Deutsche Geschichten. Группа авторов

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Название Deutsche Geschichten
Автор произведения Группа авторов
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783954623525



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natürlich mit Ausschluß des Allzuprivaten, daher Uninteressanten.

      Dabei werden sich wohl auch Verhandlungstexte und weltpolitische Betrachtungen einstellen; denn wenn ich die Geschichte meines Lebens treulich wiedergebe, so gebührt diesen Dingen ein breiter Raum. Sie waren ja nicht zur zufälligen Stickerei, sondern zum Gewebe selbst meiner Existenz geworden. Was in der Friedenssache dafür oder dagegen in der Welt geschah – und namentlich was in jenen Haager Tagen geschah, die doch im Namen jener Sache einberufen worden –, das war mir nicht Erfahrung, es war mir Erlebnis.

      16. Mai. Ankunft im Haag. Die Stadt in Frühlingszauber getaucht. Heller Sonnenschein. Fliederdüfte in der kühlen Luft. Unsere Zimmer im Hotel bereit. Neun Uhr abends. Wir sitzen noch im Speisesaal. Der Korrespondent des »Neuen Wiener Tagblatt« läßt sich melden. Nehme ihn an, und er setzt sich zu unserem Tisch. Mit großer Heiterkeit beginnt er die Unterhaltung:

      »Habe eben mit dem Vertreter einer Großmacht gesprochen: Man ist sich ja so ziemlich im klaren über die voraussichtlichen Ergebnisse … Erweiterung der Genfer Konvention … «

      »Das wäre – wenn weiter nichts erreicht würde – ein arger Betrug an den Hoffnungen der Völker und auch eine Enttäuschung für den Zaren, dessen Wünsche sich auf das Schiedsgericht –«

      Der Korrespondent unterbricht mich lachend: »Darüber ist auch gesprochen worden … nun, das ist einfach kindisch … die Staaten würden einem Spruch, der ihnen nicht behagt, nicht Folge leisten.«

      »Der Fall ist noch kein einziges Mal vorgekommen.«

      »Weil bisher nur über Kleinigkeiten Schiedssprüche gefällt wurden – handelt es sich aber um vitale Fragen … «

      Also immer wieder die alten Argumente. Ich hörte sie schon ordentlich kommen, die »vitale Frage«, obwohl keiner recht weiß, was er sich dabei denkt. Was sollen denn diese »Lebens«angelegenheiten sein, die sich am besten durch hunderttausendfaches Totschlagen fördern lassen?

      

      18. Mai. Der 18. Mai 1899! Daß es ein weltgeschichtliches Datum ist, das ich da niederschreibe, von dieser Ueberzeugung bin ich tief durchdrungen. Es ist das erstemal, seitdem Geschichte geschrieben wird, daß die Vertreter der Regierungen zusammenkommen, um die Mittel zu suchen, der Welt »dauernden, wahrhaften Frieden zu sichern«. Ob diese Mittel in der heute zu eröffnenden Konferenz schon gefunden werden oder nicht, das entscheidet nicht über die Größe des Ereignisses. In dem Suchen liegt die neue Richtung!

      19. Mai. Der gestrige Tag verlief so: Des Morgens Gottesdienst in der russischen Kapelle zur Feier des Geburtstags des Zaren. Der Meine und ich sind dazu eingeladen. Es sind – der Raum ist klein – kaum hundert Menschen anwesend, die Herren in Galauniform, die Damen in lichter Toilette. – Das Hochamt beginnt. Andächtig und ehrfürchtig, alle stehend, folgen ihm die Versammelten. Mir ist, als sollte ich nicht für Nikolaus II. beten, sondern an ihn die Bitte richten: O du Kühner, bleibe stark! Laß den Undank und die Tücke und den Stumpfsinn der Welt nicht störend und lähmend zu dir dringen – wenn man dein Werk auch verkleinern, mißdeuten, vielleicht auch verhindern wollte – bleibe stark!

      Der Pope reicht das Kreuz zum Kusse: die Messe ist aus. Jetzt werden Begrüßungen und Vorstellungen getauscht. Lerne die Frau des Ministers Beaufort kennen.

      Fahrt zur Eröffnung. Strahlender Sonnenschein. Wie zu einem fröhlichen Prater- oder Bois-Korso fahren die zahlreichen Wagen durch die Alleen nach dem »Haus im Busch«. Am Gittertor leistet eine militärische Ehrenwache die Ehrenbezeugungen. Ich bin die einzige Frau, welcher der Zutritt gewährt wird.

      Was ich hier empfand … es war wie die Erfüllung eines hochfliegenden Traumes. »Friedenskonferenz«! Zehn Jahre lang ist das Wort und die Sache verlacht worden – ihre Teilnehmer, machtlose Privatleute, gelten als »Utopisten« (beliebteste, höfliche Umschreibung für »verrückte Käuze«) –, jetzt versammeln sich auf den Ruf des gewaltigsten Kriegsherrn die Abgesandten aller Machthaber, und ihre Versammlung führt denselben Namen: »Friedenskonferenz«.

