Warme arktische Nächte. Yuriy Tarnawsky

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Название Warme arktische Nächte
Автор произведения Yuriy Tarnawsky
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783838275109



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Wasser?

      Das Wasser, das aus dem Kran in den Eimer floss, fühlte sich an wie der muskulöse Arm eines Mannes. Das im Eimer roch wie ein Strauß kalter Blumen.

      Der Garten auf der Rückseite?

      In einer Ecke des Gartens auf der Rückseite, den das Sonnenlicht kaum durchdrang, wuchs ein riesiger Apfelbaum. Es war immer halb dunkel zwischen seinen Ästen wie in einer Mondnacht. Die Äpfel waren klein und rot und schienen, wenn man sie pflücken wollte, wie Vögel auf den Ästen zu hüpfen. Nachts konnte man sie wie Flöten, die lange traurige Laute machten, in das Gras fallen hören, was mir ebenfalls gefiel.

      Es wuchsen darin auch rote und gelbe Johannisbeersträucher, deren Beeren wie winzige Sonnen, rot oder gelb, in engen Fruchtständen gebündelt waren, Stachelbeeren, deren gelbgrünes Innere trübe wie stehende Gewässer war, Erdbeeren in ordentlichen Reihen, die beim Hineinbeißen in deinem Mund voller Aromen explodierten und Deinen Gaumen zu durchstechen drohten, in noch saubereren Reihen wachsende Möhren, süß, als wären sie in Zucker getaucht, wenn Du sie nach dem Abwaschen unter der Pumpe kautest, ebenso Kohl, Kohlrabi und süße Erbsen, die behände an hohen Spalieren entlangkletterten, die Erbsen in den Schoten wie Tropfen grünen Zuckerwassers und die Schoten, wenn du die klare Membran von ihnen abgezogen hattest, ebenfalls süß.

      Du gingst schwimmen?

      Manchmal bereitete Mutter Essen für den ganzen Tag vor, das sie in einen Korb stellte, den sie im Zug mitgebracht hatte, und wir heuerten einen Fiaker an, der uns einige Kilometer außerhalb der Stadt zu einem großen Fluss brachte und später abholte. Dort waren kaum Leute, aber zwischen hohen Büschen lagen breite, flache Kieselstrände, so legten wir unsere Decke und Handtücher auf denjenigen, den wir mochten, und ließen uns sonnen oder badeten. Der Fluss war flach mit nur gelegentlich tiefen Stellen, Mutter schwamm dort, während Nora und ich nahe am Ufer plantschten. Ihre Bewegungen waren sanft und ruhig, als wäre auf der Wasseroberfläche eine Ölpfütze, die ständig ihre Form veränderte.

      Vater blieb normalerweise auf der Decke, las Zeitung oder spielte Schach gegen sich selbst.

      Und Picknicks?

      Mutter bereitete erneut Essen zu, und wir gingen in die Hügel außerhalb der Stadt und machten Picknick auf einem Hügel in der Mitte eines Feldes oder am Waldrand im hohen Gras, wo es kurz war. Normalerweise waren wir nur zu viert, aber gelegentlich kamen einige Freunde meiner Eltern mit. Sie hatten zwei Mädchen in Noras Alter, und sie spielte mit ihnen, während ich alleine spielte oder meinen Eltern und den beiden anderen Erwachsenen beim Gespräch zuhörte. Vater spielte manchmal Schach mit dem Mann, wenn dieser da war, ansonsten spielte er mit sich alleine, während ich ihn beobachtete, wie er die Züge machte und Fragen stellte.

      Pilze- und Beerensammeln?

      Die Wälder waren kühl und rochen nach Harz. Der Boden in ihnen war von Kiefernadeln, die ihn wie kurz geschorenes Haar bedeckten, glitschig, so dass Du darauf ausrutschen und hinfallen konntest, wenn Du nicht vorsichtig warst. Die Pilze sprangen aus dem Boden hervor wie schüchterne kleine Tiere, die Angst haben oder nicht durchbrechen können, oder sie standen stark und stolz da, ob wohl jemand es wagen würde, sie zu pflücken. Diejenigen mit kleinen Kappen auf einem großen fetten Stiehl, der wie ein Fass geformt war, und die Bili – die Weißen – also Steinpilze, hießen, waren die besten, vor allem, wenn sie in einer Sauerrahmsauce serviert wurden, aber ich mochte auch die kleinen gelben Lysyčky – kleine Füchse – also Pfifferlinge, und die blauen oder violetten, die Holubinky genannt werden – Taubenpilze – oder alle andern, die wir sammelten.

      Es war heiß im starken Sonnenlicht auf den Lichtungen, Insekten summten auf ihnen wie eine Harfe, die gezupft und in das Gras geworfen worden war und nicht aufhören würde zu erklingen, wilde Erdbeeren wuchsen auf ihnen im Gras wie süße Tropfen duftenden Blutes und du suchtest mit den Fingern unter den Blättern der langen Kletterranken, in denen sie sich versteckten, nach Himbeeren und Brombeeren und fandst sie weich und willig, von dir sich pflücken lassend und nicht zu entkommen versuchend. Blaubeeren wuchsen auf kurzen lockigen Büschen, du pflücktest sie mit einem besonders breiten Holzkamm, der wie durch Haare durch die Blätter strich.

