Great again?. Julia Kastein

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Название Great again?
Автор произведения Julia Kastein
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783963114908



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tiefen Einblick in das, was der Präsident der Vereinigten Staaten gerade denkt. Was ihn umtreibt. Etwas kleinlaut frage ich, ob es Lisa nicht stört, wie zornig und hasserfüllt Trump gegen seine Gegner austeilt. »Ich finde es gut, dass er so gradeheraus ist«, kontert Lisa. Das Impeachment-Verfahren jedenfalls sei eine völlige Zeitverschwendung; darin sind sich alle, mit denen ich in Battle Creek spreche, einig. Seit 2016 würden der Sumpf und der »Deep State« versuchen, Trump aus dem Amt zu befördern und die Wahl ungeschehen zu machen. Das sei ein Dauerangriff auch auf sie, die Trump-Unterstützer. »Je härter sie zuschlagen«, sagt Christin, »desto stärker werden wir!« Und wer nicht in völlige Verzückung über Trump gerät, der rechnet mir ganz nüchtern dessen Erfolgsbilanz vor: »Was haben denn die Demokraten in all den Jahren unter Obama erreicht?«, fragt mich ein älterer Herr. Und hat gleich auch die Antwort parat: »Nichts!« Trump habe in kürzester Zeit so viel geschafft: »I want more of it!« Davon habe er noch lange nicht genug. Authentisch sei dieser Präsident: Der hält, was er verspricht. »Promises made, promises kept!«

      Ich schlendere wieder zurück in den Pressepferch. Trump steht noch immer am Rednerpult. Rechts und links davon stehen Weihnachtsbäume, auf deren Spitzen Wahlkampfkappen mit dem »Make America Great Again«-Logo, MAGA, thronen. Gerade erklärt Trump, dass man es ihm persönlich zu verdanken habe, dass Amerika wieder »Merry Christmas!« wünschen dürfe. Und nicht mehr politisch korrekt »Happy Holidays!« sagen müsse, wie es die säkularen Eliten eingeführt hätten. »Ihr seid die Elite!«, brüllt Trump seinen Fans zu. Die Halle kocht.

      Zum Ausklang des Abends plärrt wie immer »You can’t always get what you want!« von den Rolling Stones aus den Lautsprechern. Keine Ahnung, warum Trump ausgerechnet an diesem Song einen Narren gefressen hat. Ich kann mir kein Motto vorstellen, das noch weniger zu seiner Person passt. Während der Trump-Show läuft eine Handvoll von anderen Songs in Dauerschleife: »Sympathy for the devil«, noch ein Stones-Titel. Und »Macho man!«, von den Village People. Bei dem singen fast alle mit. Trumps Dauer-Tournee bringt die immer gleiche Show auf die Bühnen. Variationen gibt es je nach tagespolitischer Themenlage. Aber das Kerngerüst bleibt gleich. Trump teilt aus. Verletzend, gehässig, unter der Gürtellinie. Dem Publikum stockt der Atem. Na, der traut sich was! Eine Mischung aus Befremden und Bewunderung entsteht bei seinen Zuhörern. Ein bisschen wie bei Dieter Bohlen in Deutschland. Dann breitet Trump seine Arme aus. Geschickt versteht er es, sich zum Anwalt und Interessenwahrer seiner Unterstützer zu stilisieren. Seine Kulturrevolution: Das ist kein Egotrip. Das ist eine Massenbewegung! Sie kommt eigentlich aus der Mitte des Volkes. Trump hat sie lediglich entfesselt. Nun ist es ein Gemeinschaftsprojekt. Weil Trump selbstlos vorausschreitet, lässt man ihm auch so manches durchgehen. Das endlose, eitle Eigenlob? Geschenkt! »Everything he does is for the American people«, hatte mir ein Teilnehmer in Battle Creek erklärt. »We the people!« Mit diesen drei Worten – »Wir, das Volk« – beginnt die Präambel der Verfassung der Vereinigten Staaten.

      Seit jenem Winterabend in Battle Creek habe ich immer wieder nachgedacht über die Menschen, denen ich dort begegnet bin. Landauf, landab gibt es Legionen von ihnen. Als Publikum der Trump-Shows sind sie auf einmal sichtbar. Sie feiern ihr Idol. Aber noch mehr feiert er sie. Wie konnte es passieren, dass einer wie Trump kommen musste, um diese Menschen aus dem Verborgenen ins Rampenlicht zu holen? Wo waren die vorher? Warum wurden sie übersehen? Klar ist, dass Trump ihnen Würde verspricht und Aufmerksamkeit verleiht. Der Working Class Hero des 21. Jahrhunderts: ein habgieriger und selbstverliebter Immobilienmogul. Wer hat dieser Revolution den Boden bereitet? Wer hat diesen Kulturkampf provoziert? Ein Name fällt auffällig häufig, wenn man Amerikaner nach der Verkörperung des Elitären in der Politik fragt: Hillary Clinton, Trumps unterlegene Gegenspielerin von 2016.

