Название | Dien Bien Phu |
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Автор произведения | Harry Thürk |
Жанр | Историческая литература |
Серия | |
Издательство | Историческая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783954628490 |
»Einen Tag, bevor ich in Saigon eintraf«, sinnierte Navarre.
Der Pilot zeigte ihm Muong Khoua auf der Karte, dann tippt er auf Lai Chau, und zuletzt auf einen etwa 150 Kilometer weiter östlich gelegenen Punkt, bei dem der Name Na San stand. »Da wären die drei wichtigsten Bollwerke, um den Vietminh den Weg nach Laos zu verlegen. Wenn wir das Gebiet zwischen ihnen kontrollieren könnten, kämen nur noch Einzelreisende mit leichtem Gepäck nach Laos durch. Allerdings ist Muon Khoua so gut wie völlig abgeschnürt.«
»Wir können nur noch mit Lai Chau und Na San ernsthaft rechnen, wie?«
»So ist es. Fliegen wir Na San an, mon Général?«
»Ich möchte es sehen, ja.« Navarre dachte daran, daß er erst vor einigen Tagen wieder aus Paris die Order erhalten hatte, Laos unbedingt zu sichern, egal, wie er es anfing. Muong Khoua werden wir nicht mehr lange halten können. Es zu versorgen, überfordert unsere Nachschubdienste. Lai Chau müssen wir halten. Das ist ein Eckpfeiler des Tores nach Laos sozusagen. Wenn wir dazu, und außer diesem Na San, im Westen noch einen Stützpunkt hätten, wären wir in der Lage, aus einem strategischen Dreieck Fernpatrouillen zwischen den einzelnen Punkten auszuschicken. Dien Bien Phu. Warum haben wir das verloren? Ein großer Platz. Wie konnte man den aufgeben? Genug Raum für Truppen, schwere Waffen, einen Flugplatz, der die Versorgung garantiert, wenn die Landwege verschlossen sind. Hätten wir heute Dien Bien Phu, dann wäre das strategische Dreieck wieder vollständig, und es ergäbe sich hier für die Vietminh eine tödliche Falle! Er blickte aus der Kanzel. Die Maschine stieg.
»Warum gehen wir höher?« fuhr er den Piloten an. »Ich entsinne mich nicht, das befohlen zu haben!«
Gehorsam ging der Pilot wieder auf die vorherige Höhe zurück. Aber er sagte nicht sehr freundlich: »Da unten, mon Général, kommt Moc Chau. Dort haben die Vietminh Flak stehen.«
Navarre war entschlossen, die paar MG-Salven, die vielleicht irgendein barfüßiger Freischärler abfeuerte, nicht ernst zu nehmen. Vermutlich gab es sie gar nicht, es gab nur die Vorsicht des Piloten. Auch einer von denen, die nicht den Ehrgeiz hatten, zu kämpfen, sondern sich lediglich unbeschädigt über die Zeit bringen wollten. Noch während er über diese Mischung von Kleinmut und Spekulationsgeist innerlich grollte, schlugen von unten kommende Geschosse plötzlich Blechfetzen aus der linken Tragfläche.
Der Pilot trimmte die Maschine, die ins Torkeln geriet, aus und warf einen Blick auf Navarre. Der schwieg. Demonstrierte Desinteresse an jemandem, der vermutlich mit einem jahrzehntealten Maschinengewehr die »Dakota« beschoß. Erst als unter einer genauer sitzenden Garbe die Scheiben der Glaskanzel splitterten, nickte der General dem Piloten zu. »Höher!«
Als sie über Na San ankamen, dem in den Wald gehauenen Stützpunkt, der an die Forts in Indianerfilmen erinnerte, begnügte sich Navarre mit einer Runde. Dann akzeptierte er den Vorschlag des Piloten, zwischenzulanden und die Maschine auf Beschädigungen untersuchen zu lassen.
Oberst Berteil, der Kommandant von Na San, ein Mann, der es verstand, seine Strebsamkeit hinter einer aufgetragenen Zurückhaltung zu verstecken, führte den General, während Mechaniker die »Dakota« abklopften, durch die Stellungen. Tiefe Gräben, Sandsackbarrikaden für MGs, holzgedeckte Unterstände, halb in die Erde getriebene Depots, in denen Munition und Material gelagert waren, ein paar flache Holzbauten, in denen die dienstfreie Besatzung hauste.
Berteil, der hier den Fallschirmjägerobersten Gilles abgelöst hatte, nachdem dieser Na San gegen verschiedene Angriffe zu verteidigen gezwungen gewesen war, führte ein straffes Kommando. Das konnte Navarre auf Anhieb erkennen. Er merkte sich diesen Mann für künftige Aufgaben vor.
Na San war arg mitgenommen, wenn man genauer hinsah. Zwar waren die Geschütze und Maschinengewehre, die Granatwerfer und MGs intakt, aber das Gelände erinnerte an einen Sturzacker. Immer wieder während der Besichtigung riet Berteil dem General, sich tief zu ducken, die bewaldeten Hänge rings um den Stützpunkt steckten voller Vietminh, die jede Bewegung beobachteten.
