FASTENPREDIGT IN UNTERFILZBACH. Eva Adam

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Название FASTENPREDIGT IN UNTERFILZBACH
Автор произведения Eva Adam
Жанр Языкознание
Серия Unterfilzbach
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958353381



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wie in jeder anderen Firma halt auch. In Bayern sagt man dazu auch »jemanden auf d’Sau auflassen«. Hansi fand sogar, das fördere das gute Betriebsklima. Nur heute musste auch der gesamte morgendliche Verkehr in Unterfilzbach darunter leiden. Und der Bauhofkapo Wiggerl war nun fuchsteufelswild. Die nächsten Tage würden für Hansi, Sepp und seine Kollegen wohl hart werden, denn nachtragend war er schon, ihr Chef.

      Der kommunale Bauhof in Unterfilzbach war, wie wohl auch in anderen Gemeinden üblich, für den Winterdienst auf den Ortsstraßen zuständig. Da Wiggerl sich hier seiner Verantwortung absolut, vollumfänglich und zu hundert Prozent bewusst war, versuchte er alles, um auch immer für die nächste potenzielle Schneekatastrophe bestens vorbereitet zu sein. Zum Beispiel hatte er inzwischen achtzehn Wetter-Apps auf seinem Handy installiert. Diese checkte er alle halbstündlich. Mindestens. Außerdem rief er viermal täglich im Bayerischen Wetteramt an und erfragte die zu erwartenden Niederschläge für seinen Zuständigkeitsbereich. Technisch waren seine Informationsquellen also auf dem neuesten Stand, aber der Wiggerl wäre nicht der Wiggerl gewesen, wenn er sich da nicht noch breiter gefächert aufgestellt hätte. Er griff auch gerne auf alternative Methoden zurück. Eine davon war sein Vogelhäuschen, das direkt vor seinem Schlafzimmerfenster stand. Im Winter stellt sich Wiggerl täglich um drei Uhr nachts seinen Wecker und warf sofort, nachdem er die Augen geöffnet hatte, den ersten Blick aus seinem Schlafzimmerfenster auf eben dieses Vogelhäuschen. Vor zwei Jahren hatte er sogar extra einen Strahler am Haus befestigt, damit das Häuschen gut angestrahlt wurde und er es auch nachts gut sehen konnte. Wenn nun das Vogelhäuschen eine frische Schneedecke auf dem Dach hatte, dann sah er schon mal genauer hin. Wenn die Schneedecke nun sogar einige Zentimeter in die Höhe gewachsen war, dann war für den Winterdienstchef klar: Meine Männer müssen raus zum Räumen und Streuen.

      Natürlich wussten das auch die Bauhofmänner, was da jede Nacht im Hause Hackl passierte. Günter hatte dann eines Tages bei der Brotzeit die Idee, dass sie heimlich nachts um kurz vor drei Uhr den ganzen frisch geschneiten Schnee vom Vogelhäuschen abkehren und dann einfach abwarten könnten, was passiert. Da war ihnen nicht mal das frühe Aufstehen zu anstrengend gewesen. Gesagt, getan.

      Wiggerl war natürlich sehr beruhigt. Obwohl all seine Wetterdienste einvernehmlich starken Schneefall angesagt hatten, war das Häuschen schneefrei. Also mussten es auch die Straßen von Unterfilzbach sein, dachte er, kuschelte sich gleich wieder in seine dicke Daunendecke mit TSV-1860-München-Frotteebezug und schlummerte neben seiner Hilde friedlich weiter. Er schmunzelte noch in sich hinein, dass es schon der Wahnsinn war, wie sehr sich doch die hochtechnisierte Meteorologie irren konnte. Gut, dass er ein ausgewieftes System aus verschiedenen Methoden für sich gefunden hatte.

      Günter, Reinhard, Sepp, Martin und Hansi warteten noch bis halb vier auf einen eventuellen Weckruf von Wiggerl oder Hilde, die diese Aufgabe meistens von ihrem Gatten aufgetragen bekam. Aber es kam kein Weckruf zum Winterdienst. Das hatte dann natürlich zur Folge, dass die Straßen im Schnee versanken, denn es war Januar und im Bayerischen Wald war zu dieser Zeit wirklich Winter. Also so ein richtiger Winter mit Schnee, wirklich viel Schnee. So was konnte man sich in München, Nürnberg oder Passau gar nicht so recht vorstellen, welche Massen es tatsächlich schneien konnte. Ein mittelschweres Verkehrschaos in Unterfilzbach war also vorprogrammiert. Gott sei Dank nur ein mittelschweres, denn die meisten Einheimischen waren Schnee auf den Straßen gewohnt und beherrschten somit auch das Autofahren bei diesen Verhältnissen. Aber natürlich fragten sich die Unterfilzbacher sofort, warum der ansonsten zuverlässige Winterdienst nicht schon lange unterwegs war.

      Als der amtierende Bürgermeister Matthias Brunner feststellen musste, dass auch vor seiner Haustür nicht geräumt war, kontaktierte er seinen Bauhofchef gleich mal auf dessen Handy. Ein recht verschlafener Wiggerl Hackl verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte so was passieren? Wie konnte sein ganzheitliches 1-a-Wettermeldesystem versagt haben? Diese Geschehnisse machten natürlich blitzschnell die Runde im Dorf. Und obwohl ein paar Bürger verärgert waren, amüsierten sich doch die meisten über diese Geschichte, vor allem über Wiggerls Schneemelde-Vogelhäuschen.

