Название | H. G. Wells – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Herbert George Wells |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962813628 |
Die bloße Vorstellung dieses Vorgangs erscheint uns ohne Zweifel grauenhaft und abstoßend, aber wir sollten zugleich erinnern, wie widerwärtig unsere fleischfressenden Gewohnheiten einem vernunftbegabten Kaninchen erscheinen würden.
Die physiologischen Vorteile dieses Gebrauches, Blut einzuführen, sind unleugbar, wenn man an die ungeheure Vergeudung menschlicher Zeit und menschlicher Kräfte denkt, die durch den Nahrungs- und den Verdauungsprozess verursacht wird. Unser Körper besteht zur Hälfte auf Drüsen und Röhren und Werkzeugen, die damit beschäftigt sind, andersgeartete Nahrung in Blut zu verwandeln. Die Beschaffenheit unserer Verdauung und ihre Rückwirkung auf unser Nervensystem saugen unsere Kräfte auf und geben unserer Gemütsart ihre Färbung. Die Leute sind glücklich oder elend, je nachdem ob sie eine heile oder kranke Leber oder gesunde gastrische Drüsen besitzen. Die Marsleute aber waren über alle diese Wechselfälle in Stimmungen und Empfindungen erhaben.
Ihre unbestreitbare Vorliebe für Menschen als Quellen ihrer Ernährung ist zum Teil erklärt durch die Beschaffenheit der Überbleibsel jener Opfer, die sie als Wegzehrung vom Mars mitgebracht hatten. Soweit man nach den eingeschrumpften Überbleibseln, die in menschliche Hände fielen, schließen kann, waren diese Geschöpfe Zweifüßer mit brüchigen, vertieften Knochengerüsten (ähnlich denen kieselhaltiger Schwämme), von schwacher Muskelbildung; sie waren im Durchschnitt sechs Fuß hoch, besaßen runde, aufrechte Köpfe und große Augen in schieferartigen Höhlen. Zwei oder drei von ihnen scheinen in jedem Zylinder mitgebracht worden zu sein; alle wurden getötet, bevor sie die Erde erreichten. Für sie war es wohl ebenso gut, denn nur der bloße Versuch, auf unserem Stern aufrecht zu stehen, hätte jeden Knochen in ihren Leibern gebrochen.
Weil ich schon daran bin, diese Beschreibung zu machen, will ich noch an dieser Stelle einige weitere Einzelheiten hinzufügen, die, wenn sie uns damals auch noch unbekannt waren, doch den Leser, der mit dem Leben der Marsleute nicht vertraut ist, in den Stand setzen werden, sich von diesen gefährlichen Eindringlingen eine deutlichere Vorstellung zu machen.
In drei anderen Punkten wich ihre Lebensweise seltsam von der unseren ab. Ihre Organismen schliefen ebenso wenig wie das Herz des Menschen schläft. Da sie nicht die Erholung von nennenswerten, körperlichen Anstrengungen wiederzuerlangen brauchten, war dieses zeitweilige Erlöschen ihnen unbekannt. Das Gefühl der Ermüdung besaßen sie nur in geringem Maße oder wahrscheinlich gar nicht. Auf der Erde können sie sich nie ohne Anstrengung bewegt haben, und doch waren sie bis zum letzten Augenblick in Tätigkeit. Während vierundzwanzig Stunden taten sie vierundzwanzigstündige Arbeit, sowie es auf Erden vielleicht bei den Ameisen der Fall ist.
Ferner, so wunderbar es in einer geschlechtlichen Welt erscheinen mag, waren die Marsleute durchaus geschlechtslos und daher von all den heftigen Erregungen frei, die in diesem Unterschied zwischen den Menschen ihren Ursprung besitzen. Es kann heute nicht mehr bestritten werden, dass während des Krieges ein Marskind auf der Erde geboren wurde; man fand es mit seinem Erzeuger verwachsen, teilweise abknospend, genau so wie kleine Lilienzwiebel abknospen oder die Jungen eines Süßwasserpolypen.
Bei dem Menschen, wie bei allen höher organisierten irdischen Lebewesen, ist diese Art von Fortpflanzung verschwunden; aber selbst auf dieser Erde war sie gewiss die ursprüngliche Art. In der niederen Tierwelt, selbst bei jenen ersten Verwandten der Wirbeltiere, den Tunikaten,2 kommen beide Vorgänge nebeneinander vor. Schließlich aber trug doch die geschlechtliche Vermehrung über ihren Mitbewerber vollständig den Sieg davon. Auf dem Mars indessen ist offenbar gerade das Gegenteil der Fall gewesen.
Es verdient hier hervorgehoben zu werden, dass ein findiger Kopf von nahezu wissenschaftlichem Ruf, der lange vor dem Einfall der Marsleute schrieb, den Menschen ein künftiges System vorhergesagt hat, das jenem nicht unähnlich war, das tatsächlich auf dem Mars herrschte. Seine Prophezeiung erschien, wenn ich mich recht erinnere, im November oder im Dezember 1893 in einer längst verschollenen Zeitschrift, dem »Pall Mall Budget«, und auch eine Karikatur davon kommt mir jetzt in Erinnerung, die in einem prä-marsianischen Witzblatt, dem »Punch«,3 stand. Der Schreiber wies in einem albern witzelnden Ton darauf hin, dass die Vervollkommnung der angewandten Mechanik schließlich die Glieder und die Vervollkommnung der Chemie die Verdauung überflüssig machen würden; dass solche Organe wie Haare, äußere Nasen, Zähne, Ohren, Kinn nicht länger wesentliche Teile des menschlichen Körpers sein würden, und dass in den kommenden Geschlechtern der Zug der natürlichen Zuchtwahl in der Richtung ihrer stetigen Abnahme liegen würde. Das Gehirn allein würde die Hauptnotwendigkeit bleiben. Nur noch ein Teil des menschlichen Körpers würde die Berechtigung besitzen, die übrigen zu überleben, und der sei die Hand, »der Lehrer und Lenker des Gehirns«. Während der übrige Leib verkümmern und verschwinden würde, würden die Hände immer größer werden.
In diesen Worten, wenn gleich im Scherz niedergeschrieben, findet sich manches Wahre; und hier bei den Marsleuten haben wir ohne Widerrede die tatsächliche Erfüllung jener Unterdrückung der animalischen Seite des Organismus durch die Vergeistigung gefunden. Es scheint mir ganz glaubwürdig, dass die Marsleute von Wesen abstammen mögen, die uns nicht unähnlich waren, und zwar durch die allmähliche Weiterentwicklung ihrer Gehirnteile und Hände (die Letzteren nahmen endlich die Gestalt jener zwei Büschel zarter Tentakeln an) auf Kosten des übrigen Körpers. Ohne den Leib musste das Gehirn selbstverständlich ein bei Weitem selbstsüchtigeres Geistesvermögen werden, als ohne die Gefühlsunterlage des menschlichen Wesens.
Der dritte springende