H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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Название H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор произведения Herbert George Wells
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962813628



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drei Schrit­te weit dar­auf ge­hen«, sag­te Ca­vor, »selbst mit frei­en Hän­den nicht.«

      Wir blick­ten uns mit hel­ler Be­stür­zung in die lang­ge­zo­ge­nen Ge­sich­ter.

      »Sie kön­nen nicht wis­sen, was es heißt, wenn ei­nem schwind­lig ist!«, sag­te Ca­vor.

      »Es ist für uns ganz un­mög­lich, über die Plan­ke da zu ge­hen.«

      »Ich glau­be, sie se­hen nicht wie wir. Ich habe sie be­ob­ach­tet. Ich möch­te wis­sen, ob sie wis­sen, dass dies für uns ein­fach schwarz ist. Wie kön­nen wir es ih­nen be­greif­lich ma­chen?«

      »Ei­ner­lei, wie, wir müs­sen es ih­nen be­greif­lich ma­chen.«

      Ich glau­be, wir sag­ten die­se Din­ge mit ei­ner un­be­stimm­ten Halb­hoff­nung, die Se­le­ni­ten wür­den uns ir­gend­wie ver­ste­hen. Ich wuss­te ganz klar, dass nichts nö­tig war als eine Er­klä­rung. Dann sah ich ihre Ge­sich­ter, und er­kann­te, dass eine Er­klä­rung un­mög­lich war. Gera­de hier soll­ten un­se­re Ähn­lich­kei­ten un­se­re Ver­schie­den­hei­ten nicht über­brücken. Nun, auf je­den Fall woll­te ich nicht über die Plan­ke ge­hen. Ich zog sehr rasch das Hand­ge­lenk aus der ge­lo­cker­ten Ket­ten­sch­lin­ge und be­gann dann die Hand­ge­len­ke in ent­ge­gen­ge­setz­ten Rich­tun­gen zu win­den. Ich stand der Brücke am nächs­ten, und als ich dies tat, fass­ten mich zwei der Se­le­ni­ten und zo­gen mich leicht dar­auf zu.

      Ich schüt­tel­te hef­tig den Kopf. »Nicht ge­hen«, sag­te ich, »nichts nüt­zen. Ihr ver­steht nicht.«

      Ein drit­ter Se­le­nit füg­te sei­nen Druck hin­zu. Ich war ge­zwun­gen, vor­wärts zu ge­hen.

      »Ich habe eine Idee«, sag­te Ca­vor, aber ich kann­te sei­ne Ide­en.

      »Hör­t’ mal!«, rief ich den Se­le­ni­ten zu. »Sach­te vor­an! Das ist für euch al­les recht schön und gut – –«

      Ich sprang her­um. Ich brach in Flü­che aus. Denn ei­ner der Se­le­ni­ten hat­te mich hin­ten mit sei­nem Sta­chel ge­sto­chen.

      Ich rang mei­ne Hand­ge­len­ke aus den klei­nen Tas­tern, die sie hiel­ten, los. Ich wand­te mich ge­gen den Sta­chel­trä­ger. »Zum Hen­ker mit dir!«, schrie ich. »Da­vor hab’ ich euch ge­warnt. Woraus in al­ler Welt meint ihr, dass ich be­ste­he, dass ihr mich stecht? Wenn ihr mich noch ein­mal be­rührt – –!«

      Als Ant­wort stach er mich als­bald.

      Ich hör­te Ca­vors Stim­me in Schreck und Bit­te. Selbst da noch, glau­be ich, woll­te er mit die­sen Ge­schöp­fen ver­han­deln. »Hö­ren Sie, Bed­ford«, rief er, »ich weiß einen Weg!« Aber der Sta­chel die­ses zwei­ten Stichs schi­en eine ein­ge­dämm­te Re­ser­ve von Ener­gie in mei­nem We­sen frei­zu­ma­chen. Im Nu schnapp­te ein Glied der Hand­ge­lenks­ket­te, und mit ihm schnapp­ten alle Er­wä­gun­gen, die uns wi­der­stands­los in den Hän­den die­ser Mond­ge­schöp­fe fest­ge­hal­ten hat­ten. In die­ser Se­kun­de we­nigs­tens war ich ra­send vor Furcht und Wut. Ich schlug dem We­sen mit dem Spie­ße ge­ra­de ins Ge­sicht hin­ein. Die Ket­te hat­te ich um die Faust ge­wi­ckelt …

      Das gab wie­der eine von den scheuß­li­chen Über­ra­schun­gen, von de­nen die Mond­welt voll ist.

      Mei­ne ge­pan­zer­te Hand schi­en ein­fach durch ihn durch­zu­schla­gen. Er spritz­te wie – wie ir­gend­wel­ches weich­li­che Kon­fekt mit Li­kör dar­in aus­ein­an­der! Er zer­brach ein­fach! Er zer­quetsch­te und zer­spritz­te! Es war, wie wenn man feuch­ten Kuckucksspei­chel trifft. Der zer­brech­li­che Rumpf flog ein Dut­zend Me­ter weit und fiel mit schlott­ri­gem Sto­ße auf. Ich war er­staunt. Es war nicht zu glau­ben, dass ein le­ben­des We­sen so nich­tig sein konn­te. Ei­nen Mo­ment hät­te ich das Gan­ze für einen Traum hal­ten kön­nen.

