Die Wiege des Windes. Ulrich Hefner

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Название Die Wiege des Windes
Автор произведения Ulrich Hefner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264225



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vor vier. Wind war aufgekommen und verfing sich in den Zweigen der großen Tanne, die vor seinem Fenster als Weihnachtsbaum aufgestellt worden war. Einige der Glühbirnen in den Ästen leuchteten in das triste Grau der anbrechenden Dämmerung, doch die meisten waren längst der Nässe der vergangenen Tage zum Opfer gefallen. Kirner erhob sich und griff nach seinem Mantel.

      *

      Der dunkle BMW parkte am Ortsende von Greetsiel abseits auf einem Parkplatz. Ein Gebüsch versperrte die Sicht auf den Wagen. Die Männer darin hielten den Feldweg im Auge, der zum Haus des Alten führte.

      Als Rike am frühen Morgen in Cordes Auto auf die Straße nach Norddeich einbog, fuhr sie ahnungslos am BMW vorüber. Einen Augenblick später setzte sich der Wagen in Bewegung.

      9

      Das Boot der Küstenwache wartete wie versprochen um 9 Uhr im Großen Hafen. Die Wasserschutzpolizisten stutzten, als Kirner alleine an Bord kam, doch er erklärte ihnen, dass es nur um eine Routinebefragung ginge und er deswegen keinem Kollegen den zweiten Weihnachtstag vermiesen wollte. Eine Viertelstunde später verließ das Boot den Hafen und fuhr mit halber Kraft den Jadebusen hinauf in Richtung Schillighörn.

      Nach all den trüben Tagen schien es heute trocken und schön werden zu wollen. Kirner lehnte an der Reling und schaute in den wolkenlosen Himmel.

      Die Kollegen in Aurich hatten ihm den Weg zu Töngens Gehöft beschrieben. Sie hätten auf Langeoog auch für seine Abholung gesorgt, aber als Kirner erfahren hatte, dass Töngens Anwesen kaum einen Kilometer vom Hafen entfernt war und ein Fußweg entlang den Schienen der Inselbahn direkt zu seinem Haus führte, hatte er das Angebot abgelehnt. Ein Fußmarsch nach all den Festtagsbraten würde nicht schaden.

      Die Auricher hatten schon öfter mit Töngen zu tun gehabt. Er hatte so manche Nacht in ihrer Ausnüchterungszelle verbracht und wegen seines Rauschgiftkonsums vor kaum einem Vierteljahr seinen Bootsführerschein eingebüßt. Ansonsten schien der Mann eher zu den gemütlichen Typen zu gehören. Seit der Verurteilung war es ruhig um ihn geworden. Vielleicht auch deshalb, weil er wegen eines Rauschgiftvergehens eine Bewährungsstrafe erhalten hatte.

      Doch Kirner interessierte sich nur für Friederike van Deeren und Björn Larsen. Er war nach dem Aktenstudium und reiflicher Überlegung zu dem Schluss gelangt, dass Larsen hinter dem Briefbombenanschlag stecken musste. Vielleicht hatte seine Freundin noch nicht einmal davon gewusst.

      Als der kleine Kreuzer im Hafen von Langeoog festmachte, vereinbarte Kirner mit dem Kapitän, dass er in drei Stunden wieder abgeholt werden sollte. Dann machte er sich auf den Weg zu dem Anwesen. Der Feldweg entpuppte sich als morastiger Trampelpfad, doch Kirner war gut gerüstet. Das Wandern war eine seiner liebsten Freizeitbeschäftigungen. Er brauchte gerade mal eine halbe Stunde, bis er das einsame Gehöft westlich des Dorfes erreichte. Das Gebäude erschien verwahrlost. Der Lattenzaun davor wies etliche Lücken auf, und der windschiefe Stall links neben dem Hauptgebäude verstärkte den Eindruck, dass Töngen sich wenig um sein Hab und Gut kümmerte. Das braune Gras wucherte im Hof. In der Ferne hörte Kirner das Blöken einiger Schafe, die trotz der Kälte im Freien standen.

      Eine Klingel suchte Kirner an der altersschwachen Haustür vergebens, also klopfte er mit der Faust dagegen. Er lauschte, doch außer dem leisen Rauschen des Windes in den dürren Ästen der Pappeln direkt neben dem Haus war nichts zu hören. Noch einmal klopfte Kirner. Er wartete vergeblich. Niemand schien zu Hause zu sein.

      Plötzlich sah er eine Bewegung abseits der Scheune. Ein Mann stand neben dem Stall. Das trockene Hämmern von Metall auf Holz drang zu Kirner herüber. Der Mann trug einen langen, olivgrünen Parka, eine blaue Arbeitshose und schwarze Gummistiefel. Seine langen verfilzten Haare schwangen im Rhythmus der Schläge durch die Luft.

