Die Wiege des Windes. Ulrich Hefner

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Название Die Wiege des Windes
Автор произведения Ulrich Hefner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264225



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druckste unschlüssig herum. »Na ja, er sagte mir nur, dass er an einer großen Sache dran ist.« Er gab sich einen Ruck. »Ich glaube, es ging um Gift.«

      »Giftmüll?«

      Töngen schüttelte den Kopf. »Shit, Koks, Drugs, Pills oder ›H‹. Rauschgift. Wäre möglich.«

      »Wollte Larsen in das Geschäft einsteigen?«, fragte Kirner. Der Fall schien eine andere Wendung zu nehmen als erwartet.

      »Larsen ist ein Smoker«, erwiderte Töngen, der sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. »Er raucht ab und zu eine, so wie ich. Aber er ist kein Dealer. Überhaupt nicht der Typ dafür.«

      »Dann schon eher eine Briefbombe, was?«

      Töngen erhob sich. »Ich weiß nichts von Larsen. Wir haben früher mal zusammen für eine bessere Umwelt gekämpft und sind für unsere Überzeugungen eingetreten, auch wenn es aussichtslos schien. Mehr nicht. Ich habe ihn seit einem Monat nicht gesehen. Schäfer ist ein Full-Time-Job. Ich bin raus aus der Szene und ich vermisse niemanden. Und jetzt muss ich wieder an die Arbeit.« Töngen nahm seinen Hammer und ging wieder hinüber zu dem Pfahl, der noch immer weit aus dem Boden ragte.

      »Eine letzte Sache noch.« Kirner legte eine Visitenkarte auf die Bank. »Wenn Larsen oder Friederike van Deeren auftauchen, dann rufen Sie mich an.«

      »Ich habe kein Telefon«, erwiderte Töngen.

      »Dann sagen Sie ihnen, dass sie sich bei mir melden sollen, bevor alles nur noch schlimmer wird. Ein Mordanschlag ist eine böse Sache.«

      Kirner wusste, dass Töngen die beiden informieren würde, aber auf einen Anruf von Larsen würde er wohl umsonst warten. Für ihn war die Sache klar: Larsen steckte hinter dem Briefbombenattentat. Trotzdem musste er die Fahndung nach Friederike van Deeren aufrechterhalten, und die Untersuchungshaft würde ihr wohl auch nicht erspart bleiben.

      Auf die Sache mit dem Schiff, von der Töngen geredet hatte, konnte Kirner sich keinen Reim machen. Den Gedanken, den Schäfer überwachen zu lassen, verwarf er. Er glaubte dem Mann. Vielleicht, aber auch nur, weil es in dieser Jahreshälfte nicht ganz so einfach war, hinaus auf die Inseln zu kommen.

      Er hielt inne und schaute sich um. Der Hafen war in Sicht und das Wasser glitzerte im Sonnenlicht. Eine Frage hatte sich aus seinen Überlegungen ergeben, die ihn nicht mehr losließ. Er schaute auf die Uhr, es war fast eins. Sollte er noch einmal umdrehen und zurück zu Töngen gehen?

      Ein schrilles Pfeifen riss ihn aus seinen Gedanken. Eine rot lackierte Lok mit drei kleinen Waggons fuhr in Richtung Dorf an ihm vorbei. Er wunderte sich darüber, doch dann erblickte er im Hafen die kleine Fähre, die abgelegt hatte und sich langsam in Richtung des Hafentors schob.

      Damit war seine Frage schon beantwortet.

      *

      Rike hatte Cordes Wagen auf dem großen Parkplatz vor dem Bahnhof abgestellt und in dem Glasgebäude gewartet, bis ein Bediensteter der Fährgesellschaft erschien. Von ihm erfuhr sie, dass die Versorgungsfähre für Langeoog um die Mittagszeit auslaufen würde. Sie setzte sich auf eine Bank und freute sich über die Sonne, deren Strahlen durch das Glas verstärkt ihren Rücken wärmten. Nach einer Weile war ein verliebtes Pärchen in winterfester Kleidung und mit Rucksack erschienen. Kurz darauf betraten eine Frau und vier Jugendliche das Gebäude. Es gab auch im Winter Passagiere, die eine Überfahrt auf eine der Inseln buchten. Urlauber, Familienangehörige oder auch nur Besucher der Insulaner. Als es schließlich Mittag wurde, hatten sich drei weitere Fahrgäste eingefunden, ein alter Mann und zwei Frauen. Eine davon trug Nonnentracht.

      Rike genoss den Tag. Der blaue, wolkenlose Himmel erhellte ihre Stimmung. Trotzdem blickte sie sich ab und zu um und suchte mit wachem Blick den Parkplatz ab. Der dunkle BMW ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.

