New Hope City. Severin Beyer

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Название New Hope City
Автор произведения Severin Beyer
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783957771421



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Audreys Verwunderung betrat sie einen Raum. Zumindest kam ihr der Ort wie ein Raum vor, denn bei genauer Betrachtung war dies kein Zimmer im herkömmlichen Sinn. Weder gab es Wände, noch war eine Decke vorhanden. Denn anstelle von Stein und Mörtel wurde der bunte Boden vor ihr von Büschen und Bäumen eingerahmt, und wo das Dach sein sollte, begrenzte der viktorianische Glashimmel diesen Ort nach oben. Dennoch wirkte der Platz auf Audrey wie ein Zimmer.

      In der Mitte des Raums saß ein Mann auf einem Teppich, seine Beine im Schneidersitz verschlungen. Er rauchte aus einer kunstvoll geschwungenen Wasserpfeife. Seinen Kopf bedeckte ein Turban und ein weit ausladendes Gewand verhüllte seinen Körper. Hochgezogene Wangenknochen formten seine markanten dunkelhäutigen Gesichtszüge, die von einem sauber und kurz geschnittenen Backenbart eingerahmt wurden. Es war wie in 1001 Nacht. Sein stechender Blick musterte Audrey prüfend, ehe er zu ihr sprach:

      »Mein Name ist Omar.« Er machte eine Kunstpause »Ich weiß, wer du bist. Du hast Fragen, mehr aus Neugier als aus echtem Interesse. Ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber ich kann es nicht. Du bist nicht bereit für die Wahrheit. Nur wer bereit ist, die Hoffnung auf Glück und Zufriedenheit aufzugeben, kann die Wahrheit auch finden. Denn die Wahrheit nimmt keine Rücksicht auf den, der sie sucht. Sie ist auch dann wahr, wenn sie dem Suchenden nicht gefällt. Das ist etwas, das du nie begreifen wirst.«

      Audrey wollte erwidern, dass er sich dieses herablassende Gelaber sparen könne, sie sei schließlich kein Kind mehr. Doch er ließ sie nicht zu Wort kommen.

      »Trotz allem hattest du Glück: Du hast mich gefunden und darfst wieder gehen. Das können nicht alle von sich behaupten, die mich besucht haben.«

      Omar nahm einen tiefen Zug aus der Wasserpfeife. Dann atmete er eine Rauchwolke aus, die Audrey vollständig einnebelte. Das letzte, was sie von ihm sah, war ein bösartiges Lächeln, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.

      Sie riss ihre Augen weit auf. Audrey wollte schreien, aber ihr Mund war zu ausgetrocknet, sodass nur ein krächzendes Husten herauskam.

      »Na, wie war’s?«, meinte Harald abgelenkt. Er sah sich nicht nach ihr um, das Game fesselte ihn zu sehr. Eine überlebensgroße Kettensäge schredderte sich durch eine verschrumpelte Gestalt, die wohl einst menschlich war. Davon war aber nicht mehr viel zu erkennen, denn anstelle von Armen und Beinen besaß sie furchterregende Klauen. Aus dem verwesenden Mund des Zombies triefte grüner Geifer, der normalerweise die verbliebenen Kleidungsfetzen durchtränkt hätte, nun aber zusammen mit dem soeben abgetrennten Kopf durch die Luft wirbelte. Blut und Geifer spritzen über den gesamten Holobildschirm, den Harald auf die Größe der Wand der Wohnwabe maximiert hatte.

      Er musste schon eine ganze Weile Merowinger’s Revenge III – The Return of the Space Zombies zocken, denn bis zum Level in der Raumstation hatte es Audrey selbst noch nicht geschafft. Harald wechselte von der Kettensäge zum Plasmaflammenwerfer, als eine größere Zombiehorde auf ihn zurannte. Mit einer lässigen Handbewegung erzeugte er einen blau aufleuchtenden Feuerstoß, der die gesamte Gruppe verbrutzelte. Seine Gegner wälzten sich brennend auf dem Boden. Undefinierbare Zombieschmerzenslaute erfüllten die Luft, ehe die verschrumpelten Gestalten zu Asche zerfielen. Der leuchtende Schriftzug ›ZOMBASSAKER!‹ ploppte für einen Augenblick über die gesamte Bildschirmbreite hinweg auf.

      Audrey schäumte. ›Wie es gewesen war?‹ Sie hatte gerade einen stellenweise verdammt fiesen Trip erlebt und er schaffte es nicht einmal, sein blödes Game zu pausieren und sich zu ihr umzudrehen? (Und eigentlich war es ihr Spiel und wenn sie so darüber nachdachte, dann hatte der Wichser sicher ihren Spielstand benutzt und einfach von dort aus weitergespielt, ansonsten würde er jetzt noch irgendwo in der vergessenen sowjetischen Geheimbasis in der Tunguska herumgurken und wehe, er hatte ihren Spielstand überspeichert; Aber ganz sicher hatte er das, denn so angepisst, wie Audrey gerade war, war Harald – das größte Aas der Welt – sicher zu allem fähig, ansonsten hätte das Scheißloch sie auch nicht das Blue nehmen lassen …).