      Ein Zirkus?

      Es gab ein paar Zirkusse, die ich beim Besuch meiner Großmutter sah, aber ich erinnere mich besonders an einen mit einer Akrobatenfamilie, die alle möglichen Dinge ausführte und mit einer stillstehenden Figur endete, die aus allen bestand. Da gab es Vater, Mutter, zwei Jungen, ein Mädchen und einen kleinen schwarzweißen Hund mit einem zusammengerollten Schwanz.

      Mit Ausnahme des Hundes trugen sie alle schwarz-weiß gestreifte einteilige Badeanzüge mit kurzen Ärmeln. Der Vater stand mit gebeugten Beinen auf einem großen weißen Brett, balancierte auf einer riesigen schwarzen Eisenkugel und streckte die Arme zur Seite aus, während die Mutter mit ihren Beinen auf seinen Schultern saß, ihre Beine um seine Brust und unter seine Achsel geschlungen, ihre Arme ausgebreitet wie die ihres Mannes. Die Jungen, die größer waren als das Mädchen, standen auf den Schenkeln des Vaters und lehnten sich nach außen, während sie sich an den Händen festhielten. Das Mädchen saß auf den Schultern ihrer Mutter, so wie diese auf dem Ehemann saß. Ihre Arme waren auf ähnliche Weise ausgestreckt. Der Hund rollte sich adrett auf ihrem Kopf zusammen. Er kam dort hin, indem er wie ein Affe schnell und geschickt an den Körpern der Menschen entlangkletterte.

      Die Figur blieb lange stehen, alle Familienmitglieder mit Ausnahme des Vaters sowie des Hundes lächelten. Der Gesichtsausdruck des ersteren war von unglaublicher Anspannung – es war dunkelrot geschwollen, fast schwarz von Blut, seine Lippen waren fest geschlossen, seine Wangen und Augen waren gewölbt und die Muskeln und Venen unter seiner Haut kräuselten sich wie Schlangen, die versuchen, zu entschwinden. Man konnte sehen, dass es ihm immer schwerer wurde, weiterzumachen, und als es so aussah, als würde er zusammenbrechen, ertönte irgendwo ein Schuss, und die ganze Figur zerfiel in einem Moment und jeder sprang zu Boden und verbeugte sich, einschließlich des Hundes.

      Sie wurden mit einem lauten Gebrüll von Zustimmung und Beifall vom Publikum belohnt und standen lange Zeit aufrecht, verneigten sich, der Vater schwer atmend und wieder zu Luft kommen versuchend.

      Ein Zwergelefant?

      Eine andere Attraktion in diesem Zirkus war ein kleiner weißer Zwergelefant von der Größe eines Bernhardinerhundes. Sein Herrchen war ein kahlköpfiger älterer Herr mit einer goldgeränderten Brille. Der Elefant erledigte für ihn alle möglichen Dinge, wie beispielsweise zählen, indem er seinen Fuß tippte, und Namen buchstabieren, indem er mit seinem Rüssel auf eine Tafel mit dem Alphabet zeigte.

      Ich war so aufgeregt, dass ich die ganze Nacht nicht einschlafen konnte und wollte ihn am nächsten Tag wieder sehen. Es war Montag, und der Zirkus brach an diesem Tag auf. Ich hatte also keine Chance, wieder an der Aufführung teilzunehmen, aber da sie sah, wie aufgeregt ich war, brachte mich meine Mutter dorthin, wo der Zirkus kampierte und wir durften zum Wagen des Besitzers.

      Er war kleiner als einige andere, aber sehr schön, aus gelb lackiertem Holz mit Messing und einer runden, grünen Metalloberseite mit Messingrinnen. Mutter klopfte an die Tür, und als der Besitzer hörte, warum wir dort waren, durften wir hineingehen. Der Elefant befand sich in einem kleinen abgeschlossenen Bereich im hinteren Teil des Wagens mit zwei blauen Sesseln und einem passenden Sofa. Seine Haut war eigentlich eher ein blasses Grau als reines Weiß, nur wo sie knitterte, war sie blau wie Markierungen, wenn du über eine Durchschlagkopie scharf hinüberstreichst.

      Wir saßen auf dem Sofa und der Besitzer und der Elefant in den Sesseln, letzterer etwas unbeholfen, mich mit seinen kleinen, glänzenden roten Augen eines weisen alten Mannes interessiert anblickend, während er sich mit einem der Vorderbeine abstützte. Er zählte mein Alter, als ich sagte, wie alt ich sei, indem er sanft mit dem Fuß auf die Bühne klopfte und buchstabierte meinen Namen, indem er auf die Tabelle zeigte. Dann wurde uns Tee in kleinen weißen und blauen Porzellantassen serviert, die der Elefant aus einer passenden weiß-blauen Teekanne einschenkte, die er mit seinem Rüssel hielt.

      Er drückte, als wir uns verabschiedeten, mit dem Rüssel erneut leicht meine Hand, so als wäre er gelangweilt, und folgte uns mit seinen Augen, als wir durch