Ostfriesenspieß. Wolfgang Santjer

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Название Ostfriesenspieß
Автор произведения Wolfgang Santjer
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264621



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hergekommen? Das durfte doch nicht wahr sein. Na klar … die hintere Beleuchtung des Wohnmobils funktionierte nicht.

      Gerd griff zum Funkgerät: »Bleib cool. Der Bulle will dich sicher nur auf dein kaputtes Rücklicht aufmerksam machen. Folge ihm auf den Parkplatz. Ich bleib bei dir.«

      Tag 4, in den ersten Morgenstunden

      Drei Fahrzeuge fuhren auf den Parkplatz Rheiderland. Zuerst der Streifenwagen der Autobahnpolizei Leer. Dahinter das Wohnmobil. Mit etwas Abstand ein weißer Transporter.

      Der Streifenwagen hielt unter einer Straßenlaterne. PHK Berger stieg aus und gab der Fahrerin des Wohnmobils ein Zeichen, seitlich stehenzubleiben. Der weiße Transporter hielt mit einem Abstand von etwa 100 Metern zum Streifenwagen.

      Berger ging zur Fahrerseite des Wohnmobils und klopfte an die Seitenscheibe. Die Fahrerin sah aus, als hätte sie ein Gespenst gesehen. Langsam drehte sie das Fenster herunter.

      »Guten Abend. Mein Name ist Berger von der Autobahnpolizei. Ihr Licht hinten ist defekt.« Berger legte die Stirn in Falten, als ihm eine Parfümwolke entgegenschlug.

      Der gut aussehenden Dame am Lenker hatte es offensichtlich die Sprache verschlagen. Ihre Hände hielten verkrampft das Lenkrad. Die Frau war stark geschminkt. Ihr Overall passte dazu nicht.

      Merkwürdig.

      Berger versuchte, sie etwas zu beruhigen. »Bitte regen Sie sich nicht auf. Kein Grund zur Panik. Wir gucken uns das zusammen mal an. Steigen Sie doch bitte aus.«

      Immer noch keine Antwort. Vielleicht verstand sie ihn nicht?

      Aber dann löste sie mit zittrigen Händen umständlich den Gurt und öffnete die Fahrerhaustür. Sie gingen gemeinsam zur Rückfront des Wohnmobils.

      In diesem Moment startete der Motor eines Sattelzuges.

      *

      Der Lkw-Fahrer Henk Zijlstra hatte gerade seine vorgeschriebene Pause beendet.

      Henk hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, einmal um seinen Lkw herumzulaufen, bevor er losfuhr. Draußen auf dem Parkplatz legte er die Hände in den Nacken, bog seinen Rücken durch. Diese scheiß Bandscheibe quälte ihn nun schon seit einigen Jahren.

      Er stutzte. Dieses Lovemobil hatte er doch schon einmal gesehen. Der Streifenwagen gehörte zur Autobahnpolizei. Der Polizist unterhielt sich mit der ›Dame‹. Soweit Henk es sehen konnte, war der alleine unterwegs. Der will sicher auch einmal was Schönes vor Augen haben, dachte Henk. Denn schön war die Frau, da gab es keinen Zweifel.

      Eine merkwürdige Situation.

      Egal, er hatte einen Zeitplan einzuhalten. Henk stieg ins Führerhaus seines Lkw, löste die Feststellbremse. Als er sich auf der Autobahn befand, hatte er das merkwürdige Paar bereits vergessen.

      *

      Gerd Hasler beobachtete aus dem weißen Transporter heraus aufgeregt, wie der Sattelzug den Rastplatz verließ. Endlich! Seine Hand umklammerte den Elektroschocker. Er stieg leise aus, zog die Skimaske herunter und schlich zum Wohnmobil.

      *

      Berger sah nach unten zu den Leuchtenträgern des Wohnmobils. Alles dunkel, Totalausfall.

      In diesem Moment fielen ihm ihre schwarzen Lackstiefel auf.

      Das Wohnmobil, die gut riechende, geschminkte Dame mit den Lackstiefeln … das rote Herzchen mit Leuchtdioden an der Heckscheibe … Ich möchte wetten, dachte Berger, dass sie unter dem Overall so gut wie nichts anhat.

      Er hatte nichts gegen Damen ihres Gewerbes. Im Gegenteil. Er als Polizist ahnte, was passieren würde, gäbe es für viele Männer nicht diese Gelegenheit, Druck abzulassen.

      »Bitte«, sagte sie, »können Sie nicht einfach weiterfahren? Ich ruf meinen Freund an. Der bringt das bestimmt in Ordnung.«

      »Oh, Sie können ja doch reden.« Berger kniete sich vor den Leuchtenträger. »Vielleicht krieg ich das hier hin.« Er klopfte vorsichtig gegen das Rücklicht.