      »Du Schwanz, warum hast du mich nicht vor dem gewarnt, was mich da drinnen erwartet?«, fuhr sie ihn an. Harald zuckte vor Schreck zusammen. Ein schwerer Fehler, denn diesen kurzen Moment der Unachtsamkeit nutzte einer der größeren Zombiekreaturen sofort aus. Eine unförmige Pranke packte Haralds Spielfigur. Schon zoomte die Kamera aus dem Geschehen heraus, um einen besseren Blick darauf zu ermöglichen, wie der Zombie Haralds alter Ego (einen generischen, muskelbepackten Soldaten, der in einem Exoskelett steckte, das mehr an eine Ritterrüstung als an modernes militärisches Kampfgerät erinnerte, augenscheinlich der namensgebende Merowinger) in die Luft riss. Dann zoomte die Kamera wieder heran, um in Nahaufnahme zu zeigen, wie der Zombiekloss spektakulär den Kopf von Haralds Figur abbiss. Eine unrealistisch große Blutfontäne schoss aus dem Rumpf und verwandelte die Wabenwand in ein rotes Jackson-Pollock-Gemälde.

      »Was ist denn dir in die Vagina gefahren?«, fauchte er sie an »Ich habe dir doch gesagt, dass es beim ersten Mal n’bisschen strange ist.«

      »Aber doch nicht so!«, empörte sich Audrey heftig.

      »Das AlbinoBlue wirkt bei jedem anders, sorry. Aber du warst es doch, die es unbedingt ausprobieren wollte.«

      »Ja, aber nur weil du und deine Kumpels ständig davon geschwärmt habt.« Audrey fing sich wieder, nachdem sie ihre erste Wut losgeworden war. Ihr Tonfall klang fast entschuldigend.

      »Ist ja auch der krasseste Shit, den du kriegen kannst«, meinte Harald, nun seinerseits wieder versöhnlich »Das erklärt auch, warum du zwischendurch wie eine bescheuerte Schlafwandlerin durchs Zimmer geirrt bist«.

      »Es war absolut oberkrass. Der Trip hat sich so echt angefühlt. Alles war so klar, als ob ich gar nichts eingeworfen hätte.«

      »Was hast du denn erlebt?«, wollte er grinsend wissen.

      »Ich war in einem gigantisch großen Tropenhaus. Alles voller Pflanzen, die sahen total abgefahren aus. Wie so Sachen, die du im Traum siehst und dann wieder vergisst, wenn du aufwachst. Aber dann hat mich irgendetwas verfolgt …«

      Harald wurde hellhörig: »Hast du gesehen, was da hinter dir her war?«

      »Ne, habe ich nicht. Es war mehr ein Gefühl, als eine Sache, glaub’ ich mal. War dann auch plötzlich weg. Aber ich hatte echt kurz Schiss wegen des ›Fluch des Pharaos‹, von dem alle reden.«

      »Echt jetzt?«, Harald lachte zu laut »Das mit dem Fluch ist nur so’n Scheiß, den sich die Leute erzählen, um kleinen Kindern Angst zu machen.«

      »Aber in den Nachrichten reden sie doch überall von diesen Morden.«

      »Ach, die haben doch nichts mit dem Blue zu tun. Das ist alles Panikmache«, meinte er achselzuckend »Die suchen nur einen Sündenbock, weil sie bis jetzt noch niemanden geschnappt haben.«

      »Hm …« Audrey klang nicht sehr überzeugt. In ihrer Hand hielt sie die Verpackung, in der das AlbinoBlue gewesen war. Dein Weg zur Erleuchtung stand darauf.

      »Wie war es denn bei dir?«, wollte sie von ihm wissen.

      »Was meinst du?«

      »Den Trip meine ich.«

      »Ich war in keinem Gewächshaus, das kannst du mir definitiv glauben. Ich bin nicht so der Pflanzentyp.«

      »Das meine ich nicht. Bist du auch verfolgt worden?«

      Verlegen sah Harald an die Decke. Er schwieg einen Augenblick, ehe er antwortete: »Das erleben alle das erste Mal. Aber du kannst mir glauben, das kommt nicht wieder. Ist wahrscheinlich eine Nebenwirkung, weil sich dein Körper erst einmal an das Blue gewöhnen muss. Bekommt man halt Verfolgungswahn. Ab jetzt wirst du nur noch cooles Zeug erleben, dafür lohnt sich die Paranoia.«

      Audrey antwortete nicht. Anscheinend hatte sie der Trip mehr mitgenommen, als er angenommen hatte. Harald überlegte, wie er sie wieder auf andere Gedanken bringen konnte. Schließlich meinte er unvermittelt:

      »Woll’n wir noch n’bisschen Mero III zocken? Ich bin kurz vor dem Endboss, kann echt nicht mehr lange dauern. Danach könnten wir doch den Multiplayer ausprobieren«

      Sie