      Aus der Eröffnungsrede des Ministers Beaufort notiert:

      Durch seine Initiative hat der Kaiser von Rußland den von seinem Vorgänger Alexander I. ausgedrückten Wunsch erfüllen wollen, daß alle Herrscher Europas sich untereinander verständigen, um als Brüder zu leben und sich gegenseitig in ihren Bedürfnissen zu unterstützen.

      Mir scheint, Nikolaus II. hat mehr gewollt; nicht um die Bedürfnisse aller Herrscher, sondern vielmehr aller Völker handelt es sich da. Die Rüstungen lasten auf den Völkern, nicht auf den Herrschern. Das sogenannte dynastische Interesse liegt eher in militärischem Pomp und dem Prestige der kriegerischen Gewaltfülle.

      Und weiter; Beaufort:

      Die Aufgabe der Konferenz ist, nach Mitteln zu suchen, um den unaufhörlichen Rüstungen ein Ziel zu setzen und die schwere Not, welche die Völker bedrückt, zu beendigen. Der Tag des Zusammentritts dieser Konferenz wird einer der hervorragendsten Tage in der Geschichte des endenden Jahrhunderts sein.

      Nach Beauforts Rede wird Botschafter Staal zum Präsidenten der Konferenz erwählt.

      Dann folgen die anderen Ernennungen – das Ganze dauert nur eine halbe Stunde – es sollte ja nur eine Eröffnungszeremonie sein. Die erste Sitzung wird für den 20. angesetzt und zugleich erklärt, daß zu den Verhandlungen die Journalisten nicht zugelassen würden. (Leider!)

      19. Mai. Bloch angekommen. Begrüßen uns als alte Freunde. Ein Sechziger, mit kurzgestutztem grauem Bart, heiterem und sanftem Gesichtsausdruck, mit ungezwungenem, elegantem Auftreten, durchaus natürlicher, einfacher Sprechweise. Ich frage ihn aus über die Aufnahme seines Buches von seiten des Zaren. Bloch erzählt, und die im Salon anwesenden Pazifisten und Publizisten lauschen mit Interesse:

      »Ja, der Zar hat das Werk eingehend studiert. Als er mich in Audienz empfing, lagen auf den Tischen die Karten und Tabellen des Buches ausgebreitet, und er ließ sich alle die Ziffern und Diagramme genau erklären. Ich erklärte – bis zur Müdigkeit, aber Nikolaus II. wurde nicht müde. Immer wieder stellte er neue Fragen oder streute Bemerkungen ein, die von seiner tiefen Anteilnahme, von seinem Interesse Zeugnis gaben. Also so würde ein nächster Krieg sich gestalten … das wären die Folgen? … «

      Das Kriegsministerium, dem ein Exemplar vorgelegt werden mußte, hat dem Kaiser Rapport erstattet und für Autorisation der Veröffentlichung gestimmt. In der Begründung hieß es: »ein so umfangreiches, fachmännisch-technisch gehaltenes Buch wird nicht viel gelesen werden, ist daher weit weniger gefährlich als der Suttnersche Roman ›Die Waffen nieder.‹ Da die Zensur diesen freigelassen, so mag viel eher Blochs ›Krieg der Zukunft‹ passieren.«

      Abends Rout bei Beaufort. So wie alle Routs in Hof- oder Diplomatenkreisen und doch so ganz anders! Etwas Neues ist in die Welt getreten – nämlich das offizielle Verhandeln des Themas »Weltfriede«, und das gibt notwendigerweise (ist es doch die Raison d’être des hiesigen Empfanges) den allgemeinen Gesprächsstoff ab. Eine Frage, die sehr allgemein als Anknüpfung der Unterhaltung benutzt wird, ist diese:

      »Was erwarten Sie von der Konferenz?«

      Auch an mich wurde diese Frage öfters gestellt, oder auch diese:

      »Sind Sie nicht glücklich, Ihre Hoffnungen so verwirklicht zu sehen?«

      »Ja, sehr glücklich, « konnte ich wahrheitsgetreu antworten; »daß so viel und dieses so bald geschehen werde, hatte ich nicht einmal gehofft.«

      Auf die andere Frage mußte ich erwidern, daß ich von dieser ersten Konferenz nur erwarte, daß sie ein Anfang, ein erster Schritt, ein gelegter Grundstein sein werde.

      Ich werde mit dem größten Teil der Anwesenden bekannt – auch mit dem Gesandten von China (der zugleich Botschafter am russischen Hofe ist) und seiner Frau. »In Petersburg habe ich viel von Ihnen sprechen gehört, « sagt mir Yang-Yü durch seinen Dolmetscher Lu Tseng-Tsiang, »so erzählte mir Graf Murawjew von seiner Unterredung mit Ihnen.«

      Die