Affentanz. André Bergelt

Читать онлайн.
Название Affentanz
Автор произведения André Bergelt
Жанр Короткие любовные романы
Серия
Издательство Короткие любовные романы
Год выпуска 0
isbn 9783954626526



Скачать книгу

kann mir ein Lachen nicht verkneifen.

      „Haha, du hast gerade ziehen gesagt.“

      Betty aber bleibt ernst.

      „Versprich es mir!“

      Ich hebe meine Hand zum Schwur und antworte: „Hiermit verspreche ich feierlich, mich ausschließlich auf meine Arbeit mit dir zu konzentrieren und allem anderen bis zum Ende unseres Projektes zu entsagen.“

      Bettys Miene hellt sich schlagartig auf. Der Raum erstrahlt in ihrem Lächeln, fast so, als hätte jemand einen 12-k W-Scheinwerfer zugeschaltet.

      „Also einverstanden, vorausgesetzt, ich kann sofort mit meinem Kram hier einziehen. Ach, und ein eigener Schlüssel wäre toll.“ Ich nicke zufrieden, greife in meine Jackentasche und fummle einen mit einer gelben Schleife drapierten Zweitschlüssel hervor.

       In der Folgezeit in unserem Atelier und auf den Straßen und Plätzen Berlins. Ich bin ich nur noch am Ackern und komme endlich mit meiner Arbeit voran.

      Bettys Anwesenheit gibt mir Sicherheit. Ich fühle mich nicht mehr so labil und getrieben. Meine Gedanken sind klarer, neue Bilder oder Ideen verunsichern mich nicht, sondern fügen sich nahtlos in Vorhandenes ein. Auch auf kurzfristige Erfolgserlebnisse bin ich nicht mehr so stark angewiesen wie sonst. Ich schaffe es, auf Drogen und schnellen Sex zu verzichten, selbst mein Begehren nach dem Toulouser hat sich verflüchtigt.

      Die Bande zwischen Betty und mir ist stärker als der trügerische Zauber meines Schwarms oder die künstlich von mir provozierten Hormonausschüttungen. Endlich führe ich das Leben eines asketischen Künstlers, der ausschließlich auf seine Arbeit fokussiert ist. Tagsüber tigere ich durch die Stadt, nehme an Straßenkreuzungen, auf Märkten und in Fabrikenhallen O-Töne auf. Nachts bereite ich die eingefangenen Atmosphären auf, mische ab und archiviere. Mein erstes Ziel ist es, einen unendlichen Pool an Tönen und Bildern zu erstellen, um später aus dem Vollen schöpfen zu können.

      Ich experimentiere mit diversen Motiven herum, versuche mich an neuen Kompositionen oder improvisiere einfach ins Blaue hinein. Auch meine Freunde beziehe ich in meine Arbeit mit ein. Jeder, der mich am Abend im Atelier besuchen kommt, darf mitmachen. Eddy und Luca spielen mit Bass und Keyboard eine Elektro-Hymne aus den frühen Neunzigern ein. Betty und ihre Mitbewohnerin Daria lassen es auf einer selbstgebauten Trommel krachen, und Lale und ihre kleine Schwester decken mich mit türkischen Popsongs und farbenfrohen Super-8-Aufnahmen aus ihrer Kindheit ein.

      Das stetig wachsende Material wird von mir digitalisiert und neu arrangiert. Ich bastele und probiere, kombiniere Altes mit Neuem, mische die so modellierten Sequenzen ab, verändere ihren Dynamikverlauf und jage Halbfertiges probehalber durch meinen Kompressor. Überzeugt mich eine meiner Ideen nicht, variiere ich den Entstehungsprozess und untersuche, wie sich Teile meiner Klangfragmente zu den von mir an Eddys Schnittprogramm vormontierten Bilderwelten verhalten.

      Mitunter bin ich so von meiner Arbeit begeistert, dass ich mich in selbstverliebten Schwärmereien verliere. In solchen Momenten tritt meine neue Muse auf den Plan. Ihr geschultes Gehör und ihr kritisches Auge holen mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Bettys Einwände und Fragen lassen mich besser verstehen, klarer hören und schärfer sehen. Dabei geht es Betty nie darum, mich zu demontieren oder mir zu zeigen, was sie besser kann. Im Gegenteil, immer wieder versichert sie mir, wie sehr sie meine Arbeit schätzt. Dabei achtet Betty darauf, dass mir mein Mut und meine Zuversicht nicht verloren gehen. Auch ich bin um Bettys Wohl bedacht, störe sie tagsüber nicht bei ihrer Arbeit im Atelier. Am Abend verwöhne ich sie mit Kreationen aus Lucas Küche und erlesenen Weinen aus Lales Lagerbeständen. Gemeinsam spazieren Betty und ich durch das nächtliche Berlin, diskutieren über die Macht der Musik und die Unendlichkeit menschlicher Fantasie.

