Das Geheimnis der Letzten. Fritz Binde

Читать онлайн.
Название Das Geheimnis der Letzten
Автор произведения Fritz Binde
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783958932715



Скачать книгу

Wenn man so vereinsamt ist, wie ich es bin! Wenn man niemanden hat, dem man sein Inneres offenbaren kann! O ich sage Ihnen, immer dieser erbärmliche Erwerb! Immer in der Abwehr gegen Abscheulichkeiten! Ja, unglaublich, gegen welche Abscheulichkeiten! Betrug, Unterschlagungen, Hintergehungen Veruntreuungen! Begangen von Leuten, denen sie jahrelang blindes Vertrauen geschenkt haben! Und Sie kommen durch dieselben Leute um Ihr Geld!“

      Gerade brachte das Mädchen den Wein und die Gläser.

      Das brachte den reichen Winkels wieder zu sich.

      „Lassen Sie einmal sehen, Käthe, ob es der richtige ist!“ fragte er plötzlich gesammelt, hielt die Flasche, als ob er jetzt ganz gut sähe, ins letzte Licht des Tages, schickte mit einem knappen Wort das Mädchen fort und begann trotz der Dämmerung mit gewandter Hand die Gläser zu füllen, dabei redend: „… ja, was wollte ich doch sagen?“ Auch das zweite Glas füllte er. „Ja, … na, was wollte ich doch sagen …? Da sehen Sie!“– entsetzt stieß er die Flasche auf den Tisch – „Da sehen Sie! So verlässt mich mein Gedächtnis oft vollständig! Ich sage Ihnen: Ich werde total aufgerieben in diesem Kampf! Mein Kopf ist wirr“ – schlenkernd fingerten die Hände über die Glatze hin – „mein Kopf ist … ja, ich weiß überhaupt manchmal nicht mehr, ob ich noch einen Kopf habe, sehen Sie …“ Blöde hielt er das dunkelrote Gesicht vor Franzens Augen, als offenbare er die unglücklichste Geistesleere, dann senkte sich das Gesicht und wurde dabei misstrauisch matt. „Aber wir haben ja noch nicht getrunken!“ belebte er sich im nächsten Augenblick. „Zu Ihrem Wohl! Dass Sie noch viele – Sonnenfahrten machen! So wie heute!“ Die kupfern glänzenden Wangen versuchten ein aufgeräumtes Lächeln, aber es blieb ärmlich.

      Das Glas hinstellend, befühlte er jetzt ängstlich die gerötete Stirn und redete: „Eigentlich sollte ich ja keinen Wein trinken … Sie sind doch auch gegen den Alkohol, nicht wahr? Man muss vom sozialethischen sowohl als vom sozialhygienischen Standpunkt aus absolut …“ Und nun hielt er eine lange Rede gegen jeglichen Alkoholgenuss und trank dazwischen. Ebenso absolut sprach er gegen die Unsitte des Rauchens, aber auf seinem Schreibtisch sah Franz eine mit Aschenhäufchen bedeckte messingene Rauchschale blinken. Schließlich kam er auf die rohe Abscheulichkeit des Mordens unserer lieben Mitgeschöpfe, der Tiere, zu sprechen. „Der Metzger, die Jagd!“ ereiferte er sich. „Nur dass der Mensch lüstern fressen kann! Es ist unerhört! Sie enthalten sich doch auch des Fleischgenusses?“

      Franz besah den beleibten Mann, der im Hinschwinden des Abendlichts mehr und mehr zum Schatten wurde, und sprach: „Soviel wie möglich. Ich möchte Herr über jedes Bedürfnis werden, das mir den Weg zum Leben versperrt.“

      „O …“ machte Winkels – und der Ton war halb für, halb gegen den Radikalismus – „da müssen Sie unsere gesamten Verhältnisse umändern!“ Und nun beschrieb er sehr gut die soziale Lage und Frage, die „blinde“ Hetze nach Macht und Mammon, den brutalen Materialismus den allgemeinen Raub und Betrug, die „Scheußlichkeiten“, die er selbst hatte erleben müssen, und schloss, indem er sich den Kopf hielt: „Sehen Sie, da müsste ein Feuer angezündet werden auf Erden, ein Feuer, wie heißt es doch gleich in der Bibel? Ein Feuer … ‚was wollte ich lieber, denn es brennete schon?‘“ Bewegt tastete er nach dem Glase und trank. „Ein neues Gewissen“, fuhr er fort. „Ein neues Gewissen auf Grund der alten Evangelien! Endlich einmal hilfsbereites, ernsthaft praktisches Christentum! Beileibe keine Dogmen mehr, aber die Ethik Jesu modern-sozial praktiziert! Modern-sozial! sage ich. Sehen Sie, ich habe damit begonnen“ – er redete leiser – „ich habe nahezu meinen gesamten liegenden Grundbesitz parzelliert. Ich will Einfamilienhäuser bauen lassen. Billig und hübsch. Meine Mitmenschen sollen heraus ins Grüne. Die öde Großstadt, die hohen Mieten für lichtlose Wohnungen, das alles soll aufhören. Jeder soll im eigenen Heim auf eigenem Grund und Boden wohnen, glücklich und frei. Was ich bei diesem Unternehmen verdiene, werde ich zu weiteren humanitär-sozialen Zwecken verwenden“. Alles an ihm war jetzt Energie und Leben.