      Schließlich ertönte eine grelle Glocke und eine Frauenstimme forderte die Passagiere für Langeoog auf, die Fähre über den Landungssteg 2 aufzusuchen. Rike reihte sich in die Personengruppe ein. Noch einmal schaute sie sich suchend um. Plötzlich lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Auf der Fähre stand ein Mann an der Reling, ein muskelbepackter Kerl mit Brille. Es war der Mann aus dem BMW, der mitten in der Nacht an ihrer Tür gewesen war. Rike überlegte fieberhaft, was sie tun konnte. Die Menschen gingen an ihr vorbei und strebten auf den gläsernen Steg zu. Sollte sie umkehren?

      Wenn der Kerl schon an Bord war, wusste er auch, welche Insel sie ansteuerte. Die Fähren nach Norderney und Baltrum waren längst abgefahren, sie konnte nur nach Langeoog wollen. Aber wusste der Kerl auch von Töngen? Aus den Augenwinkeln musterte sie den Mann. Er hatte eine auffallend bleiche Haut und wirkte ein wenig einfältig, daran änderte auch die viel zu protzige Brille nichts. Er verbarg seine Hände in den Taschen seiner Jacke. Wahrscheinlich steckte darunter sogar eine Waffe.

      Zögernd ging Rike an Bord, immer darauf bedacht, dem Fremden keinen allzu auffälligen Blick zu schenken. Offenbar war der Mann sich sicher, dass ihn Rike nicht erkennen würde, denn er blieb direkt neben dem Zugang stehen. Ein lautes Hupen zerriss die Stille. Rike fuhr zusammen. Das Zeichen zum Ablegen. Noch bevor die Landungsbrücke zurückgezogen worden war, kam ein weiterer Passagier an Bord. Ein Mann um die vierzig, groß und mit einem dunklen Kinnbart. Er ging an ihr vorüber und nickte ihr dabei freundlich zu.

      Rike wartete noch eine Weile, bevor sie unter Deck ging und inmitten der Sitzbänke einen Platz belegte. Der Mann mit der Brille folgte ihr und setzte sich am Eingang auf eine Holzbank. Einen Augenblick später erschien der Bärtige und ging wortlos an dem Mann mit der Brille vorbei, um sich am anderen Ende auf eine Bank zu setzen. Rike atmete auf. Sie hatte schon befürchtet, die beiden Männer gehörten zusammen.

      *

      Martin Trevisan stand unter der Dusche, als das Telefon klingelte. Der auf- und abschwellende Ton wollte kein Ende nehmen. Anscheinend war der Anruf dringend. Also drehte er den Wasserhahn zu, trocknete sich notdürftig mit einem Handtuch ab, griff zum Bademantel und spurtete in den Flur. »Trevisan«, krächzte er in den Hörer.

      »Hier auch«, vernahm er Grits Stimme. »Du kommst heute wohl gar nicht aus den Federn. Na ja, jetzt bist du zumindest wach.«

      »Ich stand unter der Dusche«, antwortete Trevisan entschuldigend, »ich muss noch ins Büro.«

      »Das ist typisch. Du und dein Büro. Heute ist Weihnachten.«

      Trevisan zerbiss einen Fluch. »Was willst du?«, fragte er verschnupft.

      »Paula kommt am Sonntag zu dir«, entgegnete Grit. »Dörte wird sie bringen. Ich muss nach Stockholm und komme erst am 2. Januar zurück. Hol sie um 16.03 Uhr am Bahnhof ab. Sei pünktlich! Dörte muss den Anschlusszug nach Hannover kriegen.«

      Trevisan war perplex. »Was ist?!«

      »Ich habe einen Job bei der Scan-Line in Aussicht und muss mich dort vorstellen«, antwortete Grit. »Sei froh, dass ich arbeiten gehe. Sonst hättest du noch weniger im Geldbeutel.«

      Trevisan trat ans Fenster. Sonnenstrahlen fingen sich im matten Lack des alterschwachen Opel Corsa. Den BMW hatte Grit mitgenommen. Als Ausgleichszahlung und dafür, dass er das Haus behalten konnte, hatte sie gesagt.

      »Wie stellst du dir das vor?«, erwiderte Trevisan. »Ich habe einen Job und wir sind mitten in einem Mordfall.«

      »Ihr seid immer mitten in irgendwas. Tante Klara ist doch auch noch da. Du bist schließlich Paulas Vater.«

      »Aber ich …«

      »Immer dieses Hin und Her mit dir«, schnauzte Grit. »Ich bin es leid. Es ist so, wie es ist. Kümmere dich um sie. Ich muss dringend weg.«

      Trevisan überlegte. Mit Tante Klaras Hilfe, die ein Haus weiter wohnte, könnte es klappen. Paula war schon früher oft bei ihr und Onkel Hans zu Gast gewesen. »Gut, wann soll ich sie abholen?«

      »Schreib es dir auf, sonst vergisst du es wieder, so wie du oft die Sachen vergisst, wenn es um die Familie geht.«

      Trevisan riss sich zusammen und unterdrückte seine Wut. »Wie geht es euch?«, fragte er, um die Spannung aus dem Gespräch zu