Leuchtfeuerherzen. Tanja Janz

Читать онлайн.
Название Leuchtfeuerherzen
Автор произведения Tanja Janz
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401808895



Скачать книгу

es. Sogleich wehte ihr eine Brise salzige Meeresluft um die Nase und sie konnte das aufgeregte Geschnatter von Möwen hören, die über das Haus und weit auf das offene Meer hinausflogen, das sich vor ihren Augen erstreckte und in dem die Sonne glitzerte wie funkelnde Diamanten.

      In der Ferne konnte sie den eindrucksvollen rot-weißen Turm mit seinen beiden baugleichen Häusern erkennen: Der Westerhever Leuchtturm, der ab morgen für vier Wochen ihr Praktikumsplatz und Zuhause sein würde. Alicia musste lächeln und spürte ein kribbeliges Glücksgefühl, das durch ihren Körper strömte. Sie konnte den nächsten Tag kaum erwarten.

      5. KAPITEL

      Alicia holte ein paar frische Anziehsachen und Waschzeug aus ihrer Tasche und stellte dabei fest, dass sie ihre Gummistiefel zu Hause vergessen hatte. Sie seufzte kurz auf. Jedes Mal vergaß sie mindestens eine Sache, wenn sie verreiste. Nach einer kurzen Katzenwäsche in dem kleinen Bad, das zu dem Zimmer gehörte, zog sie ein frisches T-Shirt und Jeans an. Ihr Gesicht, die Arme und Beine schmierte sie mit Sonnencreme ein, was wetterunabhängig an der Küste wichtig war, um einen Sonnenbrand zu vermeiden. Danach schlüpfte sie in flache Stoffschuhe und griff nach ihrer Sonnenbrille.

      Schon auf der Treppe hörte sie Tante Heides Stimme, bevor sie sie sah. Ihre Tante unterhielt sich auf der Terrasse mit einer Frau und einem Mädchen, die aussahen wie Mutter und Tochter und vermutlich Feriengäste in der Pension waren. »Den Reiterhof können Sie gar nicht verfehlen, wenn sie auf dem Deich Richtung Ortsteil Böhl laufen«, erklärte ihre Tante.

      Sie hielt sich im Hintergrund, bis die beiden sich verabschiedet hatten, und ging dann zu ihrer Tante. »Feriengäste von dir?«

      Tante Heide nickte. »Mutter und Tochter«, bestätigte sie Alicias Vermutung. »Sie sind das erste Mal in St. Peter und wollten wissen, ob es hier die Möglichkeit gibt, Strandausritte zu machen.«

      »Darauf hätte ich auch mal wieder Lust. Ist in der Stadt einfach nicht dasselbe.«

      »Sie sind auf dem Weg zum Reiterhof in Böhl. Wenn du dich beeilst, dann holst du sie bestimmt noch ein.«

      »Quatsch. Reiten kann ich auch an einem anderen Tag«, erwiderte Alicia und hakte sich bei ihrer Tante unter. »Jetzt will ich mit dir St. Peter unsicher machen. Wo fangen wir an?«

      »Lass dich überraschen. Hol dir ein Fahrrad aus dem Schuppen und folge mir unauffällig.«

      Wenig später fuhren sie mit den Rädern südwärts über den Deich. Alicia hatte den Oberkörper weit nach vorne geneigt und musste kräftig in die Pedale treten. Sie hatten tüchtigen Gegenwind, der Alicias Haare wild durcheinanderwirbelte und in ihren Ohren laut rauschte.

      Immer wieder ließ sie ihren Blick über blühende Salzwiesen gleiten, aus denen sich Vögel in die Lüfte erhoben und durch die Wasserläufe wie ein Geflecht aus Adern flossen. Durch die Priele lief bei Ebbe das Wasser in die Nordsee ab und bei Flut wieder herein. Früher war sie oft mit ihrer Tante bei Niedrigwasser auf den ausgeschilderten Naturpfaden in den Salzwiesen unterwegs gewesen und hatte in den Wasserrinnen Meerestiere wie Garnelen oder Fische beobachtet. Ob sie das auch während ihres Praktikums tun und dabei noch mehr über die Meeresbewohner erfahren würde?

      »Wir gehen ins Zentrum!«, rief Tante Heide ihr über die Schulter zu, als sie den Vorplatz an der Seebrücke erreicht hatten. Sie stiegen von ihren Rädern ab und schoben sie über den Platz. Hier war mächtig was los – wie immer. Touristen flanierten über die lange Seebrücke, die zum Strand führte, oder machten eine Pause auf einer der zahlreichen Sitzgelegenheiten der Strandpromenade. Kinder hüpften lachend durch die künstlich angelegten Wasserläufe und die Terrasse des Fischrestaurants vor der Brücke war voll besetzt mit Gästen.