      „Und wieviel wird das sein?“ fragte Franz plötzlich.

      Die Lebendigkeit des beweglichen Schattens hörte auf.

      „Das wird … Ich habe mir die Sache auf rund fünfzigtausend Mark berechnet“, hörte Franz den reichen Winkels leise sage.

      „Und was wollen Sie denn mit den fünfzigtausend Mark anfangen?“ fragte Franz, sich höher reckend.

      „Was ich damit anfangen will …?“ Die Stimme klang ganz verändert hart und misstrauisch. „Nun, ich habe es Ihnen ja bereits gesagt: In neue soziale Unternehmungen werde ich sie stecken.“

      „Um weitere fünfzig- oder hunderttausend Mark zu verdienen?“ fragte Franz kalt.

      „Warum nicht?“

      „Wozu?“

      „Wozu?“ Der immer plumper gewordene Schatten krümmte sich jetzt, wand sich. „Nun, wozu man schließlich überhaupt Geld verdient: um leben zu können! Aber, was wollen Sie?“ schrie er ins Dunkel.

      „Sie können noch immer nicht leben?“ fragte Franz ruhig. „Dann werden Sie auch mit den weiteren hunderttausend Mark nicht leben können.“

      „Ja, es tut mir leid“, rief der Schatten aus. „Aber was meinen sie denn, was ich jetzt besitze? Wir haben keine Kinder! Wir haben niemanden, der im Alter für uns sorgt. Meine Verhältnisse zwingen mich zum Verdienen.“

      Franz stand auf. Mit dem Fuße stieß er den Sessel beiseite. „Ihre Verhältnisse …? Ihre Verhältnisse, das sind Sie selber! Die Verhältnisse, das ist unsere Einbildung, unsere Kleingläubigkeit unsere Furcht! Der armselige Wahn, dass man ohne dies und jenes nicht leben könne! Der elende Aberglaube, dass unser Glück von äußeren Dingen komme! Unsere Verhältnisse, das sind unsere verrückten Bedürfnisse! Das ist das erbärmliche kleine Leben, das wir ächzend nachschleppen! Das ist das gezwungene Dasein, das unsere Seele ruiniert und traurig oder wild macht! Das ist die lumpige Angst, die Jesus meinte, als er sagte: ‚In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!‘“

      Der reiche Mann setzte sich.

      „Nun“, sagte er nach einer Weile, „ich kann Ihnen sagen: Sie werden mit diesen Anschauungen nicht durchs Leben kommen!“

      „Wenn ich nichts anderes wollte als durchs Leben kommen“, antwortete Franz, „dann ja! Aber ich will zum Leben kommen, und wenn ich dies Leben, das Sie meinen, gleich dabei verlöre. Denn das Leben, das Sie leben, ist gar kein Leben; das wissen Sie selbst: Das ist der Tod! Was verliert man am Toten? Das wahre Leben hat, wer sprechen kann: ‚Und nehmen sie uns den Leib, Gut, Ehr' Kind und Weib, lass fahren dahin, sie haben kein Gewinn! Das Reich muss uns doch bleiben!‘“

      „Das ist heilloser Wahn und schwärmerischer Fanatismus“, sagte der Schatten im Sessel.

      „Nein, das ist alleiniges Heil, alleinige Liebe, alleiniger Reichtum“, sagte Franz, der inzwischen aufgestanden war.

      „Wir sind nicht da zu behaglicher Seligkeit“, tönte es vom Sessel her. „Wir sollen auf dem schmalen Weg im Schweiße unseres Angesichts unser Brot verdienen.“

      „Ganz recht: unser tägliches, von Gott geschenktes Brot! Das soll jedem werden und wird jedem, der aus Gott lebt. Aber nicht noch drei Häuser dazu, ein Landgut und in einigen Monaten an die hunderttausend Mark im Wucher mit einem Stück Erde! Denn damit vermehrt man nur den Fluch der Sünde und bringt Schweiß auf sein eigenes und der Menschen Angesicht, den Gott nie gewollt.“

      „Nun, wenn Sie das Wucher nennen …! Ich sage Ihnen: Ohne Planen und Wagen mit Geld gäbe es überhaupt keine Kultur noch Fortschritt!“

      „Ich kenne nur einen Fortschritt: unser Fortschreiten in der Vollendung zu Gott. Schließlich mag auf diesem Wege auch die europäisch – amerikanische Kultur liegen; es ist möglich. Mir aber scheint sie eher ein Umweg, ja ein Irrweg zu sein als ein Weg zu Gott.“

      „Und draußen am Tore steht Ihr modernes Rad!“

      „Gut! Nur etwas bleibt sonderbar: Alle Welt hofft durch Kulturarbeit, durch Technik und Fortschritt Zeit und damit ein intensiveres Leben