Inquietudo. Alexander Suckel

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Название Inquietudo
Автор произведения Alexander Suckel
Жанр Зарубежная классика
Серия
Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
isbn 9783954629336



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Fischzug keine Dreiviertelstunde.

      Wieviel haben wir jetzt zusammen? Julia konnte es kaum erwarten, den in Windeseile erbeuteten Reichtum in Augenschein zu nehmen.

      Bist du irrsinnig? Glaubst du, ich zähl das jetzt hier im Kaufhaus zusammen?

      Ich mein, wie viele Brieftaschen sinds denn jetzt?

      Weiß nicht. Sieben oder acht. Ich glaub, das reicht. Lass uns verschwinden. Wir gehen am besten getrennt raus. Du zuerst. Ich komm in ein paar Minuten nach. Wir treffen uns drüben an der Ecke, vor dem Bistro.

      Hau bloß nicht ab!

      Ich hau nicht ab. Bis gleich.

      Bis gleich dann.

      Julia verschwand schnell in Richtung Rolltreppe, und Vince schaute ihr nach. Nach zwei, drei Minuten ging auch er.

      ***

      Zwei sind besser, es wird heiß, sagte João, und reichte Kruse zwei Wasserflaschen herüber. Das war wiederum schon fast eine Indiskretion seinerseits. Fast wäre man geneigt, diesen Dialog als eine ausgelassene Plauderei anzusehen. Kruse bedankte sich, nahm die beiden Flaschen, überlegte kurz, wo er sie verstauen konnte. Die Taschen seines Jacketts waren gefüllt mit allerlei scheinbar notwendigem, letztlich unbrauchbarem Zeug, einem Telefonverzeichnis, einem Wohnungsschlüssel, den er vergessen hatte zurückzugeben, einem älteren Brief von Marcenda, den er so oft gelesen hatte, dass er ihn fast auswendig kannte und in dem ihr ein Kommafehler unterlaufen war. Nicht dass er sonderlich pingelig in Sachen Orthografie wäre, aber es war ein äußerst sympathischer Kommafehler, weil er Marcendas so perfekten Erscheinungsbild eine kleine individuelle, abweichende Färbung gab. Die eine Flasche mehr oder minder geschickt unter den Arm geklemmt, die andere in der linken Hand tragend, verabschiedete er sich und wandte sich zum Gehen.

      Plötzlich rief ihm João, Kruse hatte den Treppenabsatz schon erreicht, hinterher: Fast hätte ich es vergessen, Senhor, hier ist eine Nachricht für Sie. Sie wurde heute Morgen abgegeben, sehr zeitig am Morgen. Kruse kehrte zurück und stellte die Wasserflaschen auf dem Tresen ab. Er war sich sicher, dass es sich nur um einen Irrtum handeln konnte. Er hatte niemandem seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort mitgeteilt. Niemand konnte seine Adresse ausfindig machen. Er hatte auch kein Interesse daran, dass es jemand tat, denn er wollte absichtlich für eine Weile nachrichtenlos bleiben.

      Das muss ein Irrtum sein, niemand weiß, dass ich hier bin, schauen Sie doch bitte noch einmal nach, João. Es handelt sich sicherlich um ein Missverständnis.

      Nein, ganz bestimmt nicht, entgegnete João. Der Herr, der die Nachricht abgegeben hatte, wusste, dass Sie hier wohnen. Er sagte nur: Bitte geben Sie diesen Brief meinem jungen Freund, wenn er erwacht ist und das Haus verlassen sollte. Ich wollte den Herrn noch nach seinem Namen fragen oder ob ich sonst irgendetwas für ihn tun kann, aber er war ebenso plötzlich verschwunden, wie er gekommen war. Es war auch noch sehr zeitig am Morgen, wissen Sie. Ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, wie der Herr ausgesehen hat, abgesehen von dieser merkwürdigen alten Hornbrille.

      Hier, bitte sehr, sagte João und überreichte einen Umschlag. Kruse nahm ihn entgegen, öffnete ihn und zog eine Karte heraus. Auf ihr stand in schnörkelloser, gerader Schrift ein einziger Satz, mit eleganter Handschrift verfasst. Kein Gruß, keine Adresse, kein Name, nichts, nur der Satz, exakt in der Mitte der Karte platziert: Ich bin so groß wie das, was ich sehe.

      ***

      Julia stand am Eingang, umringt von zwei uniformierten Kaufhausangestellten. Einer zerrte an ihrer Jacke, der andere machte sich an ihrem Rucksack zu schaffen. Sekundiert wurden sie von einem Herrn in einem teuren langen Mantel, der wild gestikulierend auf einen vierten Mann einredete. Vince erkannte ihn sofort. Es war derjenige, den sie in der Parfümabteilung abgegriffen hatten. Der Schock, erwischt zu sein, lähmte ihn. Das Geld!, durchfuhr es ihn. Natürlich, er hatte es. Sie könnten Julia überhaupt nichts nachweisen, wenn er nur verschwinden würde.

