Die Wiege des Windes. Ulrich Hefner

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Название Die Wiege des Windes
Автор произведения Ulrich Hefner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264225



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nicht zu spaßen.«

      Larsen nickte und trat hinaus in die Kälte.

      *

      »Das ist der Preis dafür, dass man hier draußen in aller Ruhe wohnt«, sagte der Polizist und nahm die Kamera vors Gesicht.

      Das Blitzlicht schmerzte in Cordes Augen. Mit einem Kopfschütteln besah er sich das Zimmer. Die Schubladen der beiden Schränke waren herausgerissen und mit dem Inhalt auf dem Boden verteilt. Die alte Stehlampe lag in der Ecke, der Tiffanyschirm war zerbrochen. Corde atmete tief ein. Die Stehlampe bedeutete ihm viel. Es war die einzige Hinterlassenschaft eines verstorbenen Freundes.

      Die Einbrecher hatten ganze Arbeit geleistet und sogar den Stoffbezug des Sofas mit einem Messer aufgeschnitten. Die wenigen Bücher aus dem Regal lagen zerfleddert daneben. Corde fuhr sich mit der linken Hand durch die Haare. Die rechte Hand steckte in einem dicken Gipsverband.

      »Oben sieht es genauso aus«, sagte er. »Ich frage mich, wer so etwas macht? Haben die etwas Bestimmtes gesucht?«

      »Da gibt es genug, die dafür in Frage kommen«, antwortete der Polizist und fotografierte erneut. »Und die suchen immer nach etwas Bestimmten. Geld und Wertsachen. Da gibt es die tollsten Verstecke. Und Ihnen fehlt wirklich nichts, sagen Sie?«

      Hilko Corde schüttelte den Kopf. »Ich besitze nichts und ich vermisse auch nichts. Schauen Sie sich das Haus an. Sieht es aus, als ob hier drinnen Reichtümer verborgen wären?«

      Der Polizist nickte verlegen. »Das kann man nie wissen. Und Junkies geben sich auch mit wenig zufrieden. Hauptsache, das Geld für den nächsten Schuss springt heraus.«

      Cordes Handy klingelte. »Entschuldigung«, murmelte er und ging in den Flur. Er drückte umständlich den grünen Knopf mit dem Telefonsymbol und meldete sich.

      »Hallo, Hilko, ich bin es«, drang Larsens Stimme aus dem Lautsprecher. »Ich habe nur wenig Geld. War Rike schon bei dir? Hast du ihr den Brief gegeben?«

      »Rike? Mensch, Junge, ich habe andere Sorgen. Bei mir ist gerade eingebrochen worden. Alles durchwühlt. Sogar das Sofa haben die Kerle aufgeschnitten.«

      »Hast du überhaupt schon mit ihr gesprochen?«

      »Junge, ich sagte doch, ich habe gerade andere Sorgen.«

      Ein greller Signalton unterbrach Corde. Er schaute ratlos auf das Display. Das Gespräch war abgebrochen. Corde ging kopfschüttelnd zurück in das Zimmer.

      Der Polizist packte den Fotoapparat wieder ein. »Sie gehen mit der Zeit und haben ein Handy«, stellte er überrascht fest.

      Corde lächelte. »Ich mache im Sommer Kutterausflüge ins Watt und wenn der Herbst kommt, fahre ich Gesellschaften oder einzelne Fahrgäste, manchmal auch Waren hinaus auf die Inseln. Ein Handy ist da Gold wert. Ich bin nicht oft hier zu Hause.«

      Der Polizist deutete mit dem Kopf an die Decke. »Dann werde ich mich jetzt mal um das Chaos dort oben kümmern. Aber ich will Ihnen keine Hoffnungen machen. Spuren habe ich nicht gefunden. Wahrscheinlich trugen sie Handschuhe.«

      Corde nickte und griff sich an den rechten Arm. Die Schmerzen kehrten langsam zurück.

      *

      Larsen legte nachdenklich den Hörer zurück auf die Gabel. Hatte er richtig gehört? Hatte Onkel Hilko wirklich gesagt, dass bei ihm eingebrochen worden war? Larsen suchte nach Kleingeld, doch außer einem Zehnmarkschein in der Hosentasche hatte er nichts bei sich. Er musste unbedingt zurück aufs Festland, aber die Frachtfähre würde erst morgen früh wieder anlegen. Und das auch nur, wenn sich das Wetter nicht wieder verschlechterte.

      Er rieb mit den Fingern über den Zehnmarkschein. Hing der Einbruch bei Corde mit dem angeblichen Forschungsschiff zusammen?

      Er überlegte, ob er das Geld wechseln sollte. Er wollte mit Rike telefonieren. Larsen ging zu dem kleinen Laden an der Ecke. Im Sommer tummelten sich in dieser Straße die Touristen, da gab es nicht einmal Sitzplätze in den Straßencafés. Jetzt wirkte das Dorf wie ausgestorben.