      Dann war es wie­der wirk­lich und un­mit­tel­bar. We­der Ca­vor noch die an­de­ren Se­le­ni­ten schie­nen von dem Mo­ment an, als ich mich um­ge­dreht hat­te, bis zu dem Mo­ment, als der tote Se­le­nit den Bo­den traf, ir­gend et­was ge­tan zu ha­ben. Alle tra­ten von uns bei­den zu­rück, alle wa­ren wach. Die­ser Halt schi­en we­nigs­tens eine Se­kun­de zu dau­ern, nach­dem der Se­le­nit schon lag. Sie müs­sen sich das alle erst klar ge­macht ha­ben. Mir ist, ich er­in­ne­re mich, wie ich mir die Sa­che gleich­falls klar mach­te. »Was nun?«, schrie mein Ge­hirn! »was nun?« Dann war im Nu al­les in Be­we­gung.

      Ich sah, wir muss­ten un­se­re Ket­ten los be­kom­men, und ehe wir dies tun konn­ten, muss­ten die­se Se­le­ni­ten ab­ge­schla­gen wer­den. Ich dreh­te mich zu der Grup­pe der drei Sta­chel­trä­ger. So­fort warf ei­ner sei­nen Spieß nach mir. Er schwirr­te mir über den Kopf, und ich glau­be, er flog in den Ab­grund hin­ter mir.

      Ich sprang mit al­ler Macht ge­ra­de auf ihn los, als der Spieß über mich weg­flog. Er wand­te sich zur Flucht, als ich sprang, und ich warf ihn zu Bo­den, trat auf ihn, glitt auf sei­nem zer­schmet­ter­ten Kör­per aus und fiel. Er schi­en sich un­ter mei­nem Fuße zu win­den.

      Ich kam in sit­zen­de Stel­lung, und auf al­len Sei­ten flo­hen die blau­en Rücken der Se­le­ni­ten ins Dun­kel. Ich bog ge­walt­sam ein Glied aus­ein­an­der, wand die Ket­te los, die mich an den Knö­cheln ge­hin­dert hat­te und sprang auf die Füße, mit der Ket­te in der Hand. Noch ein Sta­chel­spieß, der wie ein Speer ge­wor­fen wur­de, pfiff an mir vor­bei und ich mach­te einen Vor­stoß ge­gen das Dun­kel, aus dem er ge­kom­men war. Dann wand­te ich mich zu Ca­vor zu­rück, der noch im Lich­te des Rinn­sals an dem Ab­grun­de stand und sich krampf­haft mit sei­nen Hand­ge­len­ken zu schaf­fen mach­te, wäh­rend er zu­gleich Un­sinn über sei­ne Idee fa­sel­te.

      »Kom­men Sie!«, rief ich.

      »Mei­ne Hän­de!«, ant­wor­te­te er.

      Dann merk­te er, dass ich nicht zu ihm zu­rück­zu­lau­fen wa­gen konn­te, weil mei­ne schlecht be­rech­ne­ten Schrit­te mich über den Rand hin­aus­tra­gen konn­ten, und so kam er, die Hän­de vor sich aus­ge­streckt, zu mir ge­wa­ckelt.

      Ich pack­te so­fort sei­ne Ket­ten, um sie zu lö­sen.

      »Wo sind sie?«, keuch­te er.

      »Weg­ge­lau­fen. Sie wer­den zu­rück­kom­men. Sie wer­fen mit Spie­ßen! Wo­hin sol­len wir gehn?«

      »Am Licht ent­lang. In den Tun­nel da. Eh!«

      »Ja«, sag­te ich, und sei­ne Hän­de wa­ren frei.

      Ich ließ mich auf die Knie fal­len und be­gann an sei­nen Fuß­fes­seln zu ar­bei­ten. Schwapp, kam et­was – ich weiß nicht was – und zer­spritz­te das fah­le Rinn­sal zu Trop­fen um uns. Weit rechts von uns be­gann ein Pfei­fen und Zi­schen.

      Ich riss ihm die Ket­te von den Fü­ßen und gab sie ihm in die Hand. »Schla­gen Sie da­mit!«, sag­te ich, und ohne auf eine Ant­wort zu war­ten, lief ich in großen Sät­zen den Pfad ent­lang, den wir ge­kom­men wa­ren. Ich hat­te das scheuß­li­che Ge­fühl, dass mir die­se We­sen aus dem Dun­kel her­aus in den Rücken sprin­gen konn­ten. Den Stoß ei­ni­ger Sprün­ge hör­te ich mir fol­gen.

      Wir lie­fen in wei­ten Sät­zen. Aber dies Lau­fen, muss man ver­ste­hen, war et­was von ir­gend­wel­chem Lau­fen auf der Erde völ­lig ver­schie­de­nes. Auf die Erde springt man und trifft fast so­fort wie­der den Bo­den, aber auf dem Mond schoss man we­gen sei­ner ge­rin­gen Schwer­kraft meh­re­re Se­kun­den lang durch die Luft, ehe man wie­der zu Bo­den kam. Trotz un­se­rer