Название | Dien Bien Phu |
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Автор произведения | Harry Thürk |
Жанр | Историческая литература |
Серия | |
Издательство | Историческая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783954628490 |
Im Vorzimmer des Chefarztes grinste er wieder dümmlich und verriet der Sekretärin: »Ich habe Dung noch nicht gefunden. Aber ich werde mir heute Abend noch im Haus der fünfhundert Mädchen von allen die Ärsche zeigen …«
»Ja, ja!«, unterbrach ihn die Sekretärin unwillig. Sie schob ihm ein Formular hin, auf das er seinen Namen zu schreiben hatte, dann übergab sie ihm den Marschbefehl nach Haiphong. »Der Chef kann Sie leider nicht noch einmal sehen. Er mußte zum Oberkommando Tongking. Gute Reise!«
Gaston Janville kam nie in Haiphong an. Um die Zeit, als der Dampfer von dort nach Saigon abfuhr, befand er sich bereits fünfzig Kilometer westlich von Hanoi. Noch fünfundzwanzig Kilometer mehr, und er würde in Xom Dong sein, dem Dorf, das aus Pfahlhäusern bestand, ähnlich wie jene in Laos, wo Janville noch Soldat gewesen war. Das Mädchen Ba, das stets einen uralten französischen Karabiner bei sich hatte, würde da sein. Er würde ihr erklären, jetzt sei er frei, keiner Fahne mehr untertan und entschlossen, sich nie wieder dazu verpflichten zu lassen, arme Leute in entlegenen Dörfern zu töten. Er sah die Großmutter vor sich mit ihren vom Betelkauen schwarz gefärbten Zähnen, und er war glücklich, daß kein Einschußloch in ihrer Stirn seine Gedanken peinigte.
Navarre holt aus
Das Hauptquartier der regulären Streitkräfte der Demokratischen Republik Vietnam lag in einer gebirgigen Region des befreiten Nordens. Es war sicher, denn der Gegner konnte mit seinen Kräften keine wirkungsvolle Aufklärung betreiben. Wer hier arbeitete, war in Felsgrotten untergebracht, die zudem noch Schutz bei einem eventuellen Luftangriff bieten konnten. Außerdem war das Gebiet im weiten Umkreis durch ein Netz von Posten gesichert, die es an Aufmerksamkeit nicht fehlen ließen.
Anh Chu war einer dieser in der neuen Volksarmee ausgebildeten Soldaten. Er kam aus einer lokalen Selbstverteidigungseinheit in Hanoi; inzwischen galt er als erfahrener Postenführer. Vor seiner Zeit als Soldat hatte er in einer Klempnerei gearbeitet. Er verstand etwas von Wasserrohren und defekten Gullys, konnte Metall löten und Gewinde schneiden. Überhaupt hatte er immer alles an Kenntnissen und Fertigkeiten begierig eingesogen. Wann immer es in der Einheit, zu der er gehörte, einen Vortrag gab, eine Abendveranstaltung, war er mit Sicherheit dabei zu finden. Erst kürzlich hatte ein von der Armeeführung Beauftragter eine Serie von Vorträgen über die Entstehung der Republik gehalten und Anh Chu deshalb mehrmals den Dienst getauscht, um nicht einen Satz zu verpassen. In seinem Notizbuch, das er einem toten Gegner abgenommen hatte, bevor er ihn begrub, standen viele Aufzeichnungen – Anh Chu konnte schreiben und lesen. Er war in eine der heimlich betriebenen Schulen gegangen, zu jener Zeit, als die Japaner Vietnam besetzt hielten. Bei Gründung der Republik, im September 1945, war er dreizehn Jahre alt gewesen. Mit sechzehn stand er seinen Mann bei den Selbstverteidigungskräften. Wenn er die jungen Soldaten sah, die heute zu den neuen Divisionen gehörten, kam er sich beinahe schon wie ein Veteran vor. Er hatte so viele Kämpfe mitgemacht, daß er sich an manche Einzelheiten nicht mehr genau erinnerte.
»Postenführer!« wurde er angerufen. Er duckte sich noch tiefer in den Schatten des riesigen Banyanbaumes, dessen Luftwurzeln so dicht erdwärts wuchsen, daß sie ein vorzügliches Versteck boten. Nach einer Weile konnte er sehen, es handelte sich um einen der Kuriere, die zwischen dem Hauptquartier und Hanoi eine ständige Verbindung aufrechterhielten. Ein Posten brachte ihn heran.
Hanoi war nach wie vor ein Zentrum der Parteiarbeit und ein Schwerpunkt der Aufklärung. Es war die Hauptstadt der Demokratischen Republik Vietnam, selbst wenn jetzt dort der Feind residierte. Der Kurier schien müde zu sein; er lehnte sich an einen Stamm und wartete. Sein Gesicht war vom Mondlicht blaß erhellt. Der Mann war nicht mehr jung.
Der Posten trat ab. Anh Chu prüfte den Kurier: »Parole?«
Der antwortete: »Viet-Bac«.
Daraufhin trat Anh Chu aus dem Dunkel und begrüßte ihn. Er hatte ihn zum diensthabenden Offizier des Hauptquartiers zu bringen, so lautete sein Befehl. Also erkundigte er sich nur kurz, ob alles in Ordnung sei, und als der Kurier ihm versicherte, er werde nicht verfolgt, führte er ihn auf verschlungenen Pfaden durch das unübersichtliche Gelände bis an die Grotte, in der er den Diensthabenden wußte.
