Inquietudo. Alexander Suckel

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Название Inquietudo
Автор произведения Alexander Suckel
Жанр Зарубежная классика
Серия
Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
isbn 9783954629336



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      Wie heißt du eigentlich?

      Julia. Und du?

      Vince.

      War eben so ne kitschige Idee von meinem Vater mit dem Namen. Der ist eben so.

      Wie – so?

      Na eben verkitscht. So ein Name. Wie aus einem alten blöden Film.

      Wieso denn, ist doch nicht schlecht? Das ist Shakespeare, und der macht keine Filme, glaub ich.

      Ach was!

      Vince ist auch nicht gerade doll. Klingt irgendwie doof. Zumindest klein.

      Find ich nicht.

      Ich schon. Und wie kommst du hierher?

      Ist eine lange Geschichte. Und du?

      Ist eine noch längere Geschichte. Prost!

      Er hob seine Büchse zu einem neuen Versuch.

      Nee, lieber nicht, sagte sie.

      Du musst einfach die Nase zuhalten und nicht so schnell schlucken. Sonst kommts dir wieder hoch.

      Wenn du meinst. Sie hielt sich die Nase zu und setzte die Bierbüchse an. So? Sie blickte ihn fragend an, er nickte. Prost!, näselte sie. Beide nahmen einen Schluck. Sie tat, wie er ihr geraten hatte und schluckte langsam. Es schmeckte wohl genauso schauderhaft wie vorher, aber sie ließ sich nichts anmerken. Langsam wurde es dunkel, und wie auf eine geheime Verabredung hin schwiegen sie. Vince dachte nach, wo er die Nacht über bleiben würde. Es wurde Zeit, sich darum zu kümmern.

      ***

      Seit Tagen schon durchpflügte Kruse mit großen, eiligen, der Hitze unangemessenen Schritten die Straßen, den Körper messend gegen die unendliche Schwere des alten Gesteins. Verschwitzt und bleiernen Kopfes, am Rande jeder Erschöpfung einen Kaffee nehmend, doch nur, um alsdann mit neuer Wut und Rastlosigkeit die nächsten Straßenzüge zu erklimmen. Was ihn nach Lissabon getrieben hatte, er konnte es nicht mehr benennen. Es verschwamm zu einer Melange aus Gründen, Absichten, Wünschen, Ängsten und Gewissheiten. Kaum konnte er auseinanderhalten, was geschehen war in den Tagen vor seiner Abreise; was hätte geschehen müssen; was er befürchtete, hätte geschehen können.

      Zunächst hatte Kruse den Alten nicht bemerkt. Er musste an der Basílika da Estrela eingestiegen sein, nun saß er ihm schon seit etlichen Stationen gegenüber. Verstohlen blickte der Mann ab und zu herüber, einmal lachte er sogar. Er war auf seltsame Weise altertümlich gekleidet, trug einen zwar tadellosen aber merkbar antiquierten Anzug und eine dunkle, etwas verrutschte Krawatte über dem nicht mehr ganz weißen Hemd. Warum der Alte herüberblickte und blinzelte, wusste man nicht. Vielleicht glaubte er, in Kruse einen Touristen zu sehen, dem er gegen ein entsprechendes Honorar die Stadt zeigen kann. Vielleicht sollte er einfach sitzen bleiben und ihn ignorieren. Irgendwann würde er verstehen, dass kein Geschäft zu machen sei. Im Übrigen war der leichte Windhauch, der durch das geöffnete Seitenfenster in das Innere der Bahn strömte, durchaus belebend. Kruse hatte kein Ziel, es konnte ihm also gleichgültig sein, wann und wo er ausstieg. In der Nähe des Rossio, des großen Hauptplatzes in der Stadtmitte, stieg der Alte aus, nicht ohne sich beim Hinausgehen noch einmal umzuwenden. Froh, den Aufdringlichen endlich los zu sein, und in der Erwartung eines guten Abendessens entdeckte Kruse auf dem Platz, neben dem der alte Mann gesessen hatte, einen Spazierstock aus dunklem Holz, der jenem zu gehören schien. Kruse erinnerte sich, dass der Mann mit dem silbernen Knauf des Stockes spielte, während die Straßenbahn von der Basilika stadtabwärts schlingerte.

      Eine große Menschenmenge wartete an der Haltestelle der Catedral Sé Patriarcal, wahrscheinlich Kirchgänger, die aus der gerade zu Ende gegangenen Abendmesse strömten. Auf dem Weg zur Tür griff Kruse nach dem Stock, er wusste nicht, wozu er ihn hätte gebrauchen können, er war für seine Körpergröße zu klein, und auch glaubte er sich nicht in einem Alter, der das Tragen eines Spazierstocks erforderte oder irgendwie legitimierte. Doch ehe er begann, darüber nachzudenken, was er eigentlich mit dem Stock sollte, befand er sich schon außerhalb der Bahn, mit eben jenem Stock in der Hand. Also machte Kruse sich auf den Weg, ein gutes Lokal für den Abend zu finden. Er bog in eine kleine steil aufwärtsstrebende Straße ein, von der aus es nur wenige Meter Weg zu einem winzigen Restaurantkeller waren. Er versuchte sich auf den Stock zu stützen, aber er war in der Tat viel zu klein, und so klemmte er ihn – etwas dandyhaft – unter den Arm.