Im vergangenen Dezember hatte es hier die letzten schweren Kämpfe gegeben. Aber der Stützpunkt hatte sich halten können. Navarre empfand das als eine beachtliche Leistung. Berteil dämpfte seine Begeisterung, indem er ihn vorsichtig darauf hinwies: »Mon Général, ich übernahm das Kommando von Gilles. Er gestand mir, er sei sich wie ein Fuchs in seinem Loch vorgekommen, um das die Jäger lauern. Inzwischen habe ich dieses Gefühl ebenfalls.«
»Aber Sie haben ausgehalten!«
»Mit Verlaub«, sagte Berteil, »wenn die Vietminh tatsächlich alles eingesetzt hätten, um uns auszuräuchern, dann hätten sie es geschafft. Sie haben statt dessen auf lang dauernde Zermürbung gesetzt, das ist zu erkennen. Wir sind isoliert. Haben keinen Einfluß auf den weiteren Fortgang des Krieges. Keine Patrouille kann sich über unsere Drahthindernisse hinauswagen. Meine Männer sind Nervenbündel geworden. Vergangene Nacht habe ich wieder drei ins Lazarett schaffen lassen müssen. Tobsucht, tropische.«
»Wie das?« Navarre stieß unwirsch mit seinem Gehstock, der bei höheren Offizieren in Vietnam zu einer Art modischem Statuszeichen geworden war, in einen Erdaufwurf.
»Die Vietminh schleichen in der Dunkelheit bis auf ein paar Dutzend Meter an unsere Posten heran und rufen: ›Komm heraus, Franzose, kämpfe! Wir wollen dich endlich töten!‹«
Zu klein, dachte Navarre, als er den Stützpunkt überblickte. Schon aus der Luft war ihm die Ausdehnung zu gering vorgekommen. Der Eindruck festigte sich nun. So viele Männer, die so wenig Territorium beherrschten und dabei gegnerischem Feuer ausgesetzt waren – das sollte nicht die Art sein, in der wir kämpfen! Wir müssen aus der Bewegung heraus zuschlagen können, dann sind wir gut und überlegen. Doch hier ist keine Bewegung möglich, hier sind gewissermaßen die Ellbogen an den Körper gepreßt. Das Territorium unserer festen Punkte muß größer sein. Viele Quadratkilometer brauchen wir, in denen wir operieren können, ausholen zum Schlag. Na San ist dafür nicht geeignet. Es läßt sich auch nicht erweitern. Wir müßten ganze Urwälder niederlegen, Schußfeld schaffen. Unmöglich, hier.
Navarre sagte es Berteil nicht, aber er entschloß sich während dieser Besichtigung, Na San aufzugeben. Eine nutzlose Art, Truppen zu binden. Er erinnerte sich an die weiträumige Mulde von Dien Bien Phu, die er kurz zuvor aus der Luft hatte sehen können. Dort sollte man operieren können! Dien Bien Phu müssen wir haben. Der Gedanke setzte sich in Navarres Kopf fest. Dien Bien Phu und Lai Chau, dazwischen Fernpatrouillen, die den Vietminh den Weg nach Laos verlegten, an der entscheidenden Stelle. Das erschien ihm als Lösung, um den generellen Befehl aus Paris zu erfüllen und Laos, mit dessen König Frankreich einen »Beistandspakt« hatte, vor dem Einfluß der Vietminh zu sichern. Kein strategisches Dreieck, sondern zwei Eckpfeiler, zwischen denen kein Durchkommen sein durfte.
Tief in Gedanken versunken, flog Navarre nach Hanoi zurück. Cogny kündigte er an, man werde Na San in absehbarer Zeit blitzartig räumen. Der neuernannte Divisionsgeneral wiegte den Kopf, als Navarre ihm seine Meinung über Dien Bien Phu schilderte. Er versuchte zu scherzen: »Wenn dieses verdammte Na San Räder hätte, könnten wir es einfach nach Dien Bien Phu rollen …«
Navarre faßte es weniger als Scherz auf; er sah darin die Zustimmung Cognys zu seinem Plan. Und er beauftragte ihn, zwei Aufgaben ins Auge zu fassen: Na San zu räumen und dann noch einen überraschenden Schlag gegen das tiefe Hinterland der Vietminh hoch im Norden zu führen, um Durcheinander in ihren Materialnachschub zu bringen, sie zu beschäftigen, während das Fernziel anvisiert wurde: der Ausbau Dien Bien Phus zum beherrschenden Stützpunkt, an dem sich die Vietminh die Köpfe einrennen sollten.
Wenn sie so reagierten, würden sie dort Kräfte zu einer größeren Feldschlacht versammeln. Das war die Chance, alle Überlegenheitsfaktoren der französischen Armee auszuspielen und den Vietminh die vernichtende Niederlage beizubringen, die sie zum Einlenken zwang. Er, Navarre, würde demnächst nach Paris reisen, um dort sein Konzept vorzutragen und die nötigen Verstärkungen anzufordern. Inzwischen hatte Cogny zu handeln. Der Schlag gegen die Vietminh-Logistik