Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

Читать онлайн.
Название Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke
Автор произведения Walter Benjamin
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9789176377444



Скачать книгу

des Gegenstandes bewahrt ja die melancholische Intention auf unvergleichliche Art seinem Dingsein die Treue. Aber die Weissagung des Prudentius: »Rein von allem Blut wird endlich der Marmor strahlen; schuldlos werden die Bronzen dastehen, die jetzt für Idole gehalten werden«,799 ist noch zwölfhundert Jahre später nicht wahr geworden. Marmor und Bronzen der Antike behielten fürs Barock, ja für die Renaissance noch von dem Schauer, mit welchem Augustinus »gleichsam Leiber der Götter« in ihnen erkannt hatte. »Es wohnten in deren Innerm Geister, die herbeygerufen würden, und vermögend wären, denjenigen, die sie verehren und anbethen, zu schaden, oder ihre Wünsche zu erfüllen.«800 Oder, wie Warburg für die Renaissance das ausspricht: »Die formale Schönheit der Göttergestalten und der geschmackvolle Ausgleich zwischen christlichem und heidnischem Glauben darf uns eben doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß selbst in Italien etwa 1520, also zur Zeit des freiesten, schöpferischsten Künstlertums die Antike gleichsam in einer Doppelherme verehrt wurde, die ein dämonisch-finsteres Antlitz trug, das abergläubischen Kult erheischte, und ein olympisch-heiteres, das ästhetische Verehrung forderte.«801 Demnach sind die drei wichtigsten Momente im Ursprung abendländischer Allegorese unantik, widerantik: die Götter ragen in die fremde Welt hinein, sie werden böse und sie werden Kreatur. Es bleibt das Kleid der Olympischen zurück, um das im Laufe der Zeit die Embleme sich sammeln. Und dieses Kleid ist kreatürlich wie ein Teufelsleib. In diesem Sinne stellt kurioserweise die aufgeklärte hellenistische Theologie des Euhemeros an ihrem Teil ein Element des werdenden Volksglaubens. Denn »so verband sich die Herabsetzung der Götter zu bloßen Menschen immer enger mit der Vorstellung, daß in den Resten ihres Kultus, vor allem in ihren Bildern, bösartige magische Kräfte fortwirkten. Der Nachweis ihrer völligen Ohnmacht wurde doch wieder abgeschwächt, indem sich satanische Stellvertreter der ihnen abgesprochenen Befugnisse bemächtigten.«802 Andererseits bleiben neben den Emblemen und Kleidern die Worte und Namen zurück und werden in dem Grade wie die Lebenszusammenhänge verloren gehen, aus denen sie stammen, zu Ursprüngen von Begriffen, in denen diese Worte einen neuen, zur allegorischen Darstellung prädisponierten Inhalt gewinnen, wie die Fortuna, Venus (als Frau Welt) und andere dergleichen es sind. Abgestorbenheit der Gestalten und Abgezogenheit der Begriffe sind also für die allegorische Verwandlung des Pantheons in eine Welt magischer Begriffskreaturen die Voraussetzung. Auf ihr beruht die Vorstellung des Amor »als Dämon der Unkeuschheit mit Fledermausflügeln und Krallen bei Giotto«, beruht das Fortleben der Fabelwesen, wie Faun, Zentaur, Sirene und Harpyie als allegorischer Figuren im Kreise der christlichen Hölle. »Die klassisch-veredelte, antike Götterwelt ist uns seit Winckelmann freilich so sehr als Symbol der Antike überhaupt eingeprägt, daß wir ganz vergessen, daß sie eine Neuschöpfung der gelehrten humanistischen Kultur ist; diese ›olympische‹ Seite der Antike mußte ja erst der althergebrachten ›dämonischen‹ abgerungen werden; denn als kosmische Dämonen gehörten die antiken Götter ununterbrochen seit dem Ausgange des Altertums zu den religiösen Mächten des christlichen Europa und bedingten dessen praktische Lebensgestaltung so einschneidend, daß man ein von der christlichen Kirche stillschweigend geduldetes Nebenregiment der heidnischen Kosmologie, insbesondere der Astrologie, nicht ableugnen kann.«803 Den antiken Göttern in erstorbener Dinghaftigkeit entspricht die Allegorie. So trifft denn, tiefer als vermeint ist, zu: »Die Götternähe ist nun einmal ein wichtigstes Lebensbedürfnis für die kräftige Entwicklung der Allegorese.«804

