Название | Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band |
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Автор произведения | Gerhard Henschel |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783455005011 |
Einmal redete Volker nachts auch davon, daß er bald sterben werde, aus Verzweiflung über die Scheißschule, aber davon wollte ich nichts hören. Ich hätte sogar fast Mama und Papa geweckt, aber Volker hielt mich zurück. So schlimm sei’s nun auch wieder nicht!
Nach der Turnstunde wollte Frau Katzer, daß wir einen Klassensprecher wählen. Weil ich es in Turnen gerade als einziger geschafft hatte, am Seil bis ganz nach oben zu klettern, und weil das in der großen Pause auch welche von den Mädchen gehört hatten, kriegte ich die meisten Stimmen.
Die zweitmeisten hatte Melanie Pape gekriegt. Die war jetzt meine Stellvertreterin.
Ich war platt. Morgens war ich noch ganz normal zur Schule gegangen, und seit der dritten Stunde war ich Klassensprecher und der wichtigste Junge von allen in der 3b. Heike Zöhler bot mir was von ihrer Schokolade an, Norbert Ripp wollte mit mir Quartett spielen, und Melanie Pape sagte, wir müßten uns bei ihr treffen, so um drei. Wir hätten allerlei zu besprechen.
»Und was mußt du da so machen als Klassensprecher?« fragte Renate mich beim Mittagessen, und weil mir auf die schnelle keine Antwort einfiel, sagte Papa: »Vornehm aus der Wäsche kucken.«
Melanie wohnte auch in der Theodor-Heuss-Straße, aber weiter vorne und auf der anderen Seite, wo es runterging.
Im Wohnzimmer standen zehn Millionen Topfpflanzen auf Schemeln und dazwischen ein echt wirkender Schäferhund aus Porzellan, in Lebensgröße, mit raushängender Zunge. Melanies Eltern waren weg.
Wir gingen auf die Terrasse und setzten uns an den Tisch, der aus dem gleichen knorrigen Holz war wie die Bank. Aus der Küche hatte Melanie eine Flasche Fanta geholt, und dann versuchte sie, mich auf den Mund zu küssen. Igitte!
Als ich aufsprang, fiel die Flasche um und rollte schäumend über den Tisch, weil der Deckel nicht festgeschraubt war.
Bevor Melanie mich gehenließ, mußte ich ihr versprechen, zu ihrer Geburtstagsfeier zu kommen.
Strahlerküsse schmecken besser.
Bei uns bauten Handwerker Holzgerüste auf, weil das Haus seinen Außenputz bekommen sollte. Volker und mir hatte Mama streng untersagt, auf den Gerüsten rumzuturnen.
Wir durften aber in den großen Lichtschacht vorm Hobbyraum springen, wenn wir wollten, und im Kies wühlen. Vielleicht entdeckte man da ja mal was. Ein Rattengerippe. Oder ein Messer, das als wichtiges Indiz zur Ergreifung eines Schwerverbrechers führte, und wir würden die Belohnung kassieren.
Im Wambachtal kamen wir an eine Stelle, wo Volker nicht rübergehen wollte, weil der Sand, der da lag, Treibsand sein konnte. Aus Treibsand kam man lebend nicht wieder raus, wenn man da blindlings reingelatscht war.
Es gab auch eine Schlucht mit einer Höhle, die weit reinging, mindestens fünf Meter, aber als wir die Höhle näher untersuchten wollten, machte sich oben am Abhang Qualle breit. Er spuckte auf uns runter, und wir nahmen die Beine unter die Arme.
Ich dachte, wenn Qualle im Wambachtal ist, kann ich auf den Spielplatz vorm Hochhaus gehen, wo Qualle sonst immer sein Unwesen trieb.
Es war ein kleines Karussell da mit vier Sitzen und einem runden Tisch in der Mitte, an dem man sich in die Runde ziehen konnte. Das Karussell war frei.
Daß ich beim Fahren einen Drehwurm gekriegt hatte, merkte ich erst, als ich anhielt. Ich konnte nicht mehr geradeaus gehen, und mir war kotzübel.
Zukünftig wollte ich einen großen Bogen um den Spielplatz machen und Karussells wie das da meiden wie die Pest.
Zu ihrem Geburtstag hatte Melanie Pape außer mir nur Mädchen eingeladen, und ich schämte mich in Grund und Boden.
Es gab Brombeerkuchen, Kakao und Glibberpudding, aber Melanie sagte, das sei Wackelpeter.