       Betty und ich sitzen auf den Stufen des Schauspielhauses und trinken Wein. Vom Osten her weht ein warmer Wind. Der Mond scheint und taucht das Dach des Französischen Doms in ein weiches, silbriges Licht.

      „Ich habe als kleines Kind immer nur allem zugesehen oder zugehört. Worte und Wortgebilde waren für mich wie kleine Melodien. Ich hätte sie durchaus auch wiederholen können, aber irgendwas in mir war wie blockiert. Als ich im Alter von fünf Jahren noch immer kein Wort sagte, bekamen meine Eltern allmählich Angst.“

      „Du hast mit fünf Jahren noch kein Wort gesprochen?“, frage ich. Betty zuckt mit den Schultern und nickt.

      „So ist es. Meine Eltern waren völlig fertig. Sie hatten mich zu den verschiedensten Ärzten und Spezialisten geschleift, aber das Problem blieb bestehen.“

      Ich nicke und sehe Betty aufmerksam und gespannt an.

      „Nun, eines schönen Tages machte ich Urlaub bei meiner deutschen Oma. Das Radio lief, und da hörte ich ein wunderschönes Lied. Ich mochte es sofort. Es hatte eine verwegene, aber auch melancholische Melodie.“

      „Was für ein Lied war das?“, hake ich nach und frage: „Ich meine, welches Genre?“

      Betty zuckt wieder mit den Schultern, tut so, als wüsste sie es nicht.

      „Ich hatte mir lediglich die Melodie gemerkt. Und da ich das Lied wieder hören wollte, summte ich es meinen Eltern tagein, tagaus vor. Ich summte es am Morgen, am Mittag nach dem Essen, am Nachmittag beim Spielen und auch am Abend vor dem Schlafengehen. Irgendwann fiel bei meiner Mutter der Groschen. Sie wusste, wo sie suchen musste, und sie besorgte mir eine Schallplatte mit einer Aufnahme meines Liedes.“

      Betty sieht zu mir, ihre Augen glänzen.

      „Nun konnte ich mein Lied täglich hören. Ich hörte verträumt den Worten der Sängerin zu, summte fröhlich mit und eines Tages sang ich die erste Strophe. Als meine Eltern das hörten, waren sie sprachlos, denn meine ersten Worte sang ich auf Deutsch.“

      „Aber wie hieß denn das Lied nun?“

      Betty sieht zu mir, fast mich an der Schulter und singt: „Jeder kleine Spießer macht das Leben mir zur Qual, / ​denn er spricht nur immer von Moral. / ​Und was er auch denkt und tut, / ​man merkt ihm leider an, / ​dass er niemand glücklich sehen kann.“

      „Das ist doch von Zarah Leander. Mensch, da wäre ich aber auch nicht ohne weiteres drauf gekommen.“

      „Meine Eltern begriffen zumindest, dass mit mir alles in Ordnung war und das, obwohl ich so spät angefangen hatte, die Sprache als Kommunikationsmittel zu akzeptieren.“

      Ich nehme die Weinflasche zur Hand und schenke Betty in ihren Pappbecher nach. Wir stoßen an und trinken. Ich sehe zu Betty und lächle verschmitzt.

      „Als ich fünf Jahre alt war, hatten meine Eltern ein Grundstück in einer Datschen-Siedlung unweit von Strausberg zugewiesen bekommen. Die meisten der Pächter waren ranghohe Armeeoffiziere. Mein Vater arbeitete damals an der Bauakademie, wie er zu seinem Grundstück gekommen war, kann ich nicht genau sagen.“

      „War dein Vater Kommunist? Also, war er in der Partei?“

      „Ja, mein Vater war in der Partei, anfangs sogar aus Überzeugung. Er hatte den Krieg miterlebt. Sein großer Bruder war kurz vor Kriegsende von den Nazis eingezogen worden und kam nicht wieder. Mein Vater musste seiner Mutter beim Postaustragen helfen und sich als Bauhelfer verdingen, damit er und seine Geschwister halbwegs über die Runden kamen. Dann wurde ein neuer Staat gegründet. Mein Vater erhielt die Möglichkeit, die Schule zu beenden und sein Abitur zu machen. Kurz darauf bot man ihm an, im Ausland zu studieren und das, obwohl er aus einer armen Familie stammte. Ich denke, dass sich mein Vater von den damals propagierten Idealen sehr stark angesprochen gefühlt hat. Und er empfand gegenüber den Leuten, die ihm all das ermöglicht hatten, eine Verpflichtung. Aber ob man ihm deswegen ein Grundstück hinterhergeschmissen hat, wage ich zu bezweifeln.“

      „Verstehe, dein Vater hat an die Ideale einer kommunistischen Gesellschaft geglaubt.“

      „Tja, das haben wohl viele ein Stück weit. Insofern ist es schon bitter, wie sehr man diesen Demagogen, die ihre eigenen Ideale verraten haben, auf