      Hatte Töngen Recht? Suchten die Kerle im Boot tatsächlich nach ein paar versenkten Containern mit Rauschgift oder sogar nach radioaktivem Material? Wenn die Russenmafia dahintersteckte, hätten die längst herausgefunden, wem der Kutter gehörte, von dem sie dort draußen abseits des Mellumer Fahrwassers im Roten Sand beobachtet worden waren. Schließ­lich stand der Name Molly in großen Lettern am Bug. Wenn sie in Hilkos Haus eingebrochen waren, dann hatten sie sich bestimmt auch schon den Kutter vorgenommen. Ob sie das Versteck gefunden hatten? Er schüttelte den Kopf. Nein, das Versteck auf dem Kutter war einfach zu gut, nicht einmal Hilko selbst würde es entdecken. Die Beute seines nächtlichen Besuches auf dem Kreuzer musste ja sehr wichtig für die Kerle sein, wenn sie danach suchten. Welches Geheimnis verbarg sich dahin­ter? Wenn ihm jemand helfen konnte, dann war es Rike. Doch die trieb sich in dem Greenpeace-Camp rum und spielte Umweltaktivistin.

      Manchmal fand er sie naiv. Sie glaubte noch immer, dass man mit Sprüchen und Protestaktionen die Welt verändern konnte. Doch auf der anderen Seite war sie intelligent. Und stark. Er erinnerte sich noch daran, wie sie einem aufdringlichen Verehrer mit ihren fernöstlichen Kampfkünsten fast den Arm gebrochen hatte. Du frigide Zicke, hatte der Kerl sie angebrüllt, als er in der schlammigen Pfütze lag, nachdem sie ihn mit einem eleganten Fußfeger zu Boden gebracht hatte. Rike war weder frigide noch war sie ein Mannweib, wie die anderen Kerle aus der Gruppe damals behauptet hatten. Sie wusste, was sie wollte. Vielleicht fehlte sie ihm auch deshalb so sehr. Er musste unbedingt mit ihr reden.

      Die Ladenglocke bimmelte zweimal, der Verkaufsraum war leer. Bier und etwas zu essen brauchte er jetzt. Dafür genügte sein Zehnmarkschein, aber wenn er danach noch mit Rikes Handyanschluss telefonieren wollte, würde es kaum für ein »Hallo, wie geht’s dir« reichen. Sinnlos.

      Morgen würde er diese Insel verlassen. Er musste in Erfahrung bringen, was es mit diesem ominösen Einbruch auf sich hatte. Vielleicht war alles nur ein dummer Zufall.

      2

      Sie kamen im Schutz der Dunkelheit. Seit Stunden hatten sie das schäbige Haus in der Ahrstraße belauert, wo der ehemals weiße Putz graue Ränder trug und von der Wand bröckelte.

      Die hölzerne Eingangstür war unverschlossen. So wie an jedem Tag. Sie waren gestern schon einmal hier gewesen. Ihn hatten sie nicht angetroffen. Er blieb verschwunden, als wüsste er, dass sie nach ihm suchten.

      Die Treppen knarrten, als sie ungesehen die vier Stockwerke nach oben gingen. Er hatte unter dem Dach ein kleines Zimmer mit einer Dusche und einer Kochnische. Zu mehr hatte er es nicht gebracht. Ein Versager, ein Niemand. Er hatte noch nichts in diesem Leben geleistet. Er hatte die Zeit, die ihm gegeben war, damit zugebracht, Farbbeutel gegen Wände zu werfen und Leuten auf die Nerven zu fallen. Das alles wussten sie, denn sie hatten sich über ihn erkundigt. Sie hatten ihre Quellen, und es gab keinen Zweifel: Niemand würde ihn vermissen.

      Die altersschwache, gelb gefleckte Holztür war kein Hindernis. Sie brauchten knapp dreißig Sekunden, bis das Schloss aufsprang. Abgestandene und modrige Luft empfing sie. Das Zimmer lag im Dunkeln. Direkt neben dem Eingang war das Bad, gegenüber die Garderobe, an der zwei schäbige Jacken hingen. Der Strahl ihrer Taschenlampen huschte kurz darüber. Einer von ihnen durchwühlte die Taschen, die anderen machten sich über das Zimmer her. Bedächtig öffneten sie die Schubladen, vorsichtig durchsuchten sie die Schränke und den Schreibtisch. Niemand sollte bemerken, dass sie hier gewesen waren.

      In der rechten Ecke stand ein alter Mahagonischreibtisch. Viel zu wuchtig für den kleinen Raum, in dem sich noch die Kochnische, das Bett und eine Couch befanden.

      »Schau dir das an!« Der Größere deutete auf eine Weltkarte über dem Schreibtisch. Mit einem roten Stift waren Markierungen und Daten eingezeichnet. In der Arktis und Antarktis, in Südamerika, im Persischen Golf, in Russland und an der Nordseeküste befanden sich solche roten Punkte, die bei genauer Betrachtung einem Totenkopf ähnelten.

      Der Kräftige zog einen Packen Papiere mit aufgeklebten Zeitungsartikeln aus einem Regal und überflog die Überschriften. Es waren Artikel