Das erste Spiel, das Melanies Mutter sich für die Feier ausgedacht hatte, ging so, daß wir seitwärts den Rasen runterrollen sollten. Als ich unten angekommen war, hatte ich schon wieder einen Drehwurm, und Melanies Vater brachte mich mit dem Auto nachhause.
Einmal fuhr Papa am Samstag nach dem Frühstück weg, um einen neuen Gebrauchtwagen zu kaufen, weil der Käfer so viele Macken hatte. Mama war in den Garten gegangen, Unkraut zupfen, und ich machte auf dem Klo mit Volker Kreuzpissen.
»Stripp, strapp, strull«, rief Volker, »ist der Eimer noch nicht vull?«
Da kam Mama rein und fing an zu motzen, daß wir solche liederlichen Ferkeleien zu unterlassen hätten.
»Gnatter, gnatter«, sagte Volker, als wir wieder alleine waren. Ich suchte ein altes Schulheft raus, schlug eine leere Seite auf und trug für Mama eine Fünf ein. Ab jetzt wollte ich allen Familienmitgliedern Noten geben.
Im Hobbyraum kickten wir dann mit dem gelben Ball von Wiebke rum, wobei eine von den Neonröhren einen Volltreffer abkriegte.
Mama, die in der Waschküche Sachen am Aufhängen war, kam gleich angelaufen. »Was seid ihr nur für Flegel!« rief sie. »Wenn Papa kommt, könnt ihr euch auf was gefaßt machen!« Der werde uns die Hammelbeine langziehen.
Wir beschlossen, von zuhause abzuhauen, per Fahrrad. Für immer. Irgendwohin, wo man nicht angebölkt, schikaniert und windelweich geprügelt wurde.
Wir wollten zur Horchheimer Höhe, da im Wäldchen übernachten und dann weiterfahren.
Um dahinzukommen, mußten wir nach Vallendar runter, am Rhein lang bis Ehrenbreitstein, an der Brücke nach Koblenz vorbei und dann irgendwo hinterm Autoreifen vom lieben Gott links hoch.
Für Radfahrer war auf der Straße am Rhein nicht viel Platz. Wir wurden von hinten angehupt und mußten höllisch aufpassen, daß wir nicht übergemangelt wurden.
In Ehrenbreitstein hielt Volker an. Er hatte es sich anders überlegt, wünschte mir viel Glück und kratzte die Kurve, der Feigling.
Bis zur Horchheimer Höhe war es von Ehrenbreitstein aus weiter, als ich gedacht hatte, und das letzte steile Stück mußte ich schieben.
Ich hätte Uwe oder Kalli besuchen können, aber dann hätten deren Eltern vielleicht bei uns angerufen.
Im Wäldchen suchte ich nach einer Kuhle zum Schlafen. Es war noch hell, und das wollte ich ausnutzen, um Blätter und Äste zu sammeln, mit denen ich mich zudecken konnte.
Es war schade, daß Volker zu feige gewesen war, bis hierhin mitzukommen. Zwei Jungen auf Pilgerfahrt, ohne Dach überm Kopf, von der eigenen Mutter vergrault, so wie Tom Sawyer, der auch mal von zuhause ausgerückt war und erst als gefürchteter Piratenkapitän wiederkommen wollte.
In die Schule würde ich nie wieder gehen. »Auf den Martin braucht ihr nicht zu warten«, würde Frau Katzer den anderen sagen. »Der hat seine Siebensachen gepackt und ist stiftengegangen, weil seine Mutter zu gemein zu ihm gewesen ist.«
Nie mehr wiedersehen würde ich auch Oma und Opa Jever und Tante Dagmar. Oder erst als Erwachsener. Dann würde ich sagen: »Ich wäre schon eher wiedergekommen, aber es war mir zu doof, mich nur wegen einmal Kreuzpissen und der Neonröhre verwämsen zu lassen.«
Vom Wäldchen aus konnte ich die Kinder sehen, die in dem Garten spielten, der früher mal uns gehört hatte.
Ich suchte nochmal nach Blättern. Ohne Bett war man aufgeschmissen. Langsam hatte ich auch keine große Lust mehr, Ausreißer zu sein, und ich fuhr zurück.
Auf dem Mallendarer Berg kam mir Papa im VW entgegen, sah mich durch die Windschutzscheibe an und drehte hinter mir um.
Ich kriegte Senge, zwanzig Schläge mit der Handkante auf den Rücken, und außerdem Zimmerarrest bis Sonntagabend, genau wie Volker.
Beim Klassenausflug auf die Insel Niederwerth lieferten sich Klaus Koch und Stephan Mittendorf ein Kämpfchen, wobei