Deutsche Geschichten. Группа авторов

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Название Deutsche Geschichten
Автор произведения Группа авторов
Жанр Историческая литература
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Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783954623525



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junge Frau, doch ganz von dem Typus, den man auf dem chinesischen Porzellan findet; dabei so stark geschminkt, daß das Gesicht einer unbeweglichen, emaillierten Maske gleicht. Sie ist sehr freundlich und schüttelt allen, die ihr vorgestellt werden, kräftig die Hand. Sie ist von ihrem Sohne, einem Jungen von zwölf bis dreizehn Jahren, begleitet, der Englisch und Französisch spricht und ihre Konversation verdolmetscht.

      …

      20. Mai. Wieder Visitentournee. Durch die Straßen vom Haag fährt es sich eigentlich immer wie durch Parkanlagen. Nicht nur im »Bosch«, wo das der Konferenz überlassene »Huis« steht, überall ragen die alten Baumriesen, überall leuchten die grünen Rasenplätze und überall tönt jetzt zu dieser blütenreichen Maienzeit liebliches Vogelgezwitscher. Fast jedes Haus hat einen Garten, und Zinshäuser sieht man nicht; im Villenstil oder wie kleine Schlößchen gebaut, so ist jedes Haus nur das Heim einer Familie. Natürlich gilt dies von dem vornehmen Viertel, das um das königliche Palais herumliegt und das von den Plätzen, wo die ersten Hotels (Vieux Doelen u. s. w.) stehen, bis nach Scheveningen führt.

      Unser Salon ist stets mit Besuchern gefüllt und vom frühen Morgen an Interviewer; heute unter anderen die Redakteure von »Frankfurter Zeitung«, »Echo de Paris« und »Black and White«.

      Aus Paris die Nachricht, daß bei Frédéric Passy die Operation so böse Folgen gehabt, daß nicht nur unerträgliche Schmerzen sich einstellten, sondern sogar das Leben des Patienten in Gefahr schwebt. Große Bestürzung in unserem ganzen Kreise. Von den lebenden Friedenskämpfern ist Frédéric Passy allen, die ihn und sein Werk kennen, unstreitig der geliebteste und verehrteste.

      Bei der heutigen ersten Plenarsitzung soll Herr von Staal bei seiner Ansprache die Ziele und die Richtung definieren, welche sein kaiserlicher Auftraggeber der Konferenz gegeben wünscht. Wie bedauerlich, daß der Presse der Zutritt verwehrt ist. Die Rede des Präsidenten müßte heute noch an alle Blätter der Welt telegraphiert werden.

      21. Mai. Pfingstsonntag. Dr. Trueblood aus Boston angekommen. Er erzählt, daß er mit Bestimmtheit wisse, die amerikanische Regierung habe ihrem Delegierten einen ganz ausgearbeiteten Schiedsgerichtsplan mitgegeben.

      Ein Bildhauer aus Berlin, Löher ist sein Name, zeigt uns das Modell zu einem Friedensdenkmal, das er gern in der Pariser Ausstellung von 1900 aufstellen wollte. So wird von immer mehr Seiten, in immer zahlreicheren Formen dem neuen Ideal gehuldigt.

      Daneben freilich, wie eingewurzelt, wie mächtig ist noch das alte Ideal – dasjenige des Krieges – ringsum verbreitet – bis in die hiesige Konferenz herein: man lese nur Professor Stengels Broschüre … Und was auch zu fürchten ist: Ideen schreiten langsam, Ereignisse schnell. Wenn ein Fall wie Faschoda, wenn der Streit in Transvaal plötzlich zu einem Konflikt führt, während die Konferenz noch tagt, wie würde dies ihre theoretische Arbeit zerstören!

      …

      22. Mai. Ein neuerliches »Wiedersehen« mit einem alten Bekannten, den ich nie gesehen: Charles Richet besucht uns und bringt Grüße von unserem armen Passy. Es ist Hoffnung vorhanden, daß er genese, aber nicht, daß er hierherkomme. Richet zeigt sich als großer Enthusiast unserer Sache.

      Ich wollte ihn zum Gabelfrühstück zurückhalten, er ist aber mit d’Estournelles beim französischen Gesandten eingeladen. Indessen erhalten wir eine Einladung zu einem Gabelfrühstück, das Frau Grete Moscheles dem amerikanischen Delegationschef und Botschafter in Berlin Andrew D. White gibt.

      Was uns D. White mitteilte, erfüllte die Anwesenden mit lebhafter Genugtuung:

      »Ich begehe keine Indiskretion«, sagte er beim Dessert, »wenn ich erzähle, daß wir schon in der ersten Sitzung der Schiedsgerichtskommission einen vollständigen Plan zu einem internationalen Tribunal vorlegen werden – und dies im Auftrag der amerikanischen Regierung. Noch darf ich die Details nicht geben – aber die Sache selbst wird und soll kein Geheimnis bleiben.«

      23. Mai. Jetzt kennt man trotz verschlossener Türen die Eröffnungsrede Staals. Ein englisches Blatt brachte den Wortlaut. Ich notiere daraus die besonders bedeutungsvollen Stellen:

      Der Name »Friedenskonferenz«, welchen der Instinkt der Völker, die Entscheidung der Regierungen vorwegnehmend, unserer Zusammenkunft gegeben hat, bezeichnet so recht den Hauptgegenstand unserer Bestrebungen; die »Friedenskonferenz« darf der ihr anvertrauten Mission nicht untreu werden, sie muß ein greifbares Resultat hervorbringen, welches die ganze Welt vertrauensvoll von ihr erwartet.

