Toter Kerl. Tim Herden

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Название Toter Kerl
Автор произведения Tim Herden
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783954620845



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nicht auch ein Verbrechen vorliegt. Das könnte also dauern. Noch Fragen?“

      „Wie bist du eigentlich hierhergekommen?“

      „Dein Nachbar.“

      „Malte?“

      „Genau. Er kam mit seinem Motorboot vorbei. Da ihr den Strand gesperrt habt, kommen die Schaulustigen mit allem, was schwimmen kann, und beobachten unser Treiben rund um den gestrandeten Pott eben von der Ostsee aus. Fittkau traute sich am nächsten heran. Da habe ich ihn gefragt, ob er mich nach Vitte bringen kann. Zwanzig Euro und die Sache war perfekt.“

      Rieder grinste über die Geschäftstüchtigkeit seines Nachbarn. Eigentlich betrieb er eine kleine Ferienpension, aber den einen oder anderen Euro verdiente er noch nebenbei mit selbst gemachter Marmelade, geräuchertem Aal oder „neuen“ Marktlücken, wie dem Transport von Polizisten mit dem eigenen Boot.

      „Gebauer ist weiter vor Ort, um das Boot freizuschleppen, wenn das mit den Luftkissen klappen sollte. Sieht aber gut aus. Der Wind hat gedreht und der Wasserstand steigt. Die Feuerwehrleute sind jedenfalls Feuer und Flamme.“ Behm lachte über seinen Gag, allerdings allein. „Ihr seid ja echt gut drauf. Aber ich mache euch noch eine Freude.“

      Holm Behm zog eine Plastikfolie aus seiner Jacke. Darin befanden sich ein Briefumschlag und ein Schreiben. „Ich habe das sicherheitshalber gleich mal eingetütet, falls es zum Äußersten kommt und unter mein Mikroskop geschoben wird.“ Damit reichte er die Hülle Rieder. Damp stand auf, um auch einen Blick auf das mutmaßliche Beweisstück zu erhaschen.

      Der Briefumschlag war an Jens-Uwe Schneider adressiert, der Poststempel stammte aus Stralsund. Aber es gab keinen Absender. Rieder las laut vor, was auf dem weißen Briefbogen stand: „Darum bekenne ich dir meine Sünde und verhehle meine Missetat nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Sünden bekennen.“

      Rieder sah Behm fragend an. „Der Anfang einer Predigt vielleicht?“

      „Und den hat sich der Herr Pfarrer selbst mit der Post geschickt.“ Behm tat so, als müsste er sich schütteln. „Rieder, enttäusch mich nicht! So lange bist du doch noch nicht auf der Insel. Allerdings trennt sich hier die Spreu vom Weizen, oder besser gesagt, der Atheist vom Christen.“

      „Ist aus der Bibel“, mischte sich nun Damp zum Erstaunen Rieders ein. „Weiß jetzt nicht ganz genau wo. Aber ist aus der Bibel. Ganz bestimmt.“

      „Eins! Setzen!“, spottete Behm, hob aber gleichzeitig anerkennend den Daumen.

      „Wo hast du’s gefunden?“, fragte Rieder.

      „In dem Buch, das auf dem Tisch lag.“

      Rieder las den Text noch einmal. „Na ja, Schneider war Pfarrer.“

      Behm wiegte seinen Kopf hin und her. „Keine Erklärung dazu. Keine Notizen, ob er es in eine Predigt einfügen wollte. Ich will ja mal nicht die Pferde scheu machen, aber das wirkt für mich eher wie ein Drohbrief.“

      „Wer sollte Schneider drohen?“, überlegte Rieder. „Einer der verrissenen Schriftsteller?“

      Behm zuckte mit den Schultern. „Das ist ja wohl eher euer Job, das herauszufinden.“ Damit wollte sich Behm verabschieden. „Ich würde versuchen, die Fähre nach Stralsund zu bekommen.“

      „Wart mal … Wir wollten Schneiders Daten abgleichen, um nachzuforschen, ob er noch Angehörige hat“, erzählte Rieder, „aber wir bekommen keinen Zugriff auf die Personendatei. Vielleicht ein technisches Problem?“

      „Gebt mir die Daten. Ich schaue, ob ich von unserem Computer in Stralsund mehr Glück habe.“

      Damp kopierte den Zettel und gab ihn Behm. „Melde mich ab. Falls es was Neues gibt, ruft mich an. Irgendwie ist das eine komische Geschichte.“

      VII

      Immer heftiger wurde der Wellengang auf der Ostsee. Der Wind drückte das Wasser an den Strand von Hiddensee. Und so gelang es den Feuerwehrmännern, durch die angebrachten Luftkissen die „Antonie“ so weit anzuheben, dass sie auf die offene See gezogen werden konnte. Kommandant Uwe Gebauer stand im Führerhaus der „Antonie“, gab über Funk Kommandos an seine Kollegen auf dem Polizeiboot, alle Klippen aus Findlingen und den Resten der alten Metallbuhnen zu umschiffen. Dann nahm der Konvoi Kurs auf Vitte. Dort wurde die „Antonie“ am Steg des Anglervereins festgemacht. Diese Anlegestelle war durch ein eisernes Tor mit Schloss vor dem Zutritt von Fremden geschützt. Jedenfalls von Land aus.