      Ihre Stimme klang flehend und sie drehte sich ständig nervös um. »Bitte, gehen Sie doch. Bitte!«

      Als Berger mühsam aufstehen wollte, bemerkte er einen schwarzen Klebestreifen, der lose vom Kennzeichen herabhing. »Was zum Teufel …?« Er bückte sich, sah sich das Kennzeichen genau an. Berger kratzte mit dem Fingernagel an den Zahlen und Buchstaben. Sein Gehirn kam nicht mehr dazu, den Gedanken zu beenden, denn ein starker Stromstoß im Genick sorgte für extreme Schmerzen und einen Blackout im Gehirn des Polizisten. Ohnmächtig sackte er auf dem Pflaster zusammen.

      *

      Jetzt musste alles schnell gehen. Im Transporter hatte sich Gerd Hasler einen Notfallplan ausgedacht.

      Er zog dem Polizisten die gelbe Dienstjacke aus. Wie erwartet, steckten die Schlüssel des Streifenwagens in der Hosentasche. In der Hemdtasche befand sich ein Handy. Bloß weg damit. Im Bogen flog es zwischen die Büsche der Grünanlage. Die Dienstwaffe nahm er an sich.

      Gerd sah Lisa an. Wie versteinert stand sie da. »Verflucht, reiß dich zusammen! Hier, nimm den Elektroschocker. Sobald er zu sich kommt, gibst du ihm noch einen Stromstoß. Ich lege ihm Handschellen an. Bin gleich zurück.«

      Er zog sich die gelbe Jacke des Polizisten über. Im Streifenwagen orientierte er sich kurz. Dann raste er mit aufheulendem Motor rückwärts zur Einfahrt des Parkplatzes und ließ den Wagen quer stehen. Er brauchte einen Moment, bis er das Blaulicht einschalten konnte. Nun hatten sie etwas Zeit gewonnen.

      Auf dem Beifahrersitz lag die Dienstmütze des Polizisten. Als Gerd danach griff, fielen ein Notizbuch und ein Handy in den Fußraum. Praktisch – am Notizbuch klemmte ein Kugelschreiber. Er nahm sich den Stift und schrieb: Ich habe die Frau meines Lebens gefunden. Ich hab keinen Bock mehr auf diese Scheiße.

      Gut sichtbar ließ er das Notizbuch auf der Konsole liegen.

      Sie hatten keine Zeit zu verlieren. Gerd lief zurück zu seinem Transporter. Kurz darauf hielt er sein Fahrzeug direkt hinter dem Wohnmobil an. Der Polizist lag zum Glück noch bewusstlos auf dem Pflaster. Gerds Hand legte sich um die Pistole.

      Sollte er den Polizisten an Ort und Stelle erschießen? Er sah Lisa kurz an. Nein, das würde sie nicht auch noch verkraften.

      Die Seitentür des Transporters quietschte, als er sie aufzog. Er räumte die Kiste frei.

      Ihre Stimme war rau, als sie sagte. »Er kommt zu sich!«

      »Gib mir den Elektroschocker.«

      Der Körper des Polizisten zuckte, als der Stromstoß durch die Muskeln raste.

      Er griff dem Mann unter die Achseln. »Los, pack an! In die Kiste mit ihm.«

      Wie in Trance griff sie die Fußgelenke des Bewusstlosen.

      Geschafft! Der Deckel der Kiste war verriegelt. Jetzt brauchte er nur noch das Ventil unter dem Transporter umzustellen.

      *

      Rolf Berger erwachte mit rasenden Kopfschmerzen. Sie schienen von seinem Nacken auszugehen. Er wollte sich aufrichten und stieß mit dem Kopf gegen den Deckel der Kiste.

      Er zwang sich, ruhig zu bleiben, als er die Handschellen fühlte. Seine Gedanken rasten. Was war geschehen? Wo war er? Ruhig bleiben. Denk nach!

      Soweit es die Handschellen erlaubten, tastete er seine Umgebung ab. An der rechten Seite fühlte er eine Art Lochwand, wie ein Sieb. Warme Luft strömte in die Kiste. Vielleicht komm ich an mein Taschenmesser am Gürtel ran, dachte Berger und versuchte es. Unerwartet ertasteten seine gefesselten Hände einen Beutel an der linken Seite. Er hielt ihn mit der linken Hand fest und tastete mit der rechten in den Beutel.

      Sein Verstand weigerte sich umzusetzen, was seine Hand fühlte. Ein abgeschnittener Finger.

      Entsetzt ließ Berger den Beutel fallen