Die Wiege des Windes. Ulrich Hefner

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Название Die Wiege des Windes
Автор произведения Ulrich Hefner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264225



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      Corde griff nach der Teetasse. »Es war nicht das erste Mal da draußen. Ich habe es auch schon im letzten Jahr vor der Küste gesehen. Es kreuzte im Roten Sand. Das sind Forscher. Schweden oder Dänen.«

      »Forscher?«

      Corde stellte die Tasse zurück auf den Tisch. »Das hat Larsen gesagt. Er hat Erkundigungen eingeholt. Aber frag ihn doch selbst. Der ist bestimmt bei diesem nichtsnutzigen Säufer auf der Insel.«

      »Bei Töngen?« Rike überlegte. »Hat Larsen sonst noch etwas über das Schiff gesagt?«

      Corde schüttelte den Kopf. »Wir legten im Hafen an und kurz darauf kam auch der rote Kutter hereingeschippert. Es sah nach Sturm aus. Dann ist Larsen verschwunden. Mitten in der Nacht kam er wieder und sagte so etwas Ähnliches wie: Er wäre da an einer großen Sache dran. Ich solle sagen, dass ich nichts von ihm weiß und ihn nicht gesehen habe. Er verlangte, dass ich sofort auslaufen sollte. Larsen blieb auf der Insel. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.« Corde ließ sich erschöpft in den Schaukelstuhl sinken. Er schien sichtlich bedrückt. »Ich glaube, er hat sich da in etwas hineingeritten.«

      »Was heißt das? Hat er eine Andeutung gemacht?« Rike hätte platzen können vor Wut. »Jetzt erzähl mir schon alles!«

      »Er sagte, er habe einige Briefe verschickt«, erwiderte Corde. »Es müsse endlich jemand handeln. Ich glaube, der Junge steckt in ernsten Schwierigkeiten und ist untergetaucht. Bestimmt weiß der Trunkenbold mehr darüber.«

      Rike sog die Luft tief in ihre Lungen. Für einen Augenblick schwieg sie. »Was wurde eigentlich bei dem Einbruch gestohlen?«, fragte sie nach einer Weile.

      »Das ist es ja gerade«, sagte Corde leise. »Es fehlt nichts.«

      »Nicht einmal dein Videorecorder«, murmelte Rike nachdenklich und schaute auf den flachen, schwarzen Kasten, der unter dem Fernseher in der Phonobar stand.

      Corde nickte.

      *

      Nachdem Martin Trevisan zusammen mit Johannes Hagemann die Pathologie verlassen hatte, saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander im Wagen.

      »Tut es sehr weh?«, fragte Johannes schließlich.

      Trevisans Augen wurden feucht, als er nickte.

      »Du weißt, du kannst immer zu mir kommen«, versicherte Johannes.

      »Es ist komisch«, sagte Trevisan. »Es sind jetzt bald zwei Monate. Als sie damals auszog, nach all dem Gezanke und diesen ewigen Streitereien, da war ich eigentlich ganz froh, endlich Ruhe zu haben. Aber nach ein paar Tagen beginnt sie einem zu fehlen und man stürzt in ein tiefes Loch. Irgendetwas in einem sagt, hol sie wieder zurück, doch immer, wenn man miteinander redet, kommt alles wieder hoch, und so etwas wie Trotz stellt sich ein. Am meisten fehlt mir Paula.«

      »Glaubst du, dass ihr wieder zusammenkommt, du und Grit?«

      Trevisan schüttelte den Kopf.

      »Und wann hast du deine Tochter das letzte Mal gesehen?«

      Trevisan fuhr sich durch die Haare. »Ende November. Zweimal war ich bei ihr, dann war das mit meinem Vater und ich konnte nicht mehr. Kiel ist verdammt weit weg.«

      »Lässt sie dich deine Tochter sehen?«

      »Ja, aber du weißt doch, Bereitschaftsdienst am Wochenende und die Arbeit unter der Woche. Da ist nicht mehr drin als ein-, zweimal im Monat.«

      »Wenn du zwischen den Jahren zu ihr willst, dann nimm dir ein paar Tage frei, ich werde es Beck erklären.«

      Trevisan schaute Johannes Hagemann dankbar an. Den Rest des Weges fuhren sie schweigend zurück zur Dienststelle.

      Dietmar Petermann saß hinter seinem Schreibtisch und telefonierte, als sie sein Büro betraten. Er hob den Arm zum Zeichen, dass er Ruhe brauchte. Trevisan und Hagemann warteten, bis er aufgelegt hatte.