      Vorsichtig drehte er sich um, suchte einen anderen Ausgang. Es musste, verdammt noch mal, einen zweiten geben. Er war in der Lebensmittelabteilung gelandet, eine Lautsprecherdurchsage verkündete in näselndem Ton, dass in wenigen Minuten geschlossen würde. Soviel konnte er immerhin noch verstehen. Vince spähte noch einmal zum Ausgang und sah, dass Julia und der Mantelmensch zu einer Tür neben dem Eingang gebracht wurden. Julia wehrte sich und schrie auf die Uniformierten ein. Vince konnte es nicht hören, aber er sah es an ihren heftigen Bewegungen. Eine Menschentraube hatte sich um dieses zuckende Quintett gebildet, ebenfalls gestikulierend und wild debattierend. Aus dem Lautsprecher drang dumm-fröhlich scheppernde Weihnachtsmusik. Vince schnappte sich einen Einkaufswagen, der herrenlos abgestellt war und bewegte sich vorsichtig in Richtung des anderen Ausgangs. Auch dort standen Uniformierte. Was ist, wenn Julia ihn verpfiffen und beschrieben hätte? Inzwischen würden auch andere Brieftaschenbesitzer den Verlust bemerkt haben. Man würde das ganze Kaufhaus abriegeln, bis man den Dieb gefasst hätte. Ein ganzes Rudel von Detektiven, Polizisten und Hunden würde nach ihm suchen. Findet ihn, er hat mindestens acht Brieftaschen bei sich! Man würde ihn nicht behandeln wie einen einfachen Kaufhausdieb, der ein paar Nebensächlichkeiten eingesackt hatte. Eher schon wie einen gefährlichen Kriminellen, einen Serientäter. Am schlimmsten war der Gedanke, vielleicht jetzt noch vor Weihnachten abgeschoben zu werden, zurück nach Deutschland.

      Vince verfluchte die Idee, sich mit Julia eingelassen zu haben. Weiber sind für sowas eben nicht geeignet. Dann kroch wieder die Angst in ihn. Die Angst, entdeckt zu werden, im Knast zu landen. Plötzlich sah er in einer Ecke, an der die leeren Einkaufswagen abgestellt wurden, einen blauen Kittel hängen. Einen Kittel, wie ihn Lagerarbeiter tragen. Er eilte darauf zu. Ohne sich umzusehen, griff er danach und zog ihn über. Riss sich den Schal vom Hals, versteckte ihn in der Manteltasche neben den Brieftaschen. An der Kasse lagen leere Verpackungen, Margarine-Kästen, leere Tüten, Kartons, in denen Hundefutter verpackt wurde. Er griff sich einen Stapel Kartons und fragte die Kassiererin, wohin damit. Sie sah kurz über die Schulter und bedeutete ihm mürrisch eine Tür neben der Wagenecke. Vince ging seelenruhig mit seiner Ladung auf die Tür zu und trat zweimal mit dem Fuß dagegen. Wie ein Sesam-öffne-dich sprang sie daraufhin auf, bedient von einem tiefschwarzen Lagerarbeiter, der ihm mit einem Fingerzeig den Ort wies, wo Vince die Kästen abstellen sollte. Von dort waren es noch wenige Meter bis zu einer Laderampe.

      Vince rannte wie um sein Leben. Im Rennen streifte er sich den Kittel ab. Er sprang die Laderampe hinunter, rannte weiter zwischen Lastwagen, riesigen Mülltonnen, Gabelstaplern und Paletten. Den Hof hatte er schnell überquert. Er erreichte einen Gitterzaun mit rostigen Stacheldrähten obendrauf. In Sichtweite befand sich ein Pförtnerhäuschen mit einem vor sich hindösenden Uniformierten. Vince duckte sich hinter einer Mülltonne ab und wartete ungefähr zwanzig Minuten. Endlich fuhr ein großer Lieferwagen vor, hupte dreimal kurz hintereinander, worauf der Uniformierte aus seiner Ruhestellung zu erwachen schien und einen Knopf bediente, der das große Eisentor öffnete. Während der Lieferwagen im Schritttempo auf den Hof fuhr, schlängelte sich Vince im Schatten des Wagens und außer Sichtweite des Uniformierten daran vorbei. Er befand sich in einer schwach beleuchteten Seitengasse, zog seinen Schal aus der Manteltasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

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