Der Offizier ließ sich Bericht erstatten, dabei sorgte er dafür, daß der Kurier warmes Trinkwasser erhielt, und legte ihm Zigaretten hin. Alle Nachrichten wurden mündlich überbracht. Dadurch konnte es dem Gegner nicht gelingen, ein Dokument in die Hände zu bekommen, das von Nutzen für ihn war.
Es war Frühsommer. Die Temperaturen kletterten tags schon über dreißig Grad, nachts hingegen fielen sie hier im Gebirge stark, so daß besonders die Leute aus dem Tiefland, aus dem Delta des Roten Flusses, der Gegend um Hanoi, froren. Anh Chu brachte dem Kurier eine Decke, die er über die Schultern hängen konnte. Auch er selbst hatte sich immer noch nicht ganz an die kalten Nächte im Gebirge gewöhnt. Er zog alle Kleidungsstücke an, die ihm gehörten, wenn er nachts auf Posten ging.
Anh Chu wußte, daß der Kurier in Hanoi einen Laden betrieb. Schon bevor die Japaner Indochina okkupiert hatten, war dieser unscheinbare Mann im Widerstand gegen die Franzosen tätig gewesen. Sein Laden gab ihm eine vortreffliche Tarnung. Ob er es noch erlebt, wie wir die Franzosen endgültig verjagen? fragte sich Anh Chu, während er wieder unter die Luftwurzeln des Banyan kroch. Er erinnerte sich, wie er als Dreizehnjähriger auf dem Platz in Hanoi gestanden hatte, damals, am 2. September des Jahres 1945, als Ho Chi Minh das Ende der Kolonialzeit und die Gründung der unabhängigen Demokratischen Republik verkündete. Ganz Hanoi war auf den Beinen gewesen. Anh Chu trug ein Pappschild mit der Aufschrift »Doc Lap« (Unabhängigkeit), andere hatten den Namen Ho Chi Minhs auf Plakate gepinselt.
»Unsere Republik geht ihrem achten Geburtstag entgegen«, hatte der Vortragsredner neulich gesagt. »Acht Jahre Kampf. Und dieser Kampf hat eine lange Tradition. Vietnam ist das erste Kolonialgebiet der Welt, in dem das Volk sich selbst befreit und seinen eigenen Staat gegründet hat. Das ist ein weltgeschichtliches Ereignis! Wir werden vielen anderen Kolonialländern damit ein ermunterndes Beispiel geben!«
Geschichte. Anh Chu, wenn er heute noch einmal zu wählen hätte, wäre Geschichtslehrer geworden. In der Geschichte eines Volkes konnte man seinen wahren Charakter entdecken, seine Stärken und Schwächen, man konnte sogar Schlüsse auf die Zukunft ziehen, wenn man tief genug in die Vergangenheit eindrang.
Deshalb enthielt Anh Chus Notizbuch auch kaum Aufzeichnungen über ihn selbst und seine Alltagserlebnisse. Er vermerkte darin, was er aus der Entwicklung Vietnams gleichsam nach und nach ausgrub. Erkenntnisse, die von Seite zu Seite immer mehr Zusammenhänge erhellten, Kausalitäten aufdeckten, in die sich Anh Chu versenkte, wenn er Zeit dazu hatte.
Als er Soldat geworden war, hatte er nur gewußt, es galt, die Heimat vor den mit ihrer Rückkehr drohenden Franzosen zu schützen. Heute wußte er vieles, das ihn seinen eigenen Einsatz als Mitwirken bei einer historischen Anstrengung erscheinen ließ, die weit über Vietnam, über Indochina hinaus Bedeutung erlangen würde.
1940, als der achtjährige Anh Chu barfuß durch entlegene Gassen dorthin trottete, wo heimlich Unterricht abgehalten wurde – oft müde von der Arbeit in der Markthalle, in der er sich eine Handvoll Reis verdiente –, war das Heimatland der Kolonialisten von Hitlers Truppen überrannt worden. Bis auf einen kleinen Flecken im Süden, wo der General Pétain eine faschistenfreundliche Regierung bildete. Die Verwaltung der indochinesischen Kolonie tendierte zu dieser Clique, und der von Pétains Gnaden eingesetzte Generalgouverneur gestattete den mit Hitler verbündeten Japanern stillschweigend und Schritt für Schritt die Inbesitznahme Vietnams als Aufmarschgebiet für ihren ein Jahr später südwärts erfolgenden Angriff.
Doch noch vorher kam es in Frankreichs verratener Kolonie zu den ersten bewaffneten Aktionen von Vietnamesen gegen Japans Besatzer, in Bac Son, My Tho und anderswo. Es waren die ersten Flammenzeichen. Aus den Überlebenden der ungleichen Kämpfe wurden Kader einer illegalen Armee, die entschlossen war, Vietnam für das vietnamesische Volk zu erobern.
Politische Parteien und Gruppen folgten dem Ruf der Kommunistischen Partei Indochinas, sich in einer Einheitsfront zusammenzuschließen. An der Spitze