      »Die Kollegen in Würzburg waren schnell«, erzählte er. »Nachdem ich ihnen erklärte, dass wir den Büchereiausweis in einem Rucksack neben einem unbekannten Toten aus dem Hafen gefischt haben, haben die tatsächlich jemanden aufgetrieben, der an den Computer der Bibliothek kommt. Aber in Würzburg wohnt kein Peter Luksch. Na ja, zumindest haben wir seinen Namen.«

      Trevisan verdrehte die Augen. »Den hatten wir schon, nachdem wir den Rucksack fanden. Gibt es sonst noch etwas?«

      »Ich habe mich nicht abspeisen lassen und es hat sich gelohnt. Peter Luksch ist sechsundzwanzig Jahre alt und Student. Er studiert offenbar in Würzburg und wohnt außerhalb. Der Ort heißt Gerchsheim und liegt knapp zehn Kilometer von Würzburg entfernt. Das ist aber schon Baden-Württemberg.«

      Trevisan riss der Geduldsfaden. »Wohnt er dort noch, ist er am Leben?« Seine Stimme war lauter geworden.

      Dietmar griff nach seinem Notizblock. »Also, die Kollegen aus Würzburg haben die Kollegen aus Tauberbischofsheim benachrichtigt und von dort aus fuhr eine Streife an die Wohnadresse. Das ist ein Mehrfamilienhaus, aber Luksch stand nicht auf den Klingeln. Sie haben dann jemanden aus dem Haus gefragt. Von dort bekamen sie die Auskunft, dass mal bis zum Sommer ein junger Mann unter dem Dach wohnte, doch der ist ausgezogen.«

      »Und das war Luksch?«, fragte Johannes Hagemann.

      »Vermutlich.«

      »Mensch Dietmar, bring mich nicht auf die Palme …«, warnte Trevisan.

      »Mehr lässt sich heute nicht feststellen, die Ämter haben zu und die Hauseigentümer sind auf den Kanaren. Ich kann nichts dafür, dass die Baden-Württemberger keinen Zugriff auf die Datenbanken der Einwohnermeldeämter haben. Vom Alter her könnte es passen.«

      Trevisan ließ sich auf den Stuhl fallen. »Nur vom Alter oder haben wir eine Beschreibung?«

      »Oh, das habe ich vergessen zu fragen«, antwortete Dietmar Petermann kleinlaut.

      »Dann wird’s Zeit!« Johannes Hagemann deutete auf das Telefon.

      *

      Gut zweihundert Kilometer entfernt saß zum gleichen Zeitpunkt Kriminaloberrat Kirner hinter seinem Schreibtisch und spielte geistesabwesend mit einem Bleistift. Seine Mitarbeiter wussten, dass Kirner die Kurzfassung, die reinen Fakten liebte. Er brauchte Zuträger, die funktionierten, sonst fanden sie sich schneller in einer anderen Abteilung, als ihnen lieb war. Die Bewertung ihrer Erkenntnisse war alleine seine Sache. Team­arbeit war nicht sein Metier. Er war der Kopf, der Denker, und genau deswegen saß er nachdenklich auf seinem Stuhl. Die Fahndung nach Friederike van Deeren war angelaufen. Da es in ihrer Akte einen vagen Hinweis auf einen Bekannten in Deventer gab, waren auch die holländischen Behörden informiert. Sie war die Hauptverdächtige, doch den Brief konnte sie nicht selbst überbracht haben. Das Flugzeug mit der Flugnummer AQ 4227 war erst um 15 Uhr in Frankfurt gelandet. Laut Passagierliste hatte sie sich an Bord dieser Maschine befunden.

      Inzwischen waren weitere Informationen auf seinem Tisch gelandet. Demnach hatte Friederike van Deeren ab 17. November an einem Training in einem Greenpeace-Aktiv-Camp bei Bremen teilgenommen. Danach war sie drei Wochen in Australien gewesen, um auf der Arctic Sunrise, einem Greenpeace-Schiff, gegen japanische Walfänger zu protestieren. Zumindest hatte sie am 3. Dezember in Frankfurt nach Perth eingecheckt.

      Dennoch konnte sie an dem Anschlag beteiligt gewesen sein. Zwei Namen waren in ihrem Strafregister unter der Rubrik Tatgenossen ständig aufgetaucht. Möglicherweise war sie Mitglied einer kleinen Aktivistenzelle, zu der auch Björn Larsen aus Wilhelmshaven und ein gewisser Uwe Töngen gehörten. Larsen schien, so hatten seine Mitarbeiter herausgefunden, untergetaucht zu sein – ein Indiz für seine Beteiligung oder Täterschaft? Uwe Töngen lebte auf Langeoog und hütete Schafe. Ihn würde er sich vornehmen, gleich morgen früh.

      Die Ungereimtheiten in dem zunächst so scheinbar klaren Fall raubten ihm die Ruhe. Warum war der Brief an die Behörde und nicht zu Esser nach Hause geschickt worden, und warum ausgerechnet einen Tag vor Weihnachten, wo doch viele in Urlaub waren? Das Risiko eines Fehlschlages war viel zu groß gewesen. Oder hatte der Überbringer