      »Töngen?«, rief ihm Kirner zu.

      Der Schlag des Mannes erfror in der Luft. Er hob den Kopf und blickte den Fremden, der auf ihn zukam, misstrauisch an. »Und wer will das wissen?«

      Kirner zeigte seinen Dienstausweis.

      »Was ist nun wieder los, wollt ihr noch mal mein Haus durchsuchen?«

      Kirner schüttelte den Kopf. »Friederike van Deeren. Wissen Sie, wo ich sie finden kann?«

      Argwöhnisch beäugte Töngen den Kriminalbeamten. »Rike? Hab ich schon lange nicht mehr gesehen.«

      »Und Larsen?«

      »Den auch nicht.«

      Kirner lächelte. »Erzählen Sie mir von Friederike.«

      »Was soll ich da erzählen«, erwiderte Töngen. »Rike ist anständig. Die tut niemandem was. Was wollt ihr von ihr?«

      »War Rike denn nicht auf großer Fahrt?«

      »Weiß nichts davon.« Töngen erhob den Hammer und schlug weiter auf den dicken Pfahl ein.

      »Sie sind derzeit auf Bewährung?«, rief ihm Kirner zu.

      Töngen ließ den Hammer sinken. »Was hat das mit Rike zu tun?«

      »Ich kann Sie auch vorladen«, versuchte Kirner Töngens Auskunftsfreudigkeit zu erhöhen. »Also noch einmal: War Rike in letzter Zeit im Ausland?«

      Töngen legte seinen Hammer zur Seite und setzte sich auf die Holzbank vor der Scheune. Er kramte seinen Tabak aus der Tasche. Gelassen drehte er sich eine Zigarette. »Hören Sie«, sagte Töngen und fuhr mit der Zunge über den Klebestreifen des Zigarettenpapiers. »Ich habe Bewährung, das ist richtig. Ich habe nichts mehr mit diesen Dingen zu tun. Ich rauche ab und zu ein bisschen Shit, das ist alles. Also spielen wir mit offenen Karten, ich habe nämlich keine Lust mehr auf Ärger.«

      Kirner setzte sich neben ihn auf die Bank. »Ich bin vom Landeskriminalamt. Ich ermittle in einem Mordversuch und ich glaube, dass Rike in die Sache verwickelt ist, ohne dass sie etwas dafür kann. Es ist besser, wenn ich mit ihr spreche. Das fällt nicht mehr unter ›grober Unfug‹, so was gibt zehn Jahre und mehr.«

      »Ein Bulle, der helfen will«, antwortete Töngen sarkastisch.

      Kirner entschloss sich, ihm die ganze Geschichte zu erzählen.

      »Vor drei Tagen wurde auf den stellvertretenden Bezirksdirektor Esser ein Briefbombenanschlag verübt. Das Kuvert war beschädigt, deshalb konnte der Anschlag vereitelt werden. Unsere Spurensicherung hat Fingerabdrücke entdeckt. Sie gehören Friederike van Deeren. Außerdem hatte sie ein paar Wochen zuvor ein Dossier an Esser geschickt und die gleiche Art Kuvert verwendet. Würden Sie ihr so was zutrauen?«

      Töngen schaute Kirner entgeistert an. »Das ist absoluter Blödsinn. Rike lehnt jede Form von Gewalt ab.«

      »So, tut sie das? Vor knapp einem Jahr hat sie einem Kollegen von mir das Nasenbein gebrochen.«

      Töngen lächelte. »Sie weiß sich zu wehren und der Bulle hat sie angegrabscht.«

      »Und was ist mit dem Brandanschlag auf das Baggerschiff?«

      »Sie liebt diese Küste und würde alles dafür tun. Aber Rike würde niemals Menschenleben aufs Spiel setzen.«

      »Und Larsen?«

      Töngen zog an seiner Zigarette und blies den blauen Rauch in die Luft. »Larsen und Rike waren zusammen«, murmelte er und schnippte die Zigarettenkippe ins Gras. »Aber sie hatten Zoff. Vor Wochen schon. Seitdem habe ich weder von ihm noch von Rike was gehört.«

      »Wann haben Sie Rike das letzte Mal gesehen?«

      Töngen überlegte. »Das ist mindestens zwei Monate her. Ich hörte nur, sie wäre in irgend so einem Greenpeace-Camp.«

      »Von wem haben Sie das gehört?«

      Töngen schien um die Antwort verlegen.

      »Von Larsen?«, nahm ihm Kirner die Last von der Seele.

      Töngen nickte. »Das war vor einem Monat. Er kam mitten in der Nacht zu mir. Er sagte etwas von einem Schiff, dem er draußen begegnet ist.« Töngen wies mit dem Kopf in Richtung Meer. »Er sagte, dass die da