Название | Henkersmahl |
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Автор произведения | Bärbel Böcker |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783839234549 |
»Die Fahrkarten, bitte.«
Die Stimme des Mannes, der sich schwerfällig durch den mit Menschen verstopften Gang der Bahnlinie 15 bewegte, ließ Florian innerlich fluchen. Kontrolleure waren eine Spezies von Mensch, die ihm Gänsehaut verursachten. Erst recht an einem Montagmorgen. Außerdem hatte er sich bereits darauf eingestellt, einen ungestörten Blick in die Zeitung werfen zu können, bevor er an der Haltestelle Christophstraße in der Kölner Innenstadt aussteigen musste. Daraus würde nun nichts werden, denn der Kontrolleur würde jeden Moment vor ihm stehen und seinen Fahrschein verlangen. Trotzdem schlug Florian rasch die Zeitung auf, die Schlagzeile Mysteriöse Erkrankung – bereits 30 Fälle in Köln, hatte ihn neugierig gemacht. In dem dazugehörigen Artikel hieß es, dass es immer noch keine Erklärung für die Serie von Krankheitsfällen gäbe, die Köln seit zwei Wochen in Atem hielten – und ihn selbst auch.
Florian blickte auf. Er dachte an die Recherchen in seiner Talkshow-Redaktion, die auf Hochtouren liefen. Er und seine Kollegen wussten bislang nicht viel, planten aber morgen eine Sendung zum Thema und er konnte sich nach wie vor nicht vorstellen, wie sie überhaupt aussehen sollte.
Mit halbem Auge registrierte er, wie der Kontrolleur näher kam und dachte daran, dass er unbedingt zwei von der Krankheit betroffene Talkgäste finden musste, die bereit waren, ins Studio zu kommen. Alle Opfer hatten heftigen Schwindel verspürt, fünf von ihnen waren sogar ins Koma gefallen. Die Behörden tappten im Dunkeln. Niemand wusste, wodurch die Symptome ausgelöst wurden, aber langsam machte sich Panik in der Bevölkerung breit.
Florian Halstaff richtete seine Beine schräg Richtung Gang aus, um es ein wenig komfortabler zu haben. Mit einer Größe von knapp zwei Metern war er für jede Möglichkeit, einen Zentimeter mehr Raum zu ergattern, dankbar. Außerdem saß der Bund seiner schwarzen Jeans auf diese Weise etwas lockerer und schnitt nicht mehr so tief ins Fleisch.
Die metallisch klingenden Fahrgeräusche, die beim Drosseln der Geschwindigkeit entstehen, wurden übertönt von der Stimme des Kontrolleurs, der immer weiter in Florians Nähe rückte. Gerade herrschte er einen verlebt aussehenden Mittvierziger an, der letzte Nacht offensichtlich zu wenig Schlaf bekommen hatte, denn dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab.
»Nun mal her mit dem Fahrschein.« Der Kontrolleur, ein untersetzter Mann mit Halbglatze, stellte sich dem Fahrgast breitbeinig in den Weg.
Florian hob unwillkürlich den Kopf. Er sah, wie sich die Gesichtszüge des Mittvierzigers anspannten und wie seine Augen die des Kontrolleurs suchten. Zwei Sekunden hielt er ihrem Blick stand, dann schlug er seine Augen nieder und reichte dem Kontrolleur wortlos das Ticket, das er bereits in der Hand gehalten hatte.
Merkwürdig, dachte Florian und lehnte sich wieder in den Sitz zurück, dass sich so viele Menschen jeder Form von Autorität, ganz gleich, wie gering sie auch sein mag, unterordnen und bereit sind, selbst Schikanen widerspruchslos hinzunehmen. Ihm ging das Bild eines auf dem Boden liegenden Hundes durch den Kopf, der seinem überlegenen Feind die Kehle hinhielt. Florian schüttelte sich unwillkürlich. Die Bahn ruckte und verlangsamte die Geschwindigkeit. Eine freundliche Frauenstimme aus dem Lautsprecher tönte melodisch durch das Abteil. »Nächster Halt – Barbarossaplatz.«
Florian schloss den obersten Knopf seines hellen Trenchcoats und schlug den Kragen hoch. Eine weitere Station konnte er sitzen bleiben, aber schon gleich würde er im Strom unzähliger Menschen treiben, die wie er auf ihrem Weg zur Arbeit durch Bahnstationen hasteten, um den nächsten Zug nicht zu verpassen und pünktlich zur Arbeit zu kommen.
Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken.