      … Es sei mir erlaubt zu sagen, daß die Diplomatie, einem allgemeinen Entwicklungsgange folgend, nicht mehr wie einst eine Kunst ist, in welcher die persönliche Geschicklichkeit die Hauptrolle spielt, sondern im Begriffe steht, eine Wissenschaft zu werden, mit fixen Regeln zur Schlichtung internationaler Konflikte. Das ist heute das ideale Ziel, das sie vor Augen haben muß, und unzweifelhaft wird es ein großer Fortschritt sein, wenn es der Diplomatie schon hier gelingt, einige jener Regeln festzusetzen.

      Daher werden wir uns auch in ganz besonderer Weise bemühen, die Anwendung des Schiedsgerichtes sowie der Mediation und der guten Dienste zu verallgemeinern und zu kodifizieren. Diese Ideen bilden sozusagen das innerste Wesen unserer Aufgabe, den allgemeinen Zweck unserer Mühen, nämlich, die internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel zu lösen.

      … Die Nationen haben ein glühendes Verlangen nach Frieden, und wir sind es der Menschheit schuldig und den Regierungen, die uns hier mit ihrer Vollmacht betraut haben, wir sind es uns selber schuldig, ersprießliche Arbeit zu vollbringen, indem wir die Anwendungsweise einiger der friedensichernden Mittel feststellen. Unter diesen Mitteln stehen voran: Schiedsgericht und Vermittlungsdienste.

      Charles Richet und sein Sohn frühstücken bei uns. Ein Wort Richets macht mir tiefen Eindruck: »Von allen Seiten müssen wir hören, die Zeit sei noch nicht da, unsere Ideale auszuführen. Mag sein – aber ganz sicher ist die gegenwärtige Zeit da, um ihnen vorzuarbeiten.«

      Nachmittag Besuch bei Frau von Okoliczany. Die Gesandtin – geborene Fürstin Lobanow – hat den Ruf, eine blendende Beauté gewesen zu sein. Ist noch immer schön. Gestalt, Schultern, Arme von statuenhafter Linienharmonie. Das weiße Cachemire-tea-gown, in dem sie uns empfing, hat offene Aermel, die den zarten, runden Arm frei lassen. Hände haben bekanntlich Physiognomien; die schönen Hände Frau von Okoliczanys begleiten ihre lebhafte Sprache mit – man könnte sagen – lebhaftem Mienenspiel, und die Armbewegungen reden mit.

      Ein Besucher kommt hinzu: Graf Konstantin Nigra. Sollte man es für möglich halten, daß dieser schlanke, hochgewachsene Mann mit dem dichten, leichtgelockten, noch immer blonden Kopfhaar, mit dem regelmäßigen, nur geringe Altersspuren aufweisenden Gesicht schon siebzig Jahre alt ist?

      Selbstverständlich wird auch von der Konferenz und ihren Zielen gesprochen. Graf Nigra macht den Eindruck, von der Größe der Aufgabe durchdrungen zu sein und Hoffnungen an die Ergebnisse zu knüpfen.

      Natürlich ist es Pflicht, nicht nur diplomatische, sondern beinahe Anstandspflicht, so zu reden. Man wird doch nicht an offiziellen – noch dazu geheimen – Beratungen teilnehmen und im Salon darüber geringschätzig schwatzen. Nur dem Freiherrn von Stengel war es zugefallen, zu einer Konferenz entsendet zu werden, deren Ziel er kurz vorher als »Duselei« verkündet hatte … aber von diplomatischer Selbstverständlichkeit abgesehen: man fühlt, was aufrichtig und überzeugt gesprochen wird, und ich habe den Eindruck: Graf Nigra wird ernste, eifrige Mitarbeit leisten.

      …

      25. Mai. Eine Karte wird mir gebracht: The earl of Aberdeen. Mit Lady Isabel Aberdeen, die dem kommenden internationalen Frauenkongreß in London vorsitzen wird, stehe ich seit einiger Zeit in Korrespondenz.

      Der Lord, gewesener Gouverneur von Kanada – noch ein junger Mann von großem schlankem Wuchs, mit kurzem schwarzem Vollbart –, bringt mir Grüße seiner Frau. Erzählt, daß er an der großen, von Stead veranstalteten Meetingkampagne regen Anteil genommen, bei den Kundgebungsversammlungen mitgesprochen hat. Charles Richet kommt hinzu. Auch einige deutsche Zeitungskorrespondenten, die bisher von der Friedenssache nur Ablehnendes gehört und geschrieben; die namentlich von dem Grundsatze