KHAOS. Lin Rina

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Название KHAOS
Автор произведения Lin Rina
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783959914208



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konzentrierte mich, versuchte die Feinheiten der Seelen zu erspüren, um festzustellen, ob sie mich gehört hatten, als plötzlich am Rande meiner Aufmerksamkeit eine ganze Armee winziger Seelenfunken aufblitzte.

      Erschrocken öffnete ich die Augen und fuhr herum. Doch da war niemand. Kein Mensch und auch kein Tier. Zumindest keines, das groß genug für eine Seele wäre.

      Hatte ich mir das Flimmern nur eingebildet? Fast widerwillig schloss ich die Augen erneut und sah absolut nichts. Kein Schimmer, kein Glimmen. Vielleicht hatten mir meine Sinne einen Streich gespielt. Es war sicher einfach zu viel Aufregung für mich gewesen.

      Ich horchte in mich hinein, beruhigte meinen Atem, konzentrierte mich auf meine Umgebung. Über mir waren die Männer zu spüren, keine fünfhundert Meter von hier tummelten sich die Wasserwesen im See, und dann war da plötzlich wieder dieses Glimmen.

      Diesmal erschrak ich nur halb so stark und klammerte mich an meine Konzentration. Ich blendete die Tiere im See aus, ebenso wie die beiden Männer über mir, und blieb mit meinem Bewusstsein nur in diesem Raum voller Kisten.

      Das Glimmen wurde stärker, als ich es zu fassen bekam, und verwandelte sich in sicher zwei Dutzend Seelen. Sie waren so schwach, dass ich nicht ausmachen konnte, was sie waren. Menschen, Spezies anderer Planeten, Tiere? Es waren keine Gefühle darin, keine Gedanken, keine Wellen im stetigen Bestehen.

      Langsam ging ich von einer zur anderen und zog abrupt die Hände weg, als ich eine direkt vor mir bemerkte. Ich öffnete die Augen und starrte auf die längliche Truhe, die plötzlich große Ähnlichkeit mit einem Sarg aufwies. Ein ungutes Gefühl rieselte mir die Wirbelsäule nach unten und brachte mich dazu, mich zu schütteln.

      Ich kämpfte mit mir, knetete meine rissige Unterlippe mit den Fingern und gab mir schlussendlich einen Ruck. Es waren nur wenige Schritte ans andere Ende der Truhe und ich hob einen weiteren Pappkarton, der darauf abgestellt war, zur Seite. Darunter kam ein schmales Fenster zum Vorschein, blind von Staub.

      Etwas umständlich kletterte ich auf die Truhe, zog mir den Ärmel über den Handballen und wischte in einer beherzten Bewegung über das Glas.

      Mein Puls war beschleunigt, ich redete mir selbst gut zu und gruselte mich trotzdem vor dem, was ich wohl zu sehen bekommen würde. Meine Fantasie spielte verrückt, erschuf Monster und Wesen, die das Glas sprengen und mich zerfleischen würden.

      Doch noch während ich meine Ängste niederkämpfte, erhaschte ich einen Blick in das Innere der Truhe und blieb an den Zügen eines Gesichtes hängen.

      Mein Herz setzte einen Schlag aus. Beinahe ehrfürchtig beugte ich mich über das Fenster, das mir Einblick gewährte, und sah in das Gesicht eines Mannes.

      Ich hatte schon viele Männer gesehen, von den verschiedensten Spezies. Die meisten waren grob und vernarbt und weckten allesamt Abscheu in mir.

      Aber dieser hier war anders. Sein Gesicht war ebenmäßig, die Haut blass wie Kalk. Die hohen Wangenknochen traten scharf hervor und verliehen seinem Gesicht einen gewissen Stolz. Die Augen, wenn auch geschlossen, zeigten katzenhafte Schlauheit, die Nase war gerade und die Lippen so markant, als hätte man sie gezeichnet. Eine dunkle Locke lag erstarrt auf seiner hohen Stirn.

      Zuerst hielt ich ihn für tot, eine Leiche. Doch ich erinnerte mich selbst daran, seine Seele gesehen zu haben, und da wurde mir auch schon klar, was das alles bedeutete.

      Dieser Mann war eingefroren worden.

      Nur mit Mühe konnte ich meinen Blick von seinem Gesicht lösen und sah mich nach weiteren Truhen um, von denen ich jetzt wusste, dass es sich dabei um Kryokapseln handelte. Ich zählte auf Anhieb etwa sieben, die allesamt mit Kisten zugestellt waren, und wandte mich dann wieder dem Mann unter mir zu.

