Ostfriesenspieß. Wolfgang Santjer

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Название Ostfriesenspieß
Автор произведения Wolfgang Santjer
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264621



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keine gravierenden äußeren Verletzungen gefunden und die roten Schleimhäute im Mund zusammen mit den roten Leichenflecken deuten auf Einwirkung von Kohlenmonoxid hin. Diese rote Gesichtsfarbe haben wir ja schon oft gesehen, wenn sich jemand mit Auspuffgasen in seinem Auto vergiftet hat.«

      Jan nickte.

      »Jetzt die Hände«, fuhr Stefan fort. »Die Abschürfungen rund um beide Handgelenke: Handschellen, eindeutig. Die abgebrochenen Fingernägel und die Holzsplitter, zusammen mit den massiven Abschürfungen … Man mag es sich nicht vorstellen, aber es sind vermutlich Todeskampfspuren. Der Tote hat sich gegen einen Angriff gewehrt oder er wollte sich befreien. Ja, und dann dieser Ring … Sah zwar erst auf den zweiten Blick billig aus, passte somit aber nicht zur teuren Bekleidung.«

      Jan nickte anerkennend. »Und diese parallelen Abdrücke oder Einstiche im Nacken des Toten – hast du eine Idee?«

      »Ich komm nicht drauf, vielleicht wissen wir nach der Obduktion etwas mehr. Lass uns zur Dienststelle fahren. Wir müssen mit Brede sprechen, vermutlich kennen wir ja jetzt die Identität des Toten.«

      Unterwegs sprachen sie sich über das weitere Vorgehen ab.

      Tag 3, abends

      Stefan Gastmann parkte den Bulli der Spurensicherung in der großen Fahrzeughalle auf dem Polizeigelände. Sie nahmen die Alukoffer mit der Fotoausrüstung und den gesicherten Spuren heraus und gingen mit jeweils einem Koffer in der Hand ins Polizeigebäude. Im vierten Stock öffnete Jan die Tür zum Büro der Spurensicherung. Die Luft dort war wie immer stickig und roch stark nach Chemikalien. Als Erstes öffnete er ein Fenster, um den Mief zu vertreiben.

      Das Büro war durch eine Glasscheibe geteilt. Im größeren Teil des Raumes stand ein Drehstuhl an einer Wand, davor eine Kamera mit Stativ. Wie viele Verdächtige hatten schon auf diesem Stuhl gesessen …! Zunächst für die Fotos von allen Seiten, dann kamen die Fingerabdrücke.

      Jan und Stefan stellten ihre Ausrüstung auf einem Tisch ab und nahmen die Tüten mit den gesicherten Spuren aus den Kisten.

      Stefan begann, die verbrauchten Materialien im Koffer zu ersetzen. Jan schaute zu dem Computer in dem kleinen Nebenraum hinter der Scheibe hinüber. »Ich lege uns erst mal einen Vorgang im Computer an, damit wir eine Vorgangsnummer haben.«

      Er ließ die Tür offen und gab die ersten Daten ein. Die vom System generierte Vorgangsnummer notierte er für seinen Kollegen auf einem Zettel.

      Albert Brede kam herein, Stefan ließ seine Arbeit liegen und setzte sich zu ihm und Jan in den Nebenraum. Jan gab Stefan den Zettel mit der Vorgangsnummer und sah Albert auffordernd an.

      »Hier«, Albert Brede überreichte Jan die Vermisstenmeldung über den Vertreter Erich Schulte. Jan wartete vergeblich auf einen weiteren Kommentar und schaute in die Akte. Zum Vorgang gehörte auch ein Foto des Vermissten. Kein Zweifel: Es war der Tote vom Parkplatz.

      Stefan übernahm die undankbare Aufgabe, dessen Ehefrau zu informieren. Er telefonierte mit dem Notfallseelsorger und vereinbarte ein Treffen. Danach sollten Stefan und Albert die Spuren sortieren und mit der Vorgangsnummer beschriften.

      Jan ging zu seinem Vorgesetzten Dirksen und besprach die aktuelle Sachlage. Dann telefonierte er mit dem zuständigen Staatsanwalt Grohlich, einem Mann mit einer markanten Stimme und, wie Broning wusste, stattlichen Erscheinung. Grohlich ließ sich die Situation erklären und ordnete wie erwartet die Beschlagnahme und Obduktion der Leiche an.

      Jan saß nun wieder in seinem eigenen kleinen Büro. Die Tür zum Flur stand wie meistens offen. Er telefonierte mit der Leitstelle und vergewisserte sich gerade, dass der Mercedes des Opfers zur Fahndung ausgeschrieben war, als Stefan hereinkam. Jan zeigte auf einen Stuhl und beendete das Telefonat.