      Die allegorische Anschauung hat ihren Ursprung in der Auseinandersetzung der schuldbeladenen Physis, die das Christentum statuierte, mit einer reineren natura deorum, die sich im Pantheon verkörperte. Indem mit der Renaissance Heidnisches, mit der Gegenreformation Christliches neu sich belebte, mußte auch die Allegorie, als Form ihrer Auseinandersetzung, sich erneuern. Fürs Trauerspiel fällt dabei ins Gewicht: das Mittelalter hat in der Gestalt des Satan fest die Verknotung zwischen Materialischem und dem Dämonischen geschürzt. Vor allem war mit der Konzentration der mannigfachen heidnischen Instanzen zum einen theologisch streng umrissenen Antichrist eindeutiger als in Dämonen der Materie die finstere, überragende Erscheinung zugedacht. Und nicht nur kam das Mittelalter dergestalt dazu, die Forschung über die Natur in enge Grenzen zu verweisen; sogar die Mathematiker verdächtigt dies teufelhafte Wesen der Materie. »Was immer sie denken«, erklärt der Scholastiker Heinrich von Gent, »ist etwas Räumliches (Quantum), oder besitzt doch einen Ort im Raume wie der Punkt. Daher sind solche Leute melancholisch und werden die besten Mathematiker, aber die schlechtesten Metaphysiker.«805 – Wenn die allegorische Intention auf die kreatürliche Dingwelt, das Abgestorbene, zuhöchst das Halblebendige sich richtet, so tritt der Mensch nicht in ihren Blickkreis. Hält sie an den Emblemen einzig fest, ist Umschwung, ist Errettung nicht undenkbar. Aber es vermag aller emblematischen Verkleidung spottend in triumphierender Lebendigkeit und Blöße aus dem Erdschoß die unverstellte Teufelsfratze vor dem Blick des Allegorikers sich zu erheben. Die spitzigen, geschärften Züge dieses Satan hat erst das Mittelalter ins ursprünglich größere antike Dämonenhaupt geätzt. Die Materie, nach gnostisch-manichäischer Doktrin geschaffen um der ›Detartarisation‹ der Welt willen, bestimmt also, das Teuflische in sich zu nehmen, auf daß mit ihrer Abscheidung die Welt gereinigt sich darstelle, besinnt im Teufel sich auf ihre Tartarusnatur, spottet ihrer allegorischen ›Bedeutung‹ und höhnt jedweden, der da glaubt, in ihre Tiefen ungestraft ihr nachgehen zu können. Wie also die irdische Traurigkeit zur Allegorese gehört, so die höllische Lustigkeit zu ihrer im Triumph der Materie vereitelten Sehnsucht. Daher die höllische Spaßhaftigkeit des Intriganten, daher seine Intellektualität, daher sein Wissen um Bedeutung. Die stumme Kreatur ist fähig, auf Rettung durchs Bedeutete zu hoffen. Die kluge Versatilität des Menschen spricht sich selber aus und setzt, indem sie im verworfensten Kalkül ihr Materialisches im Selbstbewußtsein menschenähnlich macht, dem Allegoriker das Hohngelächter der Hölle entgegen. In ihm ist freilich das Verstummen der Materie überwunden. Gerad im Gelächter nimmt mit höchst exzentrischer Verstellung Materie überschwänglich Geist an. So geistig wird sie, daß sie weit die Sprache überschießt. Höher will sie hinaus und endet in dem gellenden Gelächter. Das ist, so tierisch es von außen wirkt, dem innern Wahnwitz nur als Geistigkeit bewußt. »Lucifer/ Fürst der finsternis/ regierer der tiefen trawrigkeit/ keiser des Hellischen Spuls/ Hertzog des Schwebelwassers/ König des abgrunds«806] läßt seiner nicht spotten. Die »urallegorische Figur« nennt Julius Leopold Klein ihn mit Recht. Gerade eine der mächtigsten Shakespeareschen Gestalten ist, wie dieser Literarhistoriker mit ausgezeichneten Bemerkungen es angedeutet hat, nur so, von der Allegorie, vom Satan her verständlich. »Auf die Iniquity-Rolle des Vice beruft sich … Shakespeare’s Richard III., der zum historischen Buffoon-Devil gediehene Vice, seine theatergeschichtliche Entwicklungs-Abstammung vom Mysterien-Teufel und vom doppelzüngig ›moralisierenden‹ Vice des ›Moral-Play‹, als Beider, des Devil und des Vice, legitimer, zu geschichtlichem Fleisch und Blut verkörperter Nachfolger, höchst-merkwürdiglich bekundend.« In einer Anmerkung ist das belegt: »›Gloster (beiseit): So, wie im Fastnachtspiel die Sündlichkeit, | Deut’ ich zwei Meinungen aus Einem Wort.‹ In Richard III. erscheint Devil und Vice zu einem kriegsheroischen Tragödienhelden von historischem Vollblut, laut eigenem Abseits-Geständniss, verschmolzen.«807 Zu einem Tragödienhelden nun eben nicht. Vielmehr mag dieser flüchtige Exkurs sein Recht im wiederholten Hinweis darauf finden, daß für Richard III. wie für Hamlet, wie für die Shakespeareschen ›Tragödien‹ überhaupt die Theorie des Trauerspieles Prolegomena der Deutung zu enthalten vorbestimmt ist. Denn Allegorisches bei Shakespeare reicht weit tiefer als in die Formen der Metapher, wo es Goethe auffiel. »Shakespeare ist reich an wundersamen Tropen, die aus personifizierten Begriffen entstehen und uns gar nicht kleiden würden, bei ihm aber völlig am Platze sind, weil zu seiner Zeit alle Kunst von der Allegorie beherrscht wurde.«808 Entschiedener heißt es bei Novalis: »Es ist möglich, in einem Shakespeareschen Stück eine willkürliche Idee, Allegorie usw. zu finden.«809 Aber der Sturm und Drang, der Shakespeare für Deutschland entdeckte, hat allein an ihm das Elementarische im Auge, das Allegorische nicht. Und doch kennzeichnet Shakespeare gerade dies, daß jene beiden Seiten ihm gleich wesentlich sind. Alle elementare Äußerung der Kreatur wird durch deren allegorische Existenz bedeutungsvoll und alles Allegorische nachdrücklich durch das Elementare der Sinnenwelt. Mit dem Ersterben des allegorischen Moments geht auch die elementare Kraft dem Drama verloren, bis sie im Sturm und Drang sich neu, und zwar zum Trauerspiel, belebt. Die Romantik ahnte dann wieder