      Laute Musik zog Alicias Aufmerksamkeit auf sich. Sie drehte sich unwillkürlich nach den Hip-Hop-Klängen um. Eine Gruppe Jungs mit Sporttaschen und laut aufgedrehtem Gettoblaster gingen an ihr vorbei. Sie schaute i hnen hinterher. Einer der Jungs hatte sich einen Fußball unter den Arm geklemmt. Er trug eine verspiegelte Sonnenbrille und ein blaues Basecap. Ihr stockte der Atem. Diese Statur und die Art, wie er ging. Das war doch Elias! Ihre Gedanken überschlugen sich. Was machte er in St. Peter-Ording? Das Fußball-Sommercamp war doch in München, dachte sie völlig konfus.

      Wie vor den Kopf gestoßen, stand sie da und starrte den Jungen an, als er sich plötzlich zu seinem Kumpel umdrehte, sodass Alicia ihn von vorne sah. Augenblicklich entwich ihr ein erleichterter Seufzer. Das war gar nicht Elias, bloß ein Typ, der eine große Ähnlichkeit mit ihrem Ex-Freund hatte.

      Ex-Freund? Hatte sie das gerade wirklich gedacht? Es fühlte sich fremd, falsch an und ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen.

      »Alicia?« Ihre Tante war in einiger Entfernung vor einem Coffee-to-go-Stand stehen geblieben und blickte sich nach ihr um. »Wo bleibst du denn?«

      »Ich komme!« Alicia fühlte sich ertappt, wenngleich sie wusste, dass Tante Heide ihre Gedanken nicht lesen konnte. Sie war die letzten Tage so stolz auf sich gewesen, dass sie nicht oft an Elias gedacht und ihn noch nicht einmal auf Instagram gestalkt hatte. Doch in ihrem Unterbewusstsein schien es anders auszusehen. Clara hatte recht, sie brauchte dringend Ablenkung, die ihr dabei half, über Elias hinwegzukommen.

      »Geht es dir gut? Du siehst ja aus, als hättest du einen Geist gesehen.« Tante Heide schaute sie forschend an.

      Alicia winkte ab und versuchte, wieder ihre Fassung zurückzugewinnen. »Jaja, alles gut. Ich dachte bloß, ich hätte jemanden gesehen, den ich kenne.«

      »Und?«

      »Habe mich vertan.« Alicia zuckte leichthin mit den Schultern.

      Ihre Tante legte den Kopf schräg und sah sie forschend an. »Ich glaube dir kein Wort. Ich sehe dir doch an der Nasenspitze an, dass etwas nicht stimmt.«

      Tante Heide kannte sie zu gut, da war abstreiten zwecklos. »Du hast recht. Ich bin ziemlich durch den Wind. Elias hat letzte Woche mit mir Schluss gemacht«, gab sie leise zu. Dieses Mal war sie auf den schmerzhaften Stich gefasst, verfluchte ihr Herz aber dennoch, weil es einem Typen hinterhertrauerte, dem sie egal war.

      »Und das erzählst du mir erst jetzt? Ich könnte schon auf dem Weg nach Recklinghausen sein und diesem Jungen einen Fußball zwischen …«

      »Ist schon gut«, fiel Alicia ihr ins Wort, damit ihre Tante sich nicht weiter aufregte. »Ich wollte nicht die gute Stimmung deswegen kaputt machen. Er hat mir schon die letzte Woche versaut«

      »Papperlapapp.« Sie überlegte einen Moment. »Planänderung. Wir gehen jetzt sofort ins Eiscafé Venezia.«

      »Das machen wir doch sonst immer ganz zum Schluss.«

      Tante Heide nickte. »Sonst hat ja auch noch kein Junge einfach mit dir Schluss gemacht.«

      Sie schlossen die Räder an einen Ständer, unweit vom Dünen-Hus, und gingen zum Eiscafé, das mitten im Zentrum lag. Sie hatten Glück und fanden einen freien Tisch vor der Eisdiele. Bei einem Schokoladenbecher mit Sahne erzählte Alicia ihrer Tante die ganze Geschichte mit Elias. Sie war froh, neben Clara auch mit einem Erwachsenen darüber reden zu können. Ihrer Tante konnte sie schon immer alles erzählen. Obwohl sie zehn Jahre älter als ihr Vater war, nicht verheiratet und keine Kinder hatte, hatte ihr Alicia schon von klein auf alle Geheimnisse anvertraut. Heide hörte geduldig zu.

      »So ein Idiot!« Ihre Tante schüttelte den Kopf. »Der wird schon noch feststellen, dass er einen großen Fehler gemacht hat, und dann wird er kleinlaut bei dir ankommen und sich entschuldigen.«

      »Glaubst du wirklich?«, fragte Alicia zweifelnd.

      »Habe ich jemals mit dem, was ich gesagt habe, unrecht gehabt?«

      Alicia überlegte kurz. Tante Heide hatte schon häufiger Dinge »vorausgesagt«, die dann tatsächlich eingetroffen waren, obwohl es zunächst unmöglich schien, dass sie recht behalten sollte.

      »Denk an das Praktikum. Ich habe ja von Anfang an gesagt, dass es klappen wird«, erinnerte sie Alicia.

      »Das stimmt … aber gerade kann ich mir wirklich nicht vorstellen, dass das mit Elias