      Der Pfarrer allerdings blieb verschwunden. Birgit Thurow hatte auf Bitten von Damp alle Mitglieder des Gemeindekirchenrates abtelefoniert. Keiner hatte Schneider nach der Feier im Gerhart-Hauptmann-Museum gesehen oder gesprochen. Ansonsten kannte sie angeblich auch keinen Menschen weiter auf der Insel, zu dem Pfarrer Schneider näher Kontakt gehabt hätte. Seine engeren Bekannten seien die Schriftsteller gewesen, von denen einige zwar gestern zur Preisverleihung gekommen, aber nun auch schon wieder abgereist seien.

      Rieder war zu den alten Häusern der Leuchtturmwächter nördlich von Grieben gefahren, dieses Mal mit dem Polizeiauto. Sie lagen in einer Senke unterhalb des Bakenberges, auf dem der weiße Leuchtturm Dornbusch mit seiner roten Kuppe thronte. Die alten Backsteinhäuser waren zu Ferienwohnungen umgebaut worden. Doch die derzeitigen Mieter hatten in der Nacht keine Hilferufe vom nahen Steilufer gehört und es hatte auch niemand an ihre Tür geklopft.

      Auch in Grieben, der nördlichsten Siedlung auf Hiddensee, hatte den Pfarrer seit Sonntag niemand mehr gesehen. In den Gaststätten und in den Geschäften, überall nur Kopfschütteln und Schulterzucken, wenn Rieder nach dem Verbleib von Schneider fragte.

      Bökemüller war bei Rieders Bericht über die erfolglose Suche nach dem vermissten Pfarrer immer nervöser geworden. Er überlege, den Innenminister zu informieren, die Sache werde ihm langsam zu heiß.

      Rieder schwankte in seinen Gefühlen. Einerseits reizte ihn ein neuer Fall, andererseits hatte er keine Lust, sich mit Beamten und Hierarchen des Landeskriminalamtes von Mecklenburg-Vorpommern herumzuschlagen und von denen als Inselpolizist wie ein Laufbursche behandelt zu werden. Er war immerhin Kriminalhauptkommissar.

      Bökemüller und Rieder einigten sich, die Nacht noch abzuwarten und dann am nächsten Morgen eine Entscheidung über das weitere Vorgehen zu treffen.

      Es war schon früher Abend, als Rieder erschöpft von den Touren wieder ins Revier nach Vitte kam. Damp packte gerade seine Sachen zusammen. „Feierabend für heute“, meinte er. Rieder war noch etwas unschlüssig, was er tun sollte. Konnte er jetzt einfach nach Hause gehen, obwohl es immer noch keine Spur vom Pfarrer gab?

      Damp setzte seine Mütze auf und straffte die Uniform. „Was machen Sie?“

      Rieder zuckte mit den Schultern. „Sie können mich mit nach Neuendorf nehmen.“

      Das Polizeiauto kam nur langsam voran. Zu dieser Tageszeit waren nicht nur die Urlauber zwischen Neuendorf und Vitte unterwegs. Die meisten Pferdekutschen rollten wie eine Karawane in Richtung Inselsüden, nachdem sie die letzten Tagestouristen in Vitte oder Kloster zu den Ausflugsschiffen und Fähren gebracht hatten. Damp konnte nicht überholen und musste Schritt fahren, denn die Pferde machten kaum noch Tempo. Sie trabten nach dem langen Tag und mehreren Touren von Neuendorf im Süden bis ins Hochland beim Leuchtturm Dornbusch im Norden müde vor sich hin.

      „Kannten Sie eigentlich Pfarrer Schneider besser?“, fragte Rieder.

      „Kaum“, antwortete Damp, „wir hatten manchmal miteinander zu tun, wenn was los war oder er eine größere Veranstaltung hatte und nun bei der Vorbereitung der Preisverleihung, aber sonst …“, Damp räusperte sich. „Der hat mich doch auch nicht ernst genommen.“ Das klang bitter.

      „Ich habe ihn eigentlich auch nur einmal gesprochen“, meinte Rieder nachdenklich, „letzten Samstag. Und da wirkte er nicht wirklich glücklich. Trotz Preisverleihung.“

      Vor zwei Tagen hatte Rieder einen Streit zwischen dem Fernsehteam und den Fuhrleuten schlichten müssen. Der Übertragungswagen