      Mit der Zunge fuhr ich mir über die trockenen Lippen und beugte mich weiter nach vorne, bis ich bäuchlings auf dem Deckel lag, die Unterarme vor dem Glas abgestützt.

      Ich konnte nicht umhin, zuzugeben, dass ich in meinem ganzen Leben noch niemals einen so schönen Mann gesehen hatte.

      2

      Keine Liebe

      Verträumt starrte ich das Einmachglas in meinen Händen an, beobachtete die Organismen, die sich darin langsam in ihrem eigenen Takt hin und her wiegten. Ich züchtete sie in den Gläsern, um aus ihren Ablagerungen Medikamente herzustellen.

      Doch obwohl ich meinen Protokollblock neben mir auf dem Tisch liegen hatte und den Stift zwischen den Fingern drehte, waren meine Gedanken ganz woanders.

      Sie waren bei diesem Gesicht. Bei dem Mann, dessen Gesicht ich über Stunden hinweg fasziniert betrachtet hatte. Jede Vertiefung, die Wimpern, die Wangenknochen, das starke Kinn, die Ansätze des Halses, an dem sich die Sehnen unter der makellosen Haut spannten. Es fiel mir einfach schwer zu glauben, dass so ein Gesicht existieren konnte.

      Der Ausschnitt des Fensters hatte mir den Rest seiner Gestalt nicht offenbart, egal, aus welchem Winkel ich in die Kapsel geblickt hatte.

      Doch es war sowieso nicht wichtig. Sagte ich mir zumindest.

      Das Beste für mich wäre, einfach zu vergessen, was ich gesehen hatte, die Konservendosen zu holen und dann nie wieder dorthin zurückzukehren.

      Es hatte ohnehin keinen Sinn. Die Kryokapseln waren alt und nicht mit einer eigenen Weckfunktion ausgestattet. Allerdings hatte ich in meiner kleinen Krankenstation auch keine Hitzedruckkammer, um den Mann unbeschadet zurück unter die Lebenden zu holen.

      Und dann waren da noch so viele andere gewesen. Mit geschlossenen Augen hatte ich fast zwei Dutzend Seelen gezählt, die zum Teil im hinteren Teil des Raumes verschüttet gewesen waren. Dreiundzwanzig Menschen, die man eingefroren hatte und im Lagerraum eines Gefängnisses aufbewahrte.

      Aber zu welchem Zweck?

      Wieso musste man jemanden einfrieren, wenn er sowieso auf einen Gefängnisplaneten gebracht wurde? Wie eine Art doppeltes Gefängnis.

      Vielleicht waren sie gefährlicher als die restlichen Gefangenen, sodass man sie lieber stillgelegt hatte, um kein Risiko einzugehen.

      Wäre es dann aber nicht einfacher gewesen, sie zu töten? Wozu der ganze Aufwand?

      Doch umso öfter ich mir das Gesicht des Mannes in Erinnerung rief, desto weniger gefährlich wirkte er auf mich.

      Er war so schön gewesen, und die Männer, die ich kannte, waren grausam. Ich konnte mir keinen Menschen vorstellen, der noch schlimmer sein sollte als diese.

      »Wo hast du dich rumgetrieben, lil’Pid?«, sprach mich jemand an, dass mir vor Schreck das Einmachglas aus der Hand fiel.

      Pidja war der Name meine Mutter gewesen und mich nannte man schon damals kleine Pidja.

      Das war mir eigentlich ganz recht. Solange sie mich für ein kleines Kind hielten, hatte ich weniger Ärger. Ich musste mich eher fürchten, wenn mich jemand mit meinem richtigen Namen ansprach.

      Eine große, schuppige Hand fing das Glas noch im Fall auf und stellte es lässig auf den Tisch neben mir.

      Es war Cobal, der mich mit seinen gelben Echsenaugen eingehend musterte. Ich versuchte, ihm nicht ins Gesicht zu sehen. Wenn es sich vermeiden ließ, dann wollte ich nicht, dass er mir ansah, dass sich etwas verändert hatte.

      »Ich bin rumspaziert«, behauptete ich leise und schob das Glas zurück zwischen die anderen ins Regal.

      Es war das einzige Möbelstück in diesem Raum, das Krung komplett verschont hatte: Der Arzneimittelschrank. Das restliche Zimmer war vollständig verwüstet. Die Liegen waren umgerissen, Lampen waren zertrümmert, von meinen Arbeitstischen war der eine zerbeult und der andere in der Mitte durchgebrochen. Chirurgisches Besteck lag auf dem Boden