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Troys Führung machten sich die Freunde wieder auf den Weg zurück zu ihrer Unterkunft und gerieten dabei auf eine kleine Straße, in der es viele Trekking-Agenturen gab. Zielstrebig steuerte Troy auf eines der Geschäfte zu, in deren Auslagen Fotos vom Himalaja-Gebirge zu sehen waren. Bhakti und Shakti, die diese Agentur betrieben, waren Brüder. Wie Troy waren sie Ende zwanzig. Sie sprachen fließend Englisch, da sie drei Jahre bei ihrer Tante in London gelebt hatten, und waren die jüngsten Anbieter von Trekking-Touren in der Stadt. Zugleich hatten sie die meiste Erfahrung. Es war den Brüdern eine Freude und Ehre, die fremden jungen Leute auf ihrer Reise durch ihr Land zu begleiten.

      Es war Abend geworden. Ihr erster Tag in Pakistan neigte sich dem Ende zu und vor ihnen lag die erste Nacht in diesem fremden Land. Zu Hause, in ihrem Dorf in Cornwall, hörte man abends, je nachdem wie das Wetter war, nur den Wind im Kamin flüstern oder das Geräusch, das die Wellen machten, wenn sie an die Klippen schlugen. Hin und wieder bellte ein Hund und ab und zu fuhr ein Auto durch die leeren Gassen. Die Lichter in den Häusern erloschen zumeist um Mitternacht, und danach breitete sich friedvolle Stille aus. In dieser Stadt schienen die Menschen erst in den Abendstunden zum Leben zu erwachen. Das liege an der Hitze während des Tages, erklärte Troy ihnen. Sie saßen in einem kleinen Lokal, in das Bhakti und Shakti sie geführt hatten, um dort gemeinsam die Reiseroute zu besprechen.

      Die Brüder sahen einander sehr ähnlich, was daran lag, dass sie eineiige Zwillinge waren. Was immer der eine dachte, schien der andere auszusprechen. Shakti war der Schweigsamere, Ernstere, Bhakti der Redegewandtere, Lustigere. An diesem Abend waren sie europäisch gekleidet. Sie waren nicht sehr groß, aber kräftig, hatten freundliche Augen und trugen gepflegte Bärte. Auf ihr Land waren sie sehr stolz, besonders auf ihre Heimatstadt Peshawar – die zweitgrößte Stadt Pakistans hoch oben im Norden –, die das erste Zwischenziel ihrer gemeinsamen Reise sein würde.

      „Zuerst wird allerdings gegessen!“, rief Bhakti und klatschte in die Hände.

      Das Lokal, in dem sich nur Einheimische aufhielten, gehörte einem Freund der Brüder. Es war sehr gut besucht, und der Wirt hatte sie in einen kleinen Nebenraum geführt, in dem sie unter sich sein konnten. Bhakti erklärte, dass der Besitzer mit seiner Frau in der Küche selbst die Speisen zubereite, und empfahl die Spezialität des Hauses, ein Currygericht mit Lammfleisch und Gemüse. Dabei küsste er seine Fingerspitzen und schmatzte theatralisch. Alle lachten und bestellten das empfohlene Gericht, außer Troy, der zu Doffs Entsetzen kein Fleisch aß. Die gut gewürzte Speise duftete verführerisch und schmeckte köstlich. Doff hatte bereits einen Nachschlag erhalten, Mary konnte nicht mehr und Larry war ebenfalls satt. Auch Troy, der sein Dal aufgegessen hatte, winkte ab, als ihnen zum Nachtisch in Milch gebackene Brotscheiben mit Sirup angeboten wurden, die mit Nüssen und Safran bestreut waren. Als die Süßspeise kam, aß Doff sie umgehend auf, und Bhakti und Shakti lachten zufrieden. Jetzt konnten sie sich dem geschäftlichen Teil zuwenden.

      „Es ist uns eine Freude und Ehre, euch auf der Reise durch unser Land zu begleiten“, begann Bhakti und sein Bruder nickte. Beiden war sofort aufgefallen, dass diese jungen Leute keine üblichen Touristen waren. Mary bemerkte, dass Shakti besonders von Troy fasziniert war. Immer wieder ruhte sein ernster Blick auf ihm, und wenn ihre Augen sich trafen, wirkte er noch nachdenklicher als zuvor. Troy zeigte den Brüdern auf der Karte den Weg, den sie nehmen wollten, ohne das Ziel zu nennen, das er ja selbst noch nicht kannte. Bhakti und Shakti stellten keine Fragen, sondern besprachen mit Troy, welche Ausrüstung sie brauchen würden. Reiseproviant für die ersten Tage wollten sie noch an diesem Abend besorgen, die restlichen Vorräte würden sie in Peshawar kaufen.

      „Diese große Stadt lag auf dem Schnittpunkt der alten Karawanenrouten“, erklärte Shakti. Das belebte Doff, der beinah eingedöst war, und er sah sich schon auf einem Kamel ins Gebirge reiten.