      Am 9. September des schicksalhaften Wahljahres beging die demokratische Präsidentschaftskandidatin den vielleicht schwerwiegendsten Fehler ihrer politischen Karriere. Die Szene war aus der Sicht eines republikanischen Wahlkampfstrategen eigentlich zu gut, um real zu sein. Hier passte alles. Als habe Donald Trump sich die Situation für eine polemische Wahlkampfrede zusammenspintisiert. Wenn es noch Zweifel daran gab, dass Clinton die Kandidatin einer abgehobenen, arroganten Küstenelite war: Sie hatte sie selber ausgehoben. Hier ist die Szene:

      Ausgerechnet von einer LGBTQ-Versammlung (LGBTQ, das steht für »Lesbisch, Gay, Bisexuell, Transgender, Queer«) ließ sich Clinton dafür feiern und beklatschen, dass sie Teile der Trump-Verehrer als Bemitleidenswerte oder auch Klägliche schmähte. In einen »basket of deplorables«, einen »Korb für Bedauernswerte«, gehöre die halbe Anhängerschaft Trumps. Das Etikett saß: Nach anfänglicher Entrüstung konterten die Geschmähten strategisch klug. Sie funktionierten den Schmähbegriff in sein Gegenteil um: in ein selbstbewusst geführtes Markenzeichen. Wir sind die Deplorables! Ihr da oben mögt auf uns herabschauen, uns verachten, uns für vernachlässigbar halten! Aber wir sind viele! Wir sind die Mehrheit, die bislang schwieg, jetzt aber ihr Schicksal in die eigene Hand nimmt. Deplorables! So, wie Schwarze sich manchmal selbst als »Nigger« bezeichnen. Oder Homosexuelle sich »Schwuchteln« nennen. Schmähbegriffe entwerten, indem man sie sich aneignet. Bis heute veranstalten republikanische Frauenorganisationen, wie »Women for Trump«, sogenannte »DeploraBalls«. Also Partys, Bälle, bei denen das ländliche, konservative, gottesfürchtige Mittelklasse-Amerika selbstbewusst seinen eigenen Lebensstil feiert. Und sich nicht mehr verschämt kleinmacht gegenüber metrosexuellen Jetsettern, die Amerikas Mainstreamkultur so lange idealisierte. »DeploraBalls« für »deplorables«. Kampfbegriffe, die eine ungeheure Wucht entfalteten. Viel wirkungsvoller noch als das deutsche »Wir sind das Volk!«, das in der Pegida-Umdeutung etwas ganz Ähnliches meint. Oder die AfD-Ankündigung: »Wir holen uns unser Land zurück!« An Sprachwitz sind die Amerikaner ihren deutschen Seelenverwandten bisweilen überlegen: »Adorable Deplorable« ist auf T-Shirts mancher Trump-Fans zu lesen, »bewundernswerter Bedauernswerter«. Das amerikanische »deplorables« stiftet als Selbstbezeichnung nicht nur ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Es führt gleichsam noch den Nachweis für die Arroganz der anderen mit sich.

      Der Begriff hat sich schnell verselbstständigt. Clinton hat die Wirkung ihrer Worte unterschätzt, als sie das Bild vom »basket of deplorables« in die politische Debatte einführte. Ein Gefäß zur Entsorgung von denjenigen, die man aufgegeben hat, die man politisch ohnehin nicht mehr erreichen kann. Die verloren sind. »Deplorable«, das lässt sich mit »bedauernswert« übersetzen, mit »bedauerlich«, »kläglich« oder auch »verurteilungswürdig«. Klingt im Deutschen noch ein wenig nach Mitgefühl, im Englischen aber herablassend. Klanglich irgendwie nach Deportieren. Bei einer Spendengala in New York hatte Hillary Clinton den »basket of deplorables« erstmals eingesetzt: eine Art Abfallbehälter für Trump-Anhänger, die, so Clinton wörtlich, »rassistisch, sexistisch, homophob, xenophob, islamophob« sind. Volle Keule! Und um alle Klischees zu komplettieren, bestand diese Gala aus Spendern und Clinton-Unterstützern aus der LGBTQ-Community. Was in den liberalen Küstenstädten längst eine kulturell bedeutsame und politisch einflussreiche Lobbygruppe ist, das steht im konservativ-ländlichen Amerika für etwas ganz anderes: Sinnbild des gesellschaftlichen Umsturzes, der Menschen mit traditionellerem Lebensstil an den Rand drängen soll. Clinton mag nur extreme, hasserfüllte Rassisten gemeint haben, aber die Instinktlosigkeit ihrer Wortwahl hatte effektvoll ihr eigenes Negativimage als arrogante Klientelpolitikerin bestätigt – und die dramatische Spaltung des Landes weiter vertieft.

      Der Riss quer durch das Land, dem Trump seine einstige »greatness« zurückzugeben versprach, verläuft nicht entlang einer klar gezogenen Linie. Der Spalt trennt nicht einfach progressive Metropolen und traditionelle Landregionen. Der Frontverlauf im amerikanischen Kulturkampf ist so komplex, dass er sich sogar durch die kleinste gesellschaftliche Einheit zieht: die Familie. Trump spaltet sogar im Mikrokosmos. Einer Umfrage zufolge sagen 39 Prozent der Ehepaare in den USA, dass Trump in ihrer Beziehung, ihrer Partnerschaft, für Stress gesorgt hat. Was massenhaft im Verborgenen geschieht, hat ein prominentes amerikanisches Ehepaar zur öffentlichen Inszenierung gemacht: die notorischen Conways. Kellyanne Conway (Jahrgang 1967) ist Trumps Chefberaterin und hat seine Wahlkampagne im Jahre 2016 geleitet. Ehemann George T. Conway III. (Jahrgang 1963), Verfassungsrechtler, ist einer von Trumps schärfsten Kritikern. Die Conways sind Amerikas kuriosestes Ehepaar. Ihren politischen Rosenkrieg hat die New York Times treffend als die »George and Kellyanne Conway Show« beschrieben.

      Die frühe Liebesgeschichte