      »Na, wie schlimm war es bei Frau Schulte?«, fragte er.

      »Ich war froh, dass der Notfallseelsorger dabei war. Am schlimmsten ist es immer, wenn sie einen erst so ansehen, als ob es vielleicht doch noch Hoffnung gäbe. Aber die gibt es natürlich nicht. Dann fing Frau Schulte an zu schreien und trommelte mit den Fäusten auf die Brust vom Pastor.« Stefan atmete tief durch. »Der Pastor hat einfach super reagiert, der hat Frau Schulte einfach umarmt und sie fest an sich gedrückt. Dann hat sie sich etwas beruhigt und wir brachten sie in die Küche. So einigermaßen konnte man dann schon mit ihr reden. Die Ehe war nicht glücklich, sondern bestand nur noch aus Gewohnheit. Sie machte sich schreckliche Vorwürfe, denn das letzte Gespräch mit ihrem Mann war ein Streit per Autotelefon. Die Uhrzeit hab ich aus der Anrufliste. Ansonsten ist bei der Befragung nichts Wichtiges für unseren Fall herausgekommen.«

      Es lag noch viel Papierkram vor ihnen, bis sie die Lichter im Büro endlich ausschalten konnten.

      Stefan stand schon im Flur, als ihm einfiel, dass sie heute Morgen Jan von zu Hause abgeholt hatten. »Soll ich dich nach Hause fahren?«

      Jan Broning seufzte. »Nett von dir, aber ich soll mehr zu Fuß gehen. Es ist ja nicht weit.«

      Er verabschiedete sich, nahm die Treppen nach unten, ging durch die Schleuse und winkte den Kollegen im Wachraum zu. Draußen überquerte er die Georgstraße. Er ging die Stufen hinunter zum Hafen. Dort blieb er einen Moment stehen und sah über die Wasserfläche.

      In Gedanken war er mit Maike am Strand von Sankt Peter-Ording. Sie schauten auf die Nordsee hinaus. Seine Hand griff unbewusst nach dem Lederband mit dem Bernstein, das er seit der Kur um den Hals trug. Morgens hatte er an sie gedacht und jetzt ging der Tag zu Ende und wieder war er in Gedanken bei ihr. Er fragte sich, wo sie jetzt war und ob sie auch gerade an ihn dachte.

      Kapitel 4

      Tag 3, nachts

      Der Autobahnparkplatz war nur spärlich beleuchtet. Die Falle war wieder aufgebaut und brauchte, wie beim letzten Mal, nur noch zuzuschnappen.

      Diesmal hatte er zwei ungünstig platzierte Lampen zerstört. Die Stahlkugeln aus der Schleuder hatten die Kunststoffgehäuse und die Neonröhren ohne Problem durchschlagen.

      Gerd Hasler saß im weißen Transporter und überprüfte seine Ausrüstung. Eine gute Gelegenheit, das neue Nachtsichtgerät zu testen. Er sah den Rastplatz und das abgestellte Wohnmobil mit einem leichten Grünschimmer. Hasler legte das Gerät auf den Beifahrersitz und überprüfte den Elektroschocker. Es knisterte, und ein Lichtblitz entstand zwischen den Kontakten.

      Als er den Schocker zurücklegte, fiel der kleine Stoffbeutel mit dem Schmuck in den Fußraum. Er hob den Beutel auf, löste die Kordel und ließ Ringe und Ketten in seine Handfläche fallen.

      Auf den ersten Blick sahen die Schmuckstücke echt aus. Erst bei genauerem Hinsehen konnte man erkennen, dass es sich nicht um Gold, sondern um poliertes Kupfer und Messing handelte.

      Gegen die Erinnerungen, die jetzt auftauchten, konnte er sich nicht wehren.

      Vergangenheit 1992

      Brandenburg

      Seine Mutter und er hatten noch einige gute Jahre gehabt vor ihrem Tod. Leider hatte sie noch erleben müssen, dass sie ihren einzigen Sohn für zwei Jahre wegsperrten. Bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis, 1992, war er 24 Jahre alt. Die Wohnung seiner Mutter löste er auf. Nach dem Sperrmüll blieb ihm kaum mehr als die alte Wanduhr und der Schmuck. Dafür hätte er den Transporter nicht benötigt.

      Er brach alle Zelte in der Heimat ab. Die wenigen Wertgegenstände aus dem aufgelösten Haushalt seiner Mutter lagen zusammen mit allen Erinnerungsstücken in zwei Umzugskartons hinten auf der Ladefläche. Er wollte in Norddeutschland einen Neuanfang wagen. Mit der alten Heimat verband ihn nichts mehr.

      An den neuen Namen musste er sich