      „Auf dem alten Basar“, plapperte er vor sich hin, „da war ein Mann, ganz in Schwarz gekleidet. War das ein Beduine?“

      Die Brüder sahen den aufgeregten rothaarigen Jungen erstaunt an. „Auf welchem alten Basar?“, fragte Bhakti vorsichtig, bevor er hinzufügte: „Hier gibt es keinen alten Basar.“

      Obwohl Larry ihn schon in die Seite boxte, war Doff nicht mehr zu bremsen. „Der Schlangenbeschwörer“, platzte er heraus, „und der Mann mit den Silber...“, da legte Troy ihm die Hand auf den Arm und Doff hielt verwirrt inne.

      „Es gibt hier keine Schlangenbeschwörer“, sagte Bhakti nach einigem Zögern, während sein Bruder, wie Mary auffiel, seine Augen wieder aufmerksam auf Troy geheftet hatte, der diesen Blick ruhig erwiderte. Dann nickte Bhakti, als ob er gerade etwas verstanden hätte.

      „Es ist schon spät“, sagte Troy und stand auf. „Wir müssen morgen früh aufbrechen.“

      Mary zog den immer noch verdatterten Doff hoch. Sie bedankten sich bei den Brüdern für das Abendessen, und die beiden versprachen, sie am nächsten Morgen pünktlich um sechs Uhr abzuholen.

      Als die Gruppe den Raum verlassen hatte, flüsterte Bhakti seinem Bruder zu: „Ich hab’s dir ja gesagt ...“

      Shakti strich sich nachdenklich über den Bart und murmelte: „Wir werden sehen ...“ Er sah seinem Bruder in die Augen und beide lächelten.

      Mary stand in ihrem Zimmer am offenen Fenster, lauschte dem Pulsieren dieser fremden Stadt und atmete die kühle Nachtluft ein. Über Bhaktis Worte, die keinen Sinn ergaben, weil sie den Basar und den Schlangenbeschwörer tatsächlich gesehen hatten, war Mary ebenso verwirrt gewesen wie Doff, das Plappermaul. Sie musste lächeln, als sie daran dachte, was Larry ihr, bevor sie in ihre Zimmer gingen, zugeflüstert hatte: „Du bist nicht allein Mary. Ich bin ja bei dir und Doff. Und, na ja, Troy ja auch.“

      Mary setzte sich an den Tisch, nahm ein Stück Papier und einen Kugelschreiber und begann rasch zu schreiben.

      Liebe Oma Laura,

      es tut mir wirklich leid, dass ich Dir nicht erzählen konnte, wohin ich mit Larry, Doff und Troy, den Du noch nicht kennst, gereist bin. Ich musste es tun, weil diese Reise wirklich wichtig ist, nicht nur für mich, sondern für uns alle.

      Mach Dir keine Sorgen, denn wir werden geführt und sind gut beschützt. Bitte sei mir nicht böse! Wir kommen sicher wieder gesund nach Hause. Sobald ich kann, melde ich mich wieder. Ich hab Dich sehr lieb!

      Deine Mary

      P.S.: Ich vermisse Dich.

      P.P.S.: Wie geht’s Dir mit Murphy?

      Sie faltete das Papier zusammen, schob es in ein Kuvert und schrieb Lauras Adresse darauf. Sie wollte den Brief morgen in Islamabad aufgeben. Dann löschte Mary das Licht und ging zu Bett.

      Doff hat einen wichtigen Traum

      Die nächsten Tage verliefen eher ereignislos. Während sie der Industalstraße nordwärts folgten, rückten die beeindruckenden Bergketten, die ihr Ziel waren, immer näher. Mary, Larry und Doff gewöhnten sich an die vielen neuen Eindrücke. Sie ermüdeten jedoch rasch, was nicht zuletzt daran lag, dass Troy jeden Morgen vor dem Frühstück auf einem Lauftraining bestand. Mary und Larry hatten keine Probleme damit, aber Doff, dessen Leitsatz „Sport ist Mord“ war, keuchte und stöhnte so lange, bis Troy zu ihm sagte: „Kopf hoch, mein Freund. Du bist viel zäher, als du glaubst.“

      Bhakti und Shakti schlugen jeden Abend ihr Lager abseits der Straße auf. Zuallererst servierten sie den vier Reisenden einen süßen Milchtee, dann machten sie Feuer und bereiteten das Abendessen zu. Die drei Freunde gewöhnten sich bald daran, sich mit kaltem Wasser zu waschen, das aus Kanistern kam, bevor sie sich ans Feuer setzten, um mit Troy zu meditieren. Doff, der erwartete, dasselbe Knistern zu hören wie in Marys Haus, war zuerst enttäuscht, als dem nicht so war. Doch dann spürte er die Kraft und die Ruhe, die von Troy ausging, und wurde still.

      Gleich am ersten Abend hatte Troy ihnen einfache weiße Hemden und Jeans in jeweils passender Größe und ein großes, warmes Umhängetuch aus Schafswolle gegeben. „Aha“, hatte Mary gedacht, „das geheimnisvolle Päckchen!“

      Mary hatte sich schweren Herzens von ihrem schönen himmelblauen Kaftan getrennt. Aber sie musste zugeben, dass es nicht die richtige Kleidung