      Wozu brauchen Sie einen Stock?, trompetete es ihm fröhlich entgegen. Kruse blieb stehen und schaute die Straße aufwärts, in die Richtung, aus der die Stimme kam. Lächelnd kam ihm der ältere Mann, der ihm noch vor einer Viertelstunde in der Straßenbahn gegenübersaß, entgegen. Er musste sich am Rossio ein Taxi genommen haben, um eher hier zu sein. Kruse war die Aufdringlichkeit des Alten zuwider, und er suchte nach einer Möglichkeit, ihn schnell wieder loszuwerden.

      Ich bitte Sie, geben Sie mir meinen Stock wieder, ich bin nicht mehr allzu gut zu Fuß, wissen Sie, und bei diesen steilen Straßen, diesem undurchdringlichen Gewirr von Bergen, Schluchten, Gassen und Häusern, bin ich geradezu angewiesen auf meine Gehhilfe. Ich finde im Übrigen, dass er nicht sonderlich gut zu Ihnen passt, er verschafft Ihnen so eine etwas, verzeihen Sie bitte, dandyhafte Attitüde. Es ist so ähnlich, wie wenn junge Menschen Ihres Alters sich plötzlich angewöhnen, Pfeife oder Zigarre zu rauchen, wenn Sie verstehen, was ich meine.

      Ich denke, es geht Sie überhaupt nichts an, wie ich aussehe, was ich rauche, und wie ich auf bestimmte Menschen wirke, die ihre Nasen in das Leben anderer stecken, nur weil sie sich irgendeinen dubiosen Gewinn davon versprechen. Und was den Stock betrifft, Sie haben ihn in der Straßenbahn liegengelassen, ich hätte ein Gleiches tun können und dann müssten Sie jetzt zusehen, wie Sie ohne ihn zurechtkommen. Bitte sehr, da ist er, Sie können ihn wiederhaben. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Gereizt wandte Kruse sich zum Gehen.

      Wenn Sie ein gutes Lokal suchen, ich kenne eines hier ganz in der Nähe.

      Kruse holte tief Luft.

      Nein, nein, sagen Sie nichts, unterbrach ihn der Alte, bevor er antworten konnte. Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht kränken. Selbstverständlich bleibt es Ihnen überlassen, ob Sie an guten Zigarren Geschmack finden, und selbstredend spielt es keine Rolle, wie alt Sie sind, wenn Sie sie rauchen. Entschuldigen Sie bitte vielmals. Ich habe hier übrigens noch zwei hervorragende Romeo y Julieta bei mir, ein alter Studienkollege aus Schottland hat sie mir mitgebracht. Ich habe sie heute Nachmittag eingesteckt, ohne einen Grund dafür zu haben. Mein Arzt sagt, ich in meinem Alter sollte das Rauchen endlich bleiben lassen, wenn ich noch ein paar Jahre leben wolle. Sie werden das vielleicht noch nicht so kennen, junger Mann, wie es ist, wenn aus einem halbwegs fahrtüchtigen Automobil ein alter Klapperkasten wird, den man weder in Reparatur geben noch umtauschen oder verschrotten kann. Darf ich Sie zu einer Zigarre einladen, wenn Sie die Güte haben wollen, den Wein und den Cognac zu begleichen?

      Vom Redeschwall des Alten überwältigt und des Stehens zwischen den engen Häusern mehr als überdrüssig, willigte Kruse ein, nicht ohne das Unbehagen, einem gerissenen Schnorrer auf den Leim gegangen zu sein. Er beschloss, das Ganze als ein Spiel mit offenem Ausgang, quasi eine Wette, die er mit sich selber abschloss, anzusehen. Er war sicher, der Alte hatte keine Zigarre dabei, und wenn, dann mit Sicherheit keine Romeo y Julieta.

      Sie waren bei der sechsten Flasche Wein angelangt. Der Alte legte ein Tempo im Trinken vor, das in einem merkwürdigen Missverhältnis zu seiner äußeren Erscheinung stand. Doch er schien, im Gegensatz zu Kruse, dem der junge, grüne, heftig moussierende Wein zu Kopf stieg, keineswegs betrunken. Im Gegenteil, seine Ausführungen wurden im Laufe des Abends immer klarer, oder sie erschienen nur klarer, weil Kruse zusehends den Überblick verlor.

      Wissen Sie, junger Freund, ich darf Sie doch so nennen angesichts des fortgeschrittenen Abends und des Quantums Alkohol, das wir beide inzwischen genossen haben, ich spürte schon heute Nachmittag, als ich das Haus verließ, dass dieser Abend ein besonders anregender werden würde. Dass ich ausgerechnet Sie treffen würde und Gefallen daran finde, mit Ihnen zu Abend zu essen, hätte ich nicht zu glauben gewagt.

      Was reden Sie nur für dummes Zeug, Kruse bemerkte, dass er seine Zunge kaum noch unter Kontrolle