Название | Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke |
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Автор произведения | Walter Benjamin |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9789176377444 |
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II
Drum da gehäuft sind rings, um Klarheit,
Die Gipfel der Zeit,
Und die Liebsten nahe wohnen, ermattend auf
Getrenntesten Bergen,
So gieb unschuldig Wasser,
O Fittige gieb uns, treuesten Sinns
Hinüberzugehn und wiederzukehren.
Hölderlin
Wenn jedes Werk so wie die Wahlverwandtschaften des Autors Leben und sein Wesen aufzuklären vermag, so verfehlt die übliche Betrachtung dieses um so mehr, je näher sie sich daran zu halten glaubt. Denn mag nur selten eine Klassikerausgabe versäumen, in ihrer Einleitung es zu betonen, daß gerade ihr Gehalt wie kaum ein anderer aus des Dichters Leben einzig und allein verständlich sei, so enthält dies Urteil im Grunde schon das πρῶτον ψεῦδος der Methode, die in dem schablonierten Wesensbild und leerem oder unfaßlichem Erleben das Werden seines Werks im Dichter darzustellen sucht. Dies πρῶτον ψεῦδος in fast aller neuern Philologie, d. h. in solcher, die noch nicht durch Wort- und Sacherforschung sich bestimmt, ist, von dem Wesen und vom Leben ausgehend die Dichtung als Produkt aus jenen wenn nicht abzuleiten, so doch müßigem Verständnis näher zu bringen. Insofern aber fraglos angezeigt ist, am Sichern, Nachprüfbaren die Erkenntnis aufzubauen, muß überall, wo sich die Einsicht auf Gehalt und Wesen richtet, das Werk durchaus im Vordergrunde stehn. Denn nirgends liegen diese dauerhafter, geprägter, faßlicher zutage als in ihm. Daß sie selbst da noch schwer genug und vielen niemals zugänglich erscheinen, mag für diese letztern Grund genug sein, statt auf der genauen Einsicht in das Werk auf Personal- und Relationserforschung das Studium der Kunstgeschichte zu begründen, vermag jedoch den Urteilenden nicht zu bewegen, ihnen Glauben zu schenken oder gar zu folgen. Vielmehr wird dieser sich gegenwärtig halten, daß der einzige rationale Zusammenhang zwischen Schaffendem und Werk in dem Zeugnis besteht, das dieses von jenem ablegt. Vom Wesen eines Menschen gibt es nicht allein Wissen nur durch seine Äußerungen, zu denen in diesem Sinn auch die Werke gehören – nein, es bestimmt sich allererst durch jene. Werke sind unableitbar wie Taten und jede Betrachtung, die im ganzen diesen Satz zugestände, um ihm im einzelnen zu widerstreben, hat den Anspruch auf Gehalt verloren.
Was derart der banalen Darstellung entgeht, ist nicht allein die Einsicht in Wert und Art der Werke, sondern gleichermaßen diejenige in das Wesen und das Leben ihres Autors. Vom Wesen des Verfassers zunächst wird nach dessen Totalität, seiner »Natur«, jede Erkenntnis durch die vernachlässigte Deutung der Werke vereitelt. Denn ist auch diese nicht imstande, von dem Wesen eine letzte und vollkommene Anschauung zu geben, welche aus Gründen sogar stets undenkbar ist, so bleibt, wo von dem Werke abgesehen wird, das Wesen vollends unergründlich. Aber auch die Einsicht in das Leben des Schaffenden verschließt sich der herkömmlichen Methode der Biographik. Klarheit über das theoretische Verhältnis von Wesen und Werk ist die Grundbedingung jeder Anschauung von seinem Leben. Für sie ist bisher so wenig geschehen, daß allgemein die psychologischen Begriffe für ihre besten Einsichtsmittel gelten, während doch nirgends so wie hier Verzicht auf jede Ahnung wahren Sachverhalts zu leisten ist, solange diese termini im Schwange gehen. So viel nämlich läßt sich behaupten, daß der Primat des Biographischen im Lebensbilde eines Schaffenden, d. h. die Darstellung des Lebens als die eines menschlichen mit jener doppelten Betonung des Entscheidenden und für den Menschen Unentscheidbaren der Sittlichkeit nur da sich fände, wo Wissen um die Unergründlichkeit des Ursprunges jedes Werk, sowohl dem Wert wie dem Gehalt nach es umgrenzend, vom letzten Sinne seines Lebens ausschließt. Denn wenn das große Werk auch nicht in dem gemeinen Dasein sich heranbildet, ja wenn es sogar Bürgschaft seiner Reinheit ist, so ist es doch zuletzt nur eines unter seinen andern Elementen. Und nur ganz fragmentarisch kann es so das Leben eines Bildners mehr dem Werden als dem Gehalte nach verdeutlichen. Die gänzliche Unsicherheit über die Bedeutung, die Werke in dem Leben eines Menschen haben können, hat dazu geführt, dem Leben Schaffender besondere Arten ihm vorbehaltenen und in ihm allein gerechtfertigten Inhalts zuzuordnen. Ein solches soll nicht von den sittlichen Maximen nur emanzipiert, nein es soll höherer Legitimität teilhaft und der Einsicht deutlicher offen sein. Was Wunder, daß für solche Meinung jeder echte Lebensinhalt, wie er auch in den Werken stets hervortritt, sehr gering wiegt.