligaten Wahrträume, mit deren Erzählung bisweilen das Drama wie mit einem Prologe einsetzt. Gewöhnlich künden sie den Tyrannen das Ende. Die damalige Dramaturgie mag geglaubt haben, die griechischen Orakel dergestalt ins deutsche Theater einzuführen; an dieser Stelle ist es von Belang, auf ihre Zugehörigkeit zu dem Naturbereich des Schicksals hinzuweisen, worin sie nur gewissen unter griechischen Orakeln, zumal tellurischen, verwandt sein mögen. Die Annahme dagegen, die Bedeutung dieser Träume bestünde darin, daß der »Zuschauer zu einem verstandesmäßigen Vergleichen der Handlung mit ihrer metaphorischen Vorausnahme veranlaßt«545 würde, ist nur ein Hirngespinst des Intellektualismus. Die Nacht spielt, wie aus Traumerscheinungen und aus Gespensterwirken zu entnehmen, eine große Rolle. Es ist auch von hier nur ein Schritt zum Schicksalsdrama mit seiner beherrschenden Stelle der Geisterstunde. Der »Carolus Stuardus« des Gryphius, Lohensteins »Agrippina« setzen um Mitternacht ein; andere spielen nicht nur, wie die Einheit der Zeit dies oft erzwang, zur Nacht sich ab, sondern entnehmen wie »Leo Armenius«, »Cardenio und Celinde«, »Epicharis« in großen Szenen ihr die dichterische Stimmung. Die Bindung des dramatischen Geschehens an die Nacht und insbesondere an die Mitternacht hat ihren guten Grund. Es ist eine verbreitete Vorstellung, daß mit dieser Stunde die Zeit wie die Zunge einer Waage einstehe. Da nun das Schicksal, die wahre Ordnung der ewigen Wiederkunft, nur uneigentlich, nämlich parasitär, zeitlich zu nennen ist,546, suchen seine Manifestationen den Zeitraum auf. Sie stehen in der Mitternacht als der Luke der Zeit, in deren Rahmen je und je das gleiche Geisterbild erscheint. Die Kluft, welche zwischen Tragödie und Trauerspiel liegt, erhellt sich bis in ihre Tiefe, wo die vorzügliche Bemerkung des Abbe Bossu, Verfassers eines »Traité sur la poésie épique«, die bei Jean Paul zu finden ist, terminologisch streng gelesen wird. Sie besagt, daß »in die Nacht keine Tragödie zu verlegen« sei. Der Tageszeit, wie jede tragische Verhandlung sie erfordert, tritt jene Geisterstunde in den Trauerspielen gegenüber. »Nun ist die wahre Spükezeit der Nacht, | Wo Grüfte gähnen, und die Hölle selbst | Pest haucht in diese Welt.«547 Die Geisterwelt ist geschichtslos. Dahin entrückt das Trauerspiel seine Gemordeten. »O wehe, ich sterbe, ia, ia, Verfluchter, ich sterbe, aber du hast die Rache von mir annoch zu befürchten: auch unter der Erden werd ich dein grimmiger Feindt und rachgieriger Wüttrich deß Meßinischen Reichs verbleiben. Ich werde deinen Thron erschittern, das Ehebeth, deine Liebe und Zufriedenheit beunruhigen und mit meinem Grimme dem König und dem Reich möglichsten Schaden zufügen.«548 Mit Recht hat man vom vorshakespeareschen Trauerspiele der Engländer bemerkt, es sei »ohne richtiges Ende, der Strom fließt weiter«.549 Das gilt vom Trauerspiele überhaupt; mit seinem Abschluß ist keine Epoche gesetzt, wie diese, im historischen und individuellen Sinne, im Tode des tragischen Helden so nachdrücklich gegeben ist. Dieser individuelle Sinn – zu dem doch der historische vom Ende des Mythos tritt – ist mit den Worten gekennzeichnet, das tragische Leben sei »das am ausschließlichsten diesseitige aller Leben. Darum verschmilzt seine Lebensgrenze immer mit dem Tode … Für die Tragödie ist der Tod – die Grenze an sich – eine immer immanente Wirklichkeit, der mit jedem ihrer Geschehnisse unlösbar verbunden ist.«550 Der Tod, als Gestalt des tragischen Lebens, ist ein Einzelgeschick, ins Trauerspiel tritt er nicht selten als gemeinschaftliches Schicksal, als lüde er die Beteiligten alle vor den höchsten Gerichtshof. »In dreien Tagen solln zu Recht sie stehen: | Sie sind geladen hin vor Gottes Throne; | Nun laßt sie denken, wie sie da bestehen.«551 Wenn der tragische Held in seiner ›Unsterblichkeit‹ nicht das Leben sondern den Namen allein rettet, so büßen Trauerspielpersonen mit dem Tode nur die benannte Individualität und nicht die Lebenskraft der Rolle ein. Ungemindert lebt sie in der Geisterwelt auf. »Es kann einem andern einfallen, nach einem ›Hamlet‹ einen ›Fortinbras‹ zu schreiben; es kann niemand mich hindern, sämtliche Personen in Hölle oder Himmel sich von neuem treffen, neue Abrechnung miteinander halten zu lassen.«552 Dem Autor der Bemerkung ist entgangen, daß dies durch das Gesetz des Trauerspiels, mitnichten durchs genannte Werk, geschweige seinen Stoff, bedingt ist. Vor jenen großen Trauerspielen, die wie »Hamlet« die Kritik immer von neuem angezogen haben, hätte der ungereimte Begriff von Tragödie, mit dem sie über jene zu Gericht sitzt, längst abgetan erscheinen müssen. Denn wohin soll es führen,