Die Wiege des Windes. Ulrich Hefner

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Название Die Wiege des Windes
Автор произведения Ulrich Hefner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264225



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seinem Haus, das einsam etwas außerhalb des Ortes lag. Nach wenigen hundert Metern tauchte das von zwei hohen Birken flankierte Häuschen hinter den braunen Hecken auf. Corde steuerte seinen Wagen auf den geschotterten Hof.

      Schon als er auf die Haustür zuging, fiel ihm auf, dass etwas nicht stimmte. Sie stand einen Spalt breit offen und in dem kleinen Rechteck oberhalb der Klinke, wo sich normalerweise eine in einem Holzrahmen eingefasste Glasscheibe befand, gähnte ein schwarzes Loch. Er blieb stehen und schaute sich um. Die Stille wirkte beängstigend, nur der aufkommende Wind raschelte in den wenigen welken Blättern der Birken.

      Corde überlegte. Er war alleine und die nächste Ansiedlung über einen Kilometer entfernt. Was, wenn der Einbrecher noch im Haus war – oder hier irgendwo auf ihn lauerte?

      Er hatte das Haus noch nicht erreicht, als plötzlich ein Schatten auf ihn zu flog. Corde erschrak und wich aus. Er strauchelte, der Schotter knirschte unter seinen festen Schuhen, dann verlor er den Halt und stürzte rücklings zu Boden. Er schloss die Augen und erwartete den Schmerz.

      Der Schmerz kam, doch nicht so, wie er erwartet hatte. Nur ein Stechen im Arm, auf den er gefallen war. Er öffnete die Augen und sah gerade noch, wie der Schatten mit einem heiseren Krächzen in den Ästen einer Birke verschwand.

      1

      Der Raum war zu warm. Die trockene Heizungsluft und der Zigarrenrauch reizten ihre Augen und Schleimhäute, dennoch blieben die Fenster verschlossen. Niemand durfte von dieser Unterredung wissen. Zu viel stand auf dem Spiel.

      »Die Zeit rinnt uns durch die Finger«, sagte der dunkel gekleidete, untersetzte und kahlköpfige Mann an der Stirnseite des Tisches. Er rollte das »r« in seinen Worten, als ob der Nachklang nie enden sollte. Die drei anderen Männer, in teuren Anzügen, gepflegt und distinguiert, nickten, ehe sie reumütig ihre Häupter senkten.

      Der schwarzhaarige, drahtige Aufpasser, der abseits des Tisches neben der Tür saß, betrachtete ungerührt seine Fingernägel.

      »Und wenn wir die Sache einfach stoppen?«, fragte einer am Tisch.

      Der Kahlköpfige blickte ihn ungläubig an. Sogar der Mann an der Tür hob kurz seinen Kopf. Eine Weile herrschte düsteres Schweigen.

      Plötzlich brach der Kahlköpfige in herzhaftes Lachen aus. Sein Bauch hüpfte auf und ab wie eine Jolle in schwerer See. »Natürlich. Wir packen einfach zusammen und gehen alle nach Hause. Das Geld spielt keine Rolle. Es ist ja nur bunt bedrucktes Papier.« Das Lachen erfror in eisiger Kälte. »Wir haben einen Kontrakt, meine Herren, und wir haben einen Weg gemeinsam zu gehen. Und wir werden ihn gehen, bis zum Ende.«

      Ein dumpfes Hämmern an der Tür. Der Drahtige schnellte in die Höhe. Mit der rechten Hand fasste er unter seine Jacke. »Da?«, fragte er.

      Unterdrücktes Gemurmel drang in den Raum. Der Wächter entspannte sich und drehte den Schlüssel herum. Durch den Türspalt schob sich ein stämmiger Mann in einem Nadelstreifenanzug aus den frühen Siebzigern in das Zimmer. Er verbeugte sich vor dem Kahlen, als wäre er zu nichts anderem als zum Dienen geboren.

      »Es … es … gibt … Probleme!«, stammelte er unterwürfig.

      Gemurmel erfüllte den Raum. Der Kahlköpfige schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Die Gespräche verstummten.

      »Probleme?« Die Stimme des Kahlköpfigen klang noch eine Spur gefährlicher als zuvor.

      *

      Larsen ließ sich mit einem Seufzer auf dem zerschlissenen Sofa nieder und starrte an die Decke. Der Raum war schmuddelig und düster. Die beiden kleinen Fenster ließen nur wenig Licht herein. Zudem türmten sich dunkle Wolken am Himmel.