      Berta kam extra gleich morgens in den Supermarkt, um bei Bettina die Hintergrundinfos zum Verkehrschaos zu erfahren. Allerdings waren diese Art von Bauhofthemen Bettina sehr unangenehm und sie lenkte das Gespräch gleich auf die große Erweiterung des Altenheims, die momentan in vollem Gange war. Es wurde gerade ein luxuriöser Anbau, eigentlich mehr ein separater Trakt für betreutes Seniorenwohnen, am Altersheim Zum ewigen Licht errichtet. Gerüchteweise mit eigenem Wellnessbereich für die Bewohner. Künftig sollte es dann auch kein Altenheim mehr sein, sondern eine Seniorenresidenz, stand letztens in der Lokalzeitung, der Filzbacher Rundschau.

      »Sag a mal Berta, ziehst du denn eigentlich auch in das Altenheim, wenn das jetzt so neu und schön wird? Ich meine, betreutes Wohnen hört sich doch gut an, das ist ja eher ein Hotel. Das kann ich mir ganz lustig vorstellen.«

      Diese Frage war jetzt allerdings dann wiederum Berta ziemlich unangenehm. Ihre Antwort kam dann schon unter leicht schnaubender Atmung. »Also weißt, Bettina, ja sag einmal, warum soll ich denn in ein Altenheim ziehen? Ich bin doch topfit und erst knapp über sechzig. Was denkst du denn von mir?«, antwortete das rüstige Rentnerfräulein ziemlich eingeschnappt.

      »Ich mein ja nur, Berta. Ich glaub, ich würde das schon tun, wenn ich genügend Geld hätte und meinen Lebensabend in Gesellschaft genießen möchte«, versuchte sich Bettina jetzt in Deeskalation. Denn Berta konnte da schon etwas cholerisch sein, wenn es um ihre eigene Person ging.

      »Jetzt warten wir, bis der Bau überhaupt erst einmal fertig ist. Du kennst ja den Schmal Harald. Der und seine komische Firma, der treibt ja auch alles, was Gott verboten hat. Dem trau ich nicht für den Dreck unter meinen Fingernägeln. Wie oft hat man denn schon in der Zeitung gelesen, dass die Firma Beton Schmal nicht ganz zuverlässig war. Von den erheblichen Baumängeln, die da aufgetreten sind, ganz zu schweigen.«

      Berta hatte offensichtlich keine gute Meinung über die Baufirma, die den Erweiterungsbau an das Altenheim errichtete. Aber Bettina musste sich schon eingestehen, dass der »BND« da nicht ganz im Unrecht war. Denn Harald Schmal, der Chef der Firma, war nicht unbedingt das Synonym für einen seriösen Geschäftsmann. Allein schon sein Auftreten mit den protzigen Autos, solariumverbrannt, dicke Goldkettchen um den Hals, muskelbepackt, circa ein Kilo Gel in seinen pechschwarz gefärbten Haaren … Grundsätzlich war er wohl sehr eitel, Bettina vermutete, dass er vielleicht sogar Botox spritzen ließ. Außerdem schien ihm das Altern nicht ganz leichtzufallen, denn er stylte sich eher wie ein Zwanzigjähriger, war aber mehr als doppelt so alt. Seine Frau Anita konnte einem direkt leidtun. Harald genoss sein Leben in vollen Zügen und dies auch ab und zu gerne mit diversen anderen Frauen. Aber es schien so, als hätte sich Anita, oder Anni, wie sie im Dorf jeder nannte, damit abgefunden. Sie scherte sich nicht mehr um ihren Mann und die Gerüchte. Auch sie lebte ihr Leben und ließ es sich gutgehen. Skiurlaub in Kitzbühel, Wellness in Südtirol, Shopping in New York. Das war die Welt der Anni Schmal.

      Eigentlich hatte ja Harald Schmal in die Firma eingeheiratet. Denn Annis Vater hatte mit der Baufirma, die früher noch Filz-Bau hieß, ein kleines Imperium aufgebaut und war ein zuverlässiger und angesehener Baumeister in ganz Niederbayern gewesen. Auch als Arbeitgeber hatte er einen guten Ruf gehabt. Viele gute und fleißige Handwerker aus der Umgebung waren hier beschäftigt gewesen und Annis Vater hatte immer ein offenes Ohr für seine Angestellten gehabt.

      Nach seinem Tod hatte dann der Schwiegersohn die Firma übernommen und führte sie nun mit einem etwas anderen »betrieblichen Konzept«, könnte man sagen. Manch krumme Geschäfte, vielleicht auch mal eine kleine Bestechung zwischendurch oder ab und an mal eine kleine planmäßige Pleite einer Tochterfirma kamen in diesem Konzept schon vor. Schlecht bezahlte Arbeitskräfte, viele Hilfsarbeiter, die nicht mal der deutschen Sprache mächtig waren, aber deren Arbeitsleistung bei den Bauherren gerne mal mit den Stundensätzen für Meister abgerechnet wurden. Harald war wirklich recht kreativ in solchen Dingen.

      Und nun baute eben diese Firma einen Trakt an das bestehende Altenheim an. Betreutes Wohnen mit 24-Stunden-Service. Der Hochglanzprospekt dazu, der in ganz Unterfilzbach auslag, versprach einen wahr gewordenen Senioren-Wohntraum:

       Individuell gestaltete Einzelapartments, Butler-Service, altersgerechtes Unterhaltungsprogramm