Er sah auf das Display, aber es zeigte ihm keine Nummer an, sodass er nicht wusste, wer zu so früher Stunde schon etwas von ihm wollte. Florian drückte auf den grünen Knopf und meldete sich, unwirsch leicht die Stimme hebend.
Jemand, den er kaum verstand, fragte nach: »Florian Halstaff?«
»Ja. Florian Halstaff.« Seiner Stimme war anzumerken, dass er genervt war.
»Ich möchte ihnen einen guten Rat geben.«
Florian war nahe dran, das Gespräch direkt zu beenden, denn auf Spinner jeglicher Art konnte er am frühen Morgen gut verzichten. Verärgert fragte er nach: »Mit wem spreche ich?«
»Das spielt keine Rolle. Ich sage Ihnen nur eins, suchen Sie sich für die nächste Sendung ein anderes Thema.«
»Wie bitte? Was wollen Sie?« Florian richtete sich abrupt auf. Er fluchte innerlich und presste das Handy dicht an sein Ohr, aber der Lärm um ihn herum ließ nicht nach, und er konnte den Mann nur schlecht verstehen.
»Keine Talkshow über die Erkrankungen, habe ich gesagt. Verstanden?«
»Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«
»Weil Sie sich sonst anstecken könnten, und das läuft nicht immer so glimpflich ab wie bei den anderen.«
Florian war verblüfft, doch bevor er etwas erwidern konnte, machte es klack. Der Anrufer hatte aufgelegt. Er runzelte die Stirn. Die Stimme hatte ziemlich jung geklungen. Er überlegte, ob er sie irgendwann schon einmal gehört hatte, aber seine grauen Zellen gaben ihm keinerlei Rückmeldung. Florian atmete tief durch und ignorierte das alarmierende Gefühl in seinem Bauch, das sich langsam zum Magen hin ausbreitete, und beruhigte sich mit dem Gedanken, dass der Anrufer wahrscheinlich irgendein Verrückter oder ein besonders witziger Kollege aus dem Showumfeld gewesen war. Florian seufzte. Es gab einfach zu viele Idioten auf der Welt. Er wischte den Gedanken an den Anrufer beiseite und sah wieder aus dem Fenster.
Eigentlich war es heute viel zu früh für ihn. Die Flasche Rotwein, die er gestern Abend genüsslich geleert hatte, trug vermutlich auch dazu bei, dass er nur schwer wach wurde. Florian lehnte sich zurück und schloss die Augen. Normalerweise fuhr er eine Stunde später ins Büro, die Redaktion begann in der Regel nicht vor halb zehn mit der Arbeit. Er hoffte, in Anbetracht der frühen Stunde und des seltsamen Anrufs wenigstens dem Kontrolleur zu entgehen. Der Zug würde jeden Moment in den Bahnhof Christophstraße einfahren, doch er hatte Pech. Der Kontrolleur baute sich vor ihm auf und streckte fordernd die Hand aus. Zunächst zögerte Florian einen Augenblick, insbesondere, weil der Mann ihn nun anherrschte: »Mal ’n bisschen hoppla, ja?«
Er spürte, wie Ärger in ihm aufstieg, und war schlagartig hellwach. Zur vollen Länge aufgerichtet fixierte er den Mann und behielt die Karte fest in der Hand.
»Irgendwelche Probleme?«, fragte der Kontrolleur bissig.
»Ja.« Florian ließ sich kurz Zeit, bevor er weiter sprach. »Mit Menschen, die sich wie Sie auf verdammt widerliche Art aufspielen.«
Eine tiefe Röte breitete sich im grobschlächtigen Gesicht des Kontrolleurs aus, und an seiner linken Schläfe schwoll eine Ader gefährlich an. »Ich mache hier meinen Job, sonst nichts.« Der harsche Tonfall stand allerdings im Gegensatz zur nervösen Handbewegung, mit der er sich über die Glatze fuhr.
Die Bremsen der Bahn quietschten, und Florian musste aufpassen, dass er nicht das Gleichgewicht verlor. Er hielt sich an der nächst besten Stange fest. In diesem Moment kam der Zug zum Stehen. Florian riss dem Kontrolleur das Ticket aus der Hand und fasste den Mann, den er um anderthalb Köpfe überragte, fest am Kragen. Er zog ihn zu sich heran. »Demnächst erledigen Sie Ihren Job aber bitte mit etwas mehr Respekt!« Ohne sich noch einmal umzublicken, machte er einen großen Sprung durch die Tür und landete sicher auf dem Bahnsteig.
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