      »Es wird bald schneien.« Töngen saß in einem fleckigen, rosa­farbenen Ohrensessel. Er hielt Larsen seinen Tabaksbeutel hin. »Willst du auch eine? Der Stoff ist direkt aus Delfzijl.«

      Larsen schüttelte den Kopf. »Ich brauche klare Gedanken. Sie sind wieder draußen, aber ich weiß nicht, was sie suchen.«

      »Es muss wichtig sein, wenn sie bei diesem Schietwetter hinausfahren.« Töngen fuhr mit der Zunge über den Klebestreifen des Zigarettenpapiers. »Was ist mit Rike?«

      »Rike spinnt«, erwiderte Larsen. »Sie ist wieder im Camp und bereitet sich auf eine Aktion vor. Wir hatten Zoff. Sie meint noch immer, es reicht, ein paar Plakate in die Höhe zu halten. Wir müssen die Kerle da treffen, wo es wirklich weh tut. Nur dann können wir etwas bewirken.«

      »Darüber hast du früher auch anders gedacht.«

      Larsen seufzte und schaute dem Rauch nach, den Töngen in die Luft blies. Schließlich griff er nach dem Tabaksbeutel auf dem Tisch. »Und wohin hat uns das gebracht?« Der Beutel fiel ihm aus der Hand und klatschte auf den staubigen Boden. Ein Teil des Inhalts krümelte über die wurmstichigen Holzbohlen.

      »Mensch, pass doch auf, das Zeug ist teuer!«, fauchte Töngen.

      »Schon gut. Hast du nichts Stärkeres?« Larsen kniete sich auf den Boden und klaubte den Inhalt des Beutels wieder zusammen.

      »Wie soll ich das bezahlen? Außerdem brauchst du doch einen klaren Kopf, dachte ich, oder?«

      Larsen betrachtete seine schmutzigen Hände. »Du könntest ruhig mal sauber machen.«

      Töngen lächelte. »Ist doch egal, ob wir ein bisschen Dreck mitrauchen. Ist sowieso nur Verschnitt. Der Markt ist wie leergefegt.«

      Larsen setzte sich wieder auf das Sofa und drehte sich eine Zigarette.

      »Die Holländer haben Lieferprobleme«, sagte Töngen. »Immer mehr Bullen tummeln sich auf Booten und in den Häfen, seit sie an den Grenzen nichts mehr zu tun haben. Drei Lieferungen haben sie letzten Monat abgefangen. Es wird langsam eng.«

      Larsen zündete seine Zigarette an. Er legte den Kopf zurück und entspannte sich. Sie schwiegen eine Weile und rauchten.

      »Du hast gesagt, es sind Russen?« Töngen schnippte die Asche auf den Boden.

      »Russen, Schweden, Chinesen, wo ist der Unterschied?«

      »Na, die Russen sind mittlerweile für alles gut, Gift oder Uran, Plutonium …« Töngen blies den blauen Rauch stoßweise in die Luft. »Vielleicht liegen da draußen ein paar Container voller bunter Träume im Wasser und die suchen danach.«

      »Du spinnst.«

      »Wieso, was würdest du tun, wenn ein Zollboot auf dich zuhält, um dir dein schönes Pulver abzujagen?«

      »Es sind Forscher«, antwortete Larsen. »Sie haben ein Boot mit allem technischen Schnickschnack und sie lassen etwas ins Wasser …«

      »… und sie haben eine Genehmigung von ganz oben. Die fahren doch winkend an jeder Streife vorbei.«

      »Aber die Computer an Bord und die Sonargeräte?«, wandte Larsen ein.

      »Mit was würdest du rausfahren, wenn du offiziell Studien machen willst? Mit ’ner Jolle? Mensch, denk doch nach, Junge«, entgegnete Töngen. »Wie viel bezahlen wir heutzutage für die Unze? Zwanzig, fünfundzwanzig Mark. Die schicken das Zeug tonnenweise, da fallen doch die Miete für so ein Boot und die paar Kröten für das Schmieren einiger Beamter gar nicht ins Gewicht.«

      Larsen zerdrückte seine Zigarette im Aschenbecher. Er ging zum Fenster und warf einen Blick nach draußen. Noch hielten die dunklen Wolken ihre kalte Fracht zurück.

      Er nahm seine graue Daunenjacke vom Haken. »Wo steht dein Fahrrad?«

      »Was hast du vor?«

      »Ich fahre ins Dorf. Ich muss etwas überprüfen«, antwortete Larsen.

      »Bring ein paar Flaschen Bier mit. Ich sitze schon seit gestern auf dem Trockenen und mir ist es zu kalt, um ins Dorf zu fahren.«

      »Hast du Geld?«

      »Keinen Pfennig«, entgegnete Töngen grinsend.

